Bundestagspräsident Thierse: "Es ist das Selbstverständlichste, dass man die eigene Sprache verteidigt"
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat auf eine Bitte der
Redaktion der "Welt am Sonntag" in einem Beitrag zum Gebrauch von
Anglizismen in der deutschen Sprache Stellung genommen. Da sich der
Beitrag in der Veröffentlichung der Zeitung am 11. Februar nur
in wenigen Zeilen niederschlug, wird nachstehend der Text
veröffentlicht, wie ihn der Bundestagspräsident
formuliert hatte:
"Eigentlich ist es doch das Selbstverständlichste der Welt,
daß man seine eigene Sprache verteidigt. Allerdings: man
muß sie mögen. Nur dann wird man sensibel sein für
ihre Verhunzung, Verluderung, ja Zerstörung. Nur dann wird man
sie pflegen. Gilt das auch für uns Deutsche? Ich hoffe sehr.
Es geht dabei nicht um sprachliche Aus- und Abgrenzungen. Ein
Gesetz oder ein Katalog von Verboten scheinen mir
unangemessen.
Es geht viel mehr um das gute Beispiel, das nachahmenswerte
Vorbild, den unaufdringlichen, aber wirksamen Einfluß guter
Praxis. In der Schule (schon) sollte man sie kennenlernen
können und dürfen: die Schönheit und den
Ausdrucksreichtum der deutschen Sprache - an beispielhaften
literarischen Texten von Goethe und Heine bis zu Brecht und Grass.
Liebe Lehrer habt Ausdauer und Mut und Geschick dazu! In den
Zeitungen sollte man die Chance haben, Texte in verständlichem
plastischem Deutsch zu lesen. Das ist vor allem ein Appell an
Journalisten der Boulevardzeitungen. Chefredakteure nehmt Euch die
Zeit, Euren Redakteuren auf die gelegentlich schmutzigen
sprachlichen Finger zu schauen. Das gilt erst recht für die
privaten die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten: Was hier
an sprachlich-moralischer Verluderung stattfindet, ist immer
schwerer zu ertragen. In den Amtsstuben schließlich, den
Behörden, den Parlamenten: welch' weites Feld fürs gute
sprachliche Vorbild, fürs Zurückdrängen von
menschenunfreundlichem Beamtendeutsch, von Juristen- und
Politikjargon, von Anglizismen und Amerikanismen. Wie könnten
da Vorgesetzte, Behördenchefs. Senatoren, Minister,
Debattenredner mit guten Beispiel vorangehen! Tun wir's einfach
unbeirrt! Sprache ist Heimat - lassen wir uns nicht aus ihr
verdrängen."