Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei der Verleihung des "Deutschen Landschafts-Architektur-Preises" am 10. Mai 2001 im Rahmen der BUGA 2001 ("Biosphäre Potsdam")
Sperrfrist: 19.30 Uhr
Es gilt das gesprochene Wort
"Der Bundestagspräsident als Schirmherr des ‚Deutschen
Landschafts-Architektur-Preises' - das erscheint zunächst als
eine ungewöhnliche Kombination. Schließlich ist gerade
bei den öffentlichen Bauvorhaben in Zeiten knapper Kassen der
umgebende Landschaftsraum stets ein Bereich, an dem die Bauherren
sparen - nicht selten allerdings an der falschen Stelle, wie ich
finde. Die landschaftsarchitektonische Gestaltung von Wohn- und
Lebensumwelt hat eine viel grö-ßere Bedeutung, als
manche private und auch öffentliche Bauherren glauben. Mit der
Übernahme der Schirmherrschaft will ich zeigen, dass einer
sozial und ökologisch ausgerichteten Siedlungs- und
Landschaftsentwicklung aus gesellschaftlicher wie politischer Sicht
große Bedeutung zu-kommt - so wie es auch der seit 1993 vom
‚Bund Deut-scher Landschafts-Architekten' verliehene
‚Deutsche Landschafts-Architektur-Preis' zum Ausdruck
bringt.
Bereits die Ergebnisse der früheren Wettbewerbe haben die
vielfältigen Möglichkeiten der Landschaftsgestaltung
erkennen lassen. Die Arbeiten der Preisträger zeigen immer
wieder, wie die Landschaftsarchitektur die starre und
unnatürliche Grenzziehung zwischen Stadt und Land aufhebt. In
den Trabantenstädten insbesondere der sechziger und siebziger
Jahre, hier in Berlin z.B. im Märkischen Viertel oder in
Marzahn, ist an der Massivität und Höhe der Gebäude
leicht zu erkennen, wo Stadt und Land unver-zahnt
aufeinanderstoßen. Heutige Landschaftsarchitekten
überwinden diese Abgrenzung mit Phantasie und
Kreativität. Landschaftsformen und -strukturen, die Flora und
selbst die Fauna werden in die städtischen Räume
einbezogen und integriert. Kulturlandschaft schließt Natur
nicht aus, sondern ein. Bäche, Teiche, Seen und Gärten
erhalten ihre Lebensräume zurück - die BUGA hier in
Potsdam bietet hierfür viele Beispiele. Siedlungsnahe
Grünflächen und schnell erreichbare Freiräume
für Erholung und Freizeit - dies alles sind Beiträge der
Landschaftsarchitektur zur Lebensqualität, zu human
verträglichem Wohnen. Landschaftsarchitekten können
wesentlich dazu beitragen, dass sich die Menschen in ihrer
Straße, ihrem Stadtteil, ihrer Stadt wohlfühlen.
Städtebau ist nicht gleichbedeutend mit Beton, Asphalt und
versiegelten Naturflächen. Und erst recht nicht mit monoton
gestalteten Lebensräumen ohne städtebauliche Verzahnung,
in denen die Menschen in parzellierten Wohneinheiten mitunter
jahrelang nebeneinander herleben, ohne einander wirklich Nachbarn
zu sein. Albert Schweitzers Einsicht, dass zuerst Menschen
Häuser, dann aber Häuser Menschen bauen, bringt diese
Langzeitwirkung städtebaulichen Handelns treffend zum Ausdruck
- gerade auch die Folgen einer Vernachlässigung der
Nachhaltigkeit. Anonymisierung und Ent-Sozialisierung, Vandalismus
und Brutalisierung sind nicht selten die Spät- und Dauerfolgen
solcher Versäumnisse.
Dieses politische Plädoyer für die Landschaftsarchitektur
soll Sie, meine Damen und Herren, bestärken, auf dem
eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Da ich in meinem Amt als
Bundestagspräsident aber auch selbst Bauherr bin, werden Sie
mir natürlich sogleich die Frage stellen, wie es denn der
Deutsche Bundestag und der Bund mit der Landschaftsarchitektur
halten. Nun kann ich nicht für den Bund insgesamt sprechen,
erst recht nicht für die Länder und Kommunen, deren
öffentliche Auftragsvergabe in der Tat oft von knappen Kassen
diktiert wird. Beim Umzug des Parlaments und der Regierung von Bonn
nach Berlin ist allerdings großer Wert auf
landschaftsgestalteri-sche Elemente gelegt worden. Der vom Bund und
Berliner Senat gemeinsam ausgeschriebene "Internationale
landschaftsplanerische Realisierungswettbewerb Spreebogen" hat
viele interessante Vorschläge und Ideen erbracht. Daraus
entstand ein Gesamtkonzept für die
städtebaulich-landschaftsarchitektonische Gestaltung des
Areals vom Spreebogen über den Platz der Republik bis zum
Reichstagsgebäude.
Die Pflanzung der ersten Spreeeiche an der Nordseite des
Reichstagsgebäudes Ende März vergangenen Jahres setzte -
als Auftakt für die beiden vierreihigen Alleereihen
nördlich und südlich des "Bandes des Bundes" - ein
Zeichen für die Verbindung von Natur- und Kulturlandschaft.
Wer damals dabei war, erinnert sich: Diese erste Eiche wurde bei
Regenwetter gepflanzt und die meisten Reden fielen
buchstäblich ins Wasser. Aber seitdem gehen die
landschaftsarchitektonischen Arbeiten im "Band des Bundes" voran.
Es entsteht ein Areal, das auf vielerlei Weise Begegnung und
Kommunikation zwischen Politik und Bürgern fördern wird.
Ich könnte mir zwar an manchen Stellen durchaus noch mehr
Grün vorstellen. Aber der Uferweg an der Spree entlang den
Parlamentsbauten wird - das sage ich schon heute voraus - zu einer
städtebauli-chen wie landschaftsarchitektonischen Attraktion
Berlins werden: Anziehungspunkt für die Besucher aus aller
Welt und zugleich Darstellung unserer Demokratie nach innen und
außen.
Schließlich sollen in der parlamentarischen Demokratie
Städtebau und Landschaftsarchitektur demokratische
Grundstrukturen widerspiegeln und ihre Vermittlung
unter-stützen. Ich erinnere an Adolf Arndts klassischen
Aufsatz von 1961 über die "Demokratie als Bauherr". Auch im
Jahr 2001 lohnt es für alle politischen Bauherren
unverändert, diesen Aufsatz nachzulesen (ich zitiere):
"Demokratie als politische Lebensweise (ist) von ihrem Ansatz her
auf den mündigen Menschen angewiesen (...) darum (muss) alles
in ihr, auch das Bauen, darauf angelegt sein, dem Menschen zu
seiner Mündigkeit zu verhelfen und ihm (...) bewusst machen,
dass er politischer Mensch ist, der (...) Mitverantwortung
trägt."
Übrigens hat Arndt schon Anfang der sechziger Jahre den
Städtebau als sensible "Gleichgewichtsaufgabe" charakterisiert
und die "Einbeziehung der Landschaft in die Stadt" gefordert.
Zwei Worte noch zum diesjährigen Wettbewerb.
Selbstverständlich will ich der Laudatio von Frau Lund nicht
vorgreifen. Aber ich möchte doch aus politischer Perspektive
je eine Anmerkungen zu den beiden Trägern des ersten Preises
machen. Die Umgestaltung des Reussdeltas am Vierwaldstätter
See ist ein gutes Beispiel dafür, wie ökologische
Gesichtspunkte in die Landschaftsarchitektur einbezogen werden
können. Die Ökologie, die in den vergangenen Jahr-zehnten
z.B. durch massive Versiegelung von Flächen oder
Flussbegradigungen sträflich vernachlässigt worden ist,
erhält durch die Landschaftsarchitektur einen
städtebaulich neuen Stellenwert. So ist es im Fall des
Reussdeltas gelungen, den Menschen eine fast verlorene Landschaft
zurückzugeben. Zu dieser Leistung möchte ich gratulieren
- und ihr viele Nachahmer auch in Deutschland wünschen.
Natürlich hat es mich als Berliner besonders gefreut, dass der
"Lustgarten Berlin-Mitte" ebenfalls mit einem ersten Preis
ausgezeichnet wird. Ich habe aus DDR-Zeiten wenig positive
Erinnerungen an den pflastersteingeprägten, nichtssagenden
Platz, der entweder unerträglich heiß oder ungemein kalt
war. Außer bei Kundgebungen war er fast immer menschenleer -
weil er eben kein Ort war, an dem man sich gerne aufhielt. Das hat
sich gründlich geändert. Der "Lustgarten Berlin-Mitte"
ist von der Berliner Stadtgesellschaft wie den auswärtigen
Besuchern angenommen worden. Er hat sich zu einem Ort
gesellschaftlicher Kommunikation entwickelt, der das starre
Einheitsgrau früherer Jahrzehnte in Vergessenheit geraten
lässt. Auch hier haben die Landschaftsarchitekten einen
wertvollen Beitrag zur Stadtkultur geleistet.
Von solchen Ansätzen kann auch die Politik noch lernen - nicht
zuletzt bei der Gestaltung der historischen Mitte Ber-lins.
Für den vieldiskutierten Schlossplatz könnte die
städtebauliche Einbindung des neugestalteten "Lustgartens"
geradezu Modell stehen. Wie Sie wissen, habe ich große
Sympathie für den Vorschlag, die internationalen Sammlungen
aus Dahlem an den historischen Ursprungsort Berlins zu verlagern -
weil damit in der Mitte der internationalsten Stadt Deutschlands,
dem Ort einer besonders verdichteten europäischen und
internationalen Kommunikation, ein Weltkulturerbe
zusammengeführt würde - und weil der "Lustgarten" einen
sympathischen Rahmen für internationale, interkulturelle
Begegnungen bietet.
Eine solche Lösung würde der Bundeshauptstadt, aber auch
unserer parlamentarischen Demokratie insgesamt gut zu Gesicht
stehen. Schließlich hat die Demokratie als Bauherr - um
nochmals an Adolf Arndt anzuknüpfen - eine besondere
Verantwortung dafür, dass in ihren Bauten wie dem sie
umgebenden Landschaftsraum die demokratischen Grundwerte der
Zivilgesellschaft anschaulich und erfahrbar werden: kulturelle
Vielfalt, Offenheit und Toleranz, Förderung gesellschaftlicher
Verständigung und politischer Mündigkeit, nachhaltiger
Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen. Dazu kann die
Landschaftsarchitektur wesentlich beitragen. Deshalb wünsche
ich dem "Deutschen Landschafts-Architektur-Preis" auch weiterhin
eine inspirierende Wirkung auf städtebauliche und
landschaftsgestalterische Vorhaben in Berlin wie darüber
hinaus."
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