Bundestagspräsident Thierse gratuliert Jürgen Habermas
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat dem
diesjährigen Träger des "Friedenspreises des Deutschen
Buchhandels", Professor Dr. Jürgen Habermas, im Namen des
Deutschen Bundestages gratuliert. In dem Schreiben heißt es
u.a.:
"(...) Der "Friedenspreis" würdigt das Lebenswerk eines der
bedeutendsten Philosophen unserer Zeit, der im In- und Ausland das
Denken ganzer Generationen von Wissenschaftlern und Studenten
geprägt hat - aber nicht nur sie. Vielmehr haben Sie immer
wieder öffentlich zu gesellschaftlich-politischen Problemen
Stellung genommen. Es gibt kaum eine bedeutende Debatte der
vergangenen vier Jahrzehnte, zu der Sie nicht in Schrift und Wort
Grundlegendes beigetragen hätten. Die 68er Bewegung, der
Historikerstreit, die Frage des Verfassungspatriotismus und die
Notwendigkeit postnationalen Denkens im Zeitalter der
Globalisierung - diese und andere gesellschaftlichen Diskussionen
sind eng mit Ihrem unbeirrbar kritischemanzipatorischen Denken
verbunden.
Als Philosoph sind Sie stets zugleich ‚Citoyen' - ein
kritischer Bürger, der mitwirkt an der Fortführung des
immer noch ‚unvollendeten Projekts der Moderne', wie Sie es
bezeichnen. Den Prozess gesellschaftlicher Selbstaufklärung
verstehen Sie als Aufgabe, offene oder verdeckte autoritäre
Herrschaftsformen zu entlarven und ideologiekritisches Denken wie
Handeln, damit demokratische Mündigkeit insgesamt zu
fördern. Durch Ihre Schriften ist die Bedeutung der Sprache
für gesellschaftliches Handeln, gerade für die politische
Willens- und Meinungsbildung, einer breiteren Öffentlichkeit
nachdrücklich ins Bewusstsein gerückt worden. Vieles von
dem, was wir heute an Sprachkritik und Sprachsensibilität z.B.
in der öffentlichen Auseinandersetzung mit den
Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus, bei Journalisten,
Lehrern, Studenten, übrigens auch bei Politikern, beobachten
können, entstammt Ihren kommunikationstheoretischen
Arbeiten.
Der Leitgedanke Ihres wissenschaftlichen Denkens und Handelns ist,
wie es der ‚Friedenspreis' treffend zum Ausdruck bringt,
stets der gesellschaftliche Frieden. Darunter verstehen Sie eine
Gesellschaft freier, kritischer Bürgerinnen und Bürger,
die die demokratischen Grundwerte verteidigt, aber zugleich offen
ist für gesellschaftlich-politische Heterogenität sowie
kulturelle Vielfalt. In jüngerer Zeit haben Sie verstärkt
auf die Notwendigkeit postnationaler Handlungskonzepte in
Wirtschaft und Politik aufmerksam gemacht - zu Recht, denn der
Prozess der Globalisierung erfordert weit mehr als nur
ökonomische Entgrenzung. Vielmehr kommt es darauf an, auch in
einer sich abzeichnenden Weltge-sellschaft die Forderung nach
Einhaltung der Menschenrechte, sozialer Gerechtigkeit und
individueller Freiheit als oberste Priorität zu
verankern.
Sehr geehrter Herr Professor Habermas, lassen Sie mich
abschließend für viele Ihrer Leserinnen und Leser in
Ostdeutschland hinzufügen, wie wichtig Ihre Bücher und
Aufsätze für uns gewesen sind. Gerade junge
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der DDR der 80er Jahre
wurden durch Ihr Denken herausgefordert und geprägt - nicht
zuletzt, weil Ihre Schriften uns das horrende Defizit an
systematischer Gegenwartsdiagnose in der DDR-Philosophie
verdeutlichten und die dringend notwendige Rezeption der westlichen
Philosophie und Soziologie des 20. Jahrhunderts bewusst
machten.(...)"
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