Thierse bekräftigt Haltung zum 13. August
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Merz hat zum wiederholten Male
Briefe von bzw. an Bundestagspräsident Thierse der Presse zur
Veröffentlichung zugespielt. Der Inhalt des letzten Schreibens
von Thierse an Merz wird in der heutigen Ausgabe der Bild-Zeitung
verkürzt und teilweise entstellend wiedergegeben. Der
Bundestagspräsident legt Wert auf die Feststellung, dass er -
bezogen auf den Parteilichkeitsvorwurf - Herrn Merz am 16. August
folgendes mitgeteilt hat:
"Sehr geehrter Herr Kollege Merz,
ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 15. August 2001. Mir
scheint, dass Sie (wie manche Ihrer Fraktionskolleginnen und
-kollegen) darin erneut ein Mißverständnis
überstrapazieren, das ich an dieser Stelle noch einmal
grundsätzlich klarstellen möchte.
Wie alle meine Vorgängerinnen und Vorgänger nehme ich
neben dem Amt des Parlamentspräsidenten auch weiterhin andere
politische Aufgaben wahr. Wie sie wurde ich mit meiner Wahl nicht
zu einem "politischen Neutrum". Vielmehr verpflichtet mich diese
Funktion zur parteipolitischen Neutralität in meiner
Amtsführung.
Die von Ihnen zitierten Äußerungen, zu denen ich weiter
stehe und an denen es nichts zurückzunehmen gibt, habe ich in
der fraglichen Sendung erkennbar als Berliner Politiker, ehemaliger
DDR-Bürger und stellvertretender Parteivorsitzender der SPD
getan. Sie werden gewiß nicht von mir erwarten wollen, dass
ich als jemand, der sein Leben überwiegend "hinter der Mauer"
verbracht hat, nun ausgerechnet zu diesem Thema Journalistenfragen
nicht beantworte, das für mich in besonderer Weise mit
Emotionen behaftet ist.
Eine letzte Bemerkung: Es spricht für die "Ernsthaftigkeit"
Ihres Anliegens, dass Sie Ihr Schreiben an mich zum selben
Zeitpunkt einem Berliner Boulevardblatt zukommen lassen, an dem es
meinem Büro zuging. Dieser schlechte Stil dürfte kaum zu
übertreffen sein.
Ich erlaube es mir, Ihnen ein Exemplar der Rede beizufügen,
die ich - als Bundestagspräsident - auf der offiziellen
Gedenkveranstaltung am 13. August gehalten habe."
Bundestagspräsident Thierse hat zu dieser Rede große und
ungeteilte Zustimmung aus allen Fraktionen des Deutschen
Bundestages erhalten. Sie enthält Bewertungen der historischen
Ereignisse, die nach seiner Auffassung anstelle von
Wahlkampfgezänk im Zentrum der öffentlichen Debatte um
den 13. August stehen sollten:
"... im Gedächtnis unserer Stadt ist die Mauer tiefer
verwurzelt als die physische Abwesenheit dieses Bauwerks uns heute
mitunter glauben macht. Es gibt Bilder, Worte, Gefühle, die
man nie vergißt - die vom 13. August 1961 gehören dazu,
sie sind für immer im kollektiven Gedächtnis der Berliner
... Vom ersten Tag an war die Mauer untrügliches Symbol
für einen politischen Zynismus, der vor keinem menschlichen
Leid Halt machte. Vom ersten Tag an war die Berliner Mauer
steingewordene Metapher einer menschenverachtenden Politik. Sie war
es 30 Jahre lang und ist es bis heute."
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