Ansprache des Präsidenten des Deutschen Bundestages,Wolfgang Thierse zur Ausstellungseröffnung "Tatort Stadion. Rassismus und Diskriminierung im deutschen Fußball" am 7. November 2001 in Berlin
Es gilt das gesprochene Wort
"Der Fußball hat in unserer Gesellschaft zwei Gesichter: es
gibt die vielen Fans, die aus Freude am Fußballspiel in die
Stadien strömen. Nicht wenige reisen quer durch Deutschland
und sogar Europa, um ihr Team bei Auswärtsspielen
sportlich-fair zu unterstützen. Solche Fans braucht der
Fußball, brauchen gerade die Vereine.
Aber es gibt eben auch das andere, abstoßende Gesicht des
Fußballs: brutale Ausschreitungen von Personen, die man nicht
mehr als Fans, sondern nur noch als Fanatiker oder neudeutsch als
Hooligans bezeichnen kann. Ihr Interesse gilt nicht dem Spiel,
sondern ausschließlich der Randale. Blinde Aggression in und
um unsere Stadien wäre schon schlimm genug.
Gesamtgesellschaftlich gefährlich wird dieses Gewaltpotential
jedoch, wenn es von rechtsextremistischem Gedankengut infiltriert
und gelenkt wird. Dann richtet sich die Aggressivität gezielt
gegen jene, die nicht den Denkkategorien der Neo-Nazis entsprechen,
gegen Andersfarbige wie Andersdenkende.
Jeder Stadionbesucher kennt die Folgen: was mit rassistischen
Schmährufen gegen ausländische Spieler oder Zuschauer
beginnt, kann sich bis zu schwersten gewalttätigen
Ausschreitungen steigern. Immer häufiger setzt sich die Gewalt
von den Stadien in die Städte fort. Aus Angst vor Vandalismus
werden die Schaufenster der Innenstädte verbarrikadiert, ist
oft ein Großaufgebot von Polizei im Einsatz. Und dennoch
kommt es immer wieder zu Exzessen. Ein erschreckendes Beispiel
dafür war der Angriff auf den französischen Polizisten
Daniel Nivel. Bei einem Weltmeisterschaftsspiel 1998 in Frankreich,
das von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet war, wurde er von
deutschen Hooligans lebensgefährlich verletzt. Daniel Nivel
überlebte - aber er ist dauerhaft schwer behindert.
Solche Vorfälle zeigen auch, dass der Widerstand gegen die
Gewalt im Fußball nicht allein Polizei und Justiz
überlassen werden darf. Vielmehr sind alle echten Fans
gefordert, sich zur Wehr zu setzen - nicht nur in Deutschland,
sondern in ganz Europa, denn inzwischen gibt es einen europaweiten
Hooligantourismus. Und natürlich versuchen
rechtsextremistische Drahtzieher auch auf dieser Ebene, Zulauf
für ihre Parolen zu finden.
Der Zusammenhang zwischen Fußball und Rechtsextremismus ist
zu lange heruntergespielt worden worden. Dabei kann er eigentlich
niemanden überraschen. Die Fankurven in den Stadien bieten
Neo-Nazis einen schwer kontrollierbaren Freiraum für ihre
Aktivitäten. Die erhöhte Gewaltbereitschaft und die damit
verbundene niedrige Gewaltschwelle der Hooligans sind willkommener
Nährboden für die "braune" Hetze. Zwar nicht alle
Hooligans, aber doch ein beträchtlicher Teil hat sich als
anfällig für neonazistische Parolen erwiesen. Und diese
Anfälligkeit für rechtes Denken und Handeln wächst.
Das zeigen gerade die Erfahrungen in den Regional- und
Amateurliegen. Hier gibt es immer wieder erschreckende Fälle
von Ausländerfeindlichkeit. Das reicht bei Spielen
türkischer Vereine von rassistischen Sprechchören bis zur
Hetzjagd auf Spieler und Fans. Ausländer, die mitten in
Deutschland um ihr Leben rennen müssen - eine erschreckende,
eine inakzeptable Vorstellung.
Das Beispiel Fußball unterstreicht, dass Rechtsextremismus
kein Randphänomen ist. Er kommt aus der Mitte der Gesellschaft
und breitet sich von dort oft unterschwellig aus - wenn ihm nicht
Widerstand entgegengesetzt wird.
Erfreulicherweise gibt es inzwischen mehr Engagement gegen
Rassismus und Diskriminierung in unserer Gesellschaft - auch im
Fußball. Viele Vereine sind hier aktiv. Mit Projekten werden
die Fans enger an den Verein gebunden und in die Vereinsarbeit
einbezogen - beim Training der Schülermannschaften, beim
Ausbessern des Vereinsheims, bei der Organisation des
Kartenvorverkaufs, auch als Stadionordner oder Fanbegleiter bei
Auswärtsspielen. Solche Angebote sind besonders wichtig
für arbeitslose oder auffällig gewordene Jugendliche,
für die z.B. wegen fehlender familiärer Bindungen oder
Arbeitslosigkeit der Verein oder Fanclub ein wesentliches
Identifikationsobjekt darstellt. Gerade ihnen kann die Mitarbeit
eine Integrationsmöglichkeit bieten, die sie dem Einfluss der
rechten Szene entzieht.
Solche Potentiale können noch viel stärker genutzt
werden.
Uns mit rechter Gewalt abzufinden, wäre für den
Fußball fatal. Er lebt von sportlichem Wettstreit, Teamgeist
und Fairness. Wie in kaum einer anderen Mannschaftssportart treffen
in den Vereinen Fußballer und ihre Fans aus vielen
Ländern und Kulturen zusammen. Fußball kann
Freundschaften zwischen Fans aus unterschiedlichen Städten,
Regionen oder Ländern entstehen lassen, Offenheit,
Gastfreundschaft, Integration und Völkerverständigung
fördern. Die weltweite Faszination am Fußball
eröffnet also Chancen für friedliches, tolerantes
Miteinander - auf dem Spielfeld wie in den Stadien, aber auch weit
darüber hinaus. Es muss dabei bleiben, dass der Fußball
in diesem guten Sinn von sich reden macht. Und es darf keinesfalls
dazu kommen, dass "die schönste Nebensache der Welt" zum
Instrument rechtsextremistischer Unterwanderung unserer
Gesellschaft werden kann.
Wie man gegen Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Gewalt im
Fußball angehen kann, macht diese Ausstellung bewusst:
Fanprojekte in den Stadien, Informationsveranstaltungen an den
Schulen, Freundschaftsturniere mit ausländischen Mannschaften,
europaweite Fangruppen-Begegnungen. Ob Fußballfans, Spieler,
Verbände oder Vereine - hier sind alle gefordert, hier
können alle Beiträge leisten. Dort, wo Rechtsextremisten
ihre Anhänger suchen, muss Gegenwehr entstehen. Und
diejenigen, die den verqueren Ideologen nicht das Feld - weder das
Fußballfeld noch die Fankurve - überlassen wollen,
verdienen Unterstützung. Rassistischen Rufen widersprechen,
Anpöbelungen ausländischer Besucher entgegentreten, bei
gewalttätigen Ausschreitungen die Platzordner oder die Polizei
informieren - so handeln wirkliche Fußballfans. Nicht die
Hooligans, sondern sie gehören ins Rampenlicht der Medien und
der Öffentlichkeit.
Deshalb hoffe ich, dass diese Ausstellung in vielen Städten
gezeigt wird und viele Freunde des Fußballs zum Engagement
gegen rechtsextremistische Gewalt motiviert. Je mehr Menschen sich
gegen Rechts einsetzen, um so weniger werden nationale Parolen,
rassistisches Denken und menschenverachtendes Handeln eine Chance
haben - in unseren Stadien wie in unserer Gesellschaft
insgesamt.
Die Ausstellung "Tatort Stadion" ist eröffnet".
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