Gute Aussichten für das bürgerschaftliche Engagement
Zum Abschluss des Internationalen Jahrs der Freiwilligen 2001 in
Deutschland erklärt der Vorsitzende der Enquete-Kommison des
Deutschen Bundestages "Zukunft des Bürgerlichen Engagements",
Dr. Michael Bürsch:
Ein Jahr geht zu Ende, das bürgerschaftliches Engagement in
Deutschland sichtbarer gemacht und das Bewusstsein dafür
geschärft hat, dass dieses Engagement die unabdingbare
Voraussetzung für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist. Der
Dank dafür gilt zunächst den Vereinen und Verbänden,
den Trägern bürgerschaftlichen Engagements. Viele von
ihnen haben das Jahr mit eigenen Kampagnen und Veranstaltungen
begleitet. Vereine, Verbände, Initiativen und Projekte bilden
unsere Bürgergesellschaft und den Nährboden
bürgerschaftlichen Engagements - ohne sie ist der Sport, die
Wohlfahrtspflege, die Kultur und vieles andere in Deutschland nicht
zu denken. Für die damit verbundene Arbeit, ob haupt- oder
ehrenamtlich, möchte ich mich an dieser Stelle herzlich
bedanken.
Aber vor allem gilt der Dank natürlich den Ehrenamtlichen,
Freiwilligen, bürgerschaftlich Engagierten selbst. Sie stehen
im Mittelpunkt des Jahrs der Freiwilligen und zu Recht im
Mittelpunkt der heutigen Feier. Eine repräsentative Gruppe der
insgesamt 22 Millionen Engagierten ist heute hier: Sie helfen im
Rettungsdienst und in der Freiwilligen Feuerwehr, sie versorgen
Kranke und Hilfsbedürftige, sie kümmern sich um die
Umwelt und vertreten politische Anliegen als "Themenanwälte"
in der Öffentlichkeit. Und sie tragen zur Vielfalt kulturellen
Lebens in Deutschland bei - ob im Heimatmuseum, im Theaterprojekt
oder im türkischen Kulturverein. Allen 22 Millionen sage ich
heute ein herzliches Dankeschön!
Es geht auch ein Jahr tragischer Ereignisse zu Ende, das
überschattet ist von den Bildern des 11. September, von Terror
und Gewalt. Die Anschläge in New York und Washington und die
Folgen haben unsere Welt verändert; vieles sieht heute anders
aus als vor einem Jahr, als wir in Bonn das Internationale Jahr der
Freiwilligen eröffnet haben. Tief bewegt haben uns nicht
zuletzt Bilder freiwilligen Engagements aus den USA: die
freiwilligen Helferinnen und Helfer in den Trümmern des World
Trade Center, von denen nicht wenige selbst ihr Leben eingesetzt
haben. In Schrecken und Trauer geben sie uns auch ein Zeichen der
Hoffnung. Diese Menschen sind für mich die "Freiwilligen des
Jahres" - sie verdienen ganz besonderen Respekt und besondere
Anerkennung.
Was hat das Internationale Jahr der Freiwilligen erbracht, wie
sieht die Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements aus? Ich
will hier nur drei Punkte nennen, die mir besonders wichtig
erscheinen:
· Vielfalt: 22 Millionen engagierte Menschen lassen sich
nicht über einen Kamm scheren. Ihre freiwilligen
Tätigkeiten sind so unterschiedlich wie die Motive, die sie
dazu bewegen. Die Organisationsformen reichen von der befristeten
Projektinitiative bis zum klassischen Verein oder der
Kirchengemeinde. Diese Vielfalt sperrt sich gegen eine
Vereinheitlichung von Rahmenbedingungen oder
Fördermaßnahmen. "Den Ehrenamtlichen" oder "die
Ehrenamtliche" gibt es nicht; jede Tätigkeit hat ihren eigenen
Sinn und braucht ihre eigene angemessene Form der
Unterstützung.
· Anerkennungskultur: Eine Unterstützung ist allen
Formen bürgerschaftlichen Engagements angemessen. Was das Wort
"Ehre" im "Ehrenamt" für manche heute nicht mehr ganz
zeitgemäß ausdrückt, ist im Kern nach wie vor
aktuell: Engagierte wollen etwas zurückbekommen für ihr
Engagement, und zwar nicht in erster Linie Geld und
Vergünstigungen, sondern Anerkennung. Das reicht von
Auszeichnungen über eine Resonanz in den Medien, über
Mitgestaltungsmöglichkeiten bis zur Erstattung von Auslagen.
Nicht auf die einzelnen Maßnahmen kommt es an, sondern auf
ihre richtige Mischung - entscheidend ist, dass Anerkennungskultur
eine Wertschätzung und Würdigung des
Bürgerengagements in der Gesellschaft ausdrückt.
· Partnerschaften und Netzwerke: Mit der Aufwertung
bürgerschaftlichen Engagements ist auch ein bestimmtes
Gesellschaftsbild verbunden: die Bürgergesellschaft, in der
die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung übernehmen
und der Staat die Aufgabe hat, diese Selbstorganisation nach
Kräften zu ermöglichen. Der dritte Partner in der
Bürgergesellschaft sind die Unternehmen. Wenn ein Unternehmen
mit einer gemeinnützigen Organisation zusammen ein Projekt
durchführt, haben alle etwas davon: Bürgerschaftliches
Engagement wird durch die Mitwirkung der Wirtschaft stärker,
die beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens
gewinnen soziale Kompetenzen, die dem Unternehmen unmittelbar
zugute kommen.
Was kann nun die Politik tun, um diese Zukunftslinien
bürgerschaftlichen Engagements zu unterstützen? Sie kann,
wie im Internationalen Jahr der Freiwilligen oder beim
jährlichen Tag des Ehrenamts, durch öffentliche
Veranstaltungen ihren Beitrag zur Anerkennungskultur leisten. Das
ist nicht wenig, aber es reicht natürlich nicht aus, um
bürgerschaftliches Engagement nachhaltig zu fördern.
Folgendes sollte die Politik beachten:
· Wir brauchen praktische Rahmenbedingungen, die
bürgerschaftliches Engagement nicht behindern, sondern
fördern. Das betrifft eine Vielzahl von Fragen:
bürokratische Verfahrensweisen ebenso wie Auslagenerstattung
und Versicherungsschutz. Wer sich engagiert, darf nicht der Dumme
sein; wer etwas für andere und die Gemeinschaft tut, sollte
nicht dazu auch noch Geld mitbringen müssen. Und vor allem:
Engagierte müssen besser gegen Schäden abgesichert sein.
Das betrifft Fragen der Unfallversicherung und des
Haftpflichtschutzes.
· Wir brauchen eine Öffnung staatlicher Institutionen
für bürgerschaftliches Engagement. Möglichkeiten,
sich zu engagieren, dürfen nicht dort enden, wo politische
Entscheidungen getroffen werden. Im Gegenteil: Gerade dort, wo es
politisch wird, wo Angelegenheiten, die alle angehen,
öffentlich ausgetragen werden, kommt das
"Bürgerschaftliche" am Engagement zum Tragen. In einer
Bürgergesellschaft, in der Demokratie und Solidarität
durch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger mit Leben
erfüllt werden, muss der Staat bereit sein, Macht abzugeben,
ohne sich seiner sozialen Verantwortung zu entziehen.
Die Förderung bürgerschaftlichen Engagements ist eine der
großen Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft, davon bin ich
überzeugt. Ich wünsche mir, dass sich die Politik auch
über das Internationale Jahr der Freiwilligen hinaus dieser
Zukunftsaufgabe stellt - mit Nachhaltigkeit.
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