Rede von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zum Abschluss der Vortragsreihe anlässlich des 350. Geburtstags von Engelbert Kaempfer am 15.3.2002 in Lemgo
Thema: Engelbert Kaempfer und der Dialog der
Kulturen
Es gilt das gesprochene Wort
"Im April 2001 habe ich während eines offiziellen
Japan-Besuchs in Nagasaki auf der der Stadt vorgelagerten Insel
Deshima das wieder aufgebaute Haus besichtigt, in dem Engelbert
Kaempfer von 1690 bis 1692 gelebt hat. Deshima war damals Japans
Tor zur Welt, während das restliche Land fast vollständig
gegen diese Außenwelt abgeschirmt wurde. Welch ein Gegensatz
dazu Kaempfer, der sich eingelassen hat auf Fremdes. Er war, wie er
selbst schrieb: "wissbegierig", offen für neue Erkenntnisse
und Erfahrungen. Und er war bereit, die eigene Kultur auch aus der
Perspektive der anderen zu betrachten. Wie naheliegend ist da doch
die Antwort auf die Frage nach der Aktualität von Kaempfers
Denken und Handeln, die mir hier, in seiner Geburtstadt Lemgo
gestellt wird. Sie fällt - trotz einer historischen Distanz
von über 300 Jahren doch erstaunlich - überhaupt nicht
schwer.
Kämpfer wollte etwas, das wir heute Dialog der Kulturen nennen
würden. Er wollte aus der Perspektive des Fremden das Eigene
besser erkennen, er wollte von anderen lernen und sein eigenes
Wissen im Gegenzug zur Verfügung stellen. Allerdings: 300
Jahre später wissen wir zwar immer noch zu wenig über die
Kultur Japans. Aber der Aufklärer Engelbert Kaempfer hat in
Europa, das sich damals - und mitunter auch noch heute
stillschweigend - als die Wiege der Kultur betrachtet, Zweifel an
dieser ahnungslosen Selbstüberschätzung gesät. Man
erfuhr durch ihn von dem Reichtum der japanischen Kultur, einer
Hochkultur, die viel älter und historisch gesehen
erfolgreicher als unsere eigene ist. Trotzdem ist Japan heute zwar
allgegenwärtig und bleibt doch ein fernes, exotisches Land,
mit dem sich nur wenige ernsthaft beschäftigen. Man soll nicht
vergessen, dass Deutschland und Japan Verbündete waren in
Hitlers Weltkrieg. Kaempfer hat sich bestimmt nicht die ungeheure
Vernichtungskraft der Atombombe vorstellen können, die seinen
damaligen Aufenthaltsort vollständig zerstörte. Nagasaki
ist heute eine besondere japanische Stadt, in der mehr als anderswo
die eigene Verantwortung, die eigenen Untaten im zweiten Weltkrieg
anerkannt, beim Namen genannt werden und die deshalb besonders
eindrucksvoll für den Frieden in der Welt eintritt.
Heute gibt es wieder eine enge und gute politische Zusammenarbeit
zwischen Deutschland und Japan - z.B. im Rahmen der G7- und
G8-Runden. Unsere Länder gehören zu den führenden
Wirtschaftsnationen der Welt, sie pflegen naturgemäß
enge und erfolgreiche ökonomische Beziehungen. Über
30.000 Japaner leben in unserer Mitte. Aber japanische Geschichte,
Philosophie, Literatur und Kunst ist den Deutschen nur selten
vertraut - zum eigenen Schaden. Wir schauen - zuletzt oft mit
Besorgnis - auf die Börse in Tokio. Ich habe erlebt, dass
Japaner auch und besonders auf deutsche Kultur schauen, von
Beethoven über Goethe bis hin zu zeitgenössischen Autoren
und jungen bildenden Künstlern. Der Verdacht regt sich, dass
diese Japaner mehr von Kaempfer gelernt haben als dessen deutsche
Landsleute.
Die Bedeutung von Engelbert Kaempfers Lebenserfahrungen reicht
natürlich über die deutsch-japanischen Kulturbeziehungen
hinaus. Seine Weltreise bis Nagasaki und Tokio brachte ihn
zwangsläufig mit vielen anderen Kulturkreisen in Kontakt: mit
der russischen, der indischen und vor allem - während seines
Persien-Aufenthaltes - mit der islamischen Kultur. Die
weltumspannenden Handelsbeziehungen der "Vereinigten Ostindischen
Compagnie", in deren Dienste Kaempfer nach Indien und Japan
gelangte, erinnern nicht zufällig an die "global players" der
Gegenwart. Was zu Kämpfers Zeit ein langwieriger,
komplizierter Handels- und Warenaustausch zwischen
Hansestädten, Staaten und Kontinenten war, hat heute als
‚Globalisierung' eine ganz andere Qualität und Dynamik,
die uns rund um den Globus zu Nachbarn macht - mit allen Vor- und
Nachteilen enger Nachbarschaft. Die ökonomische Globalisierung
ist ein Fortschritt in vielerlei Hinsicht, aber sie ist auch zu
einem weltweiten Problem geworden. Bei der Bewältigung und
Überwindung dieses Problems sollten wir uns Kaempfers Neugier,
seines Wissensdurstes, seiner Offenheit erinnern. Es würde
helfen.
Zu Lebzeiten von Engelbert Kaempfer mag es so gewesen sein, dass
der Handel einen Mann in die Fremde ziehen konnte oder dass
derjenige, den das Fernweh plagte, sich dem Handel verschrieb, um
ihm nachgeben zu können. Der gewöhnliche Fall aber war es
nicht, allzu weit von zu Hause weg zu kommen. Heute dürfte
immer noch die Mehrheit der Menschen keine Möglichkeiten
haben, die fünf Kontinente zu bereisen. Aber wir verlangen aus
gutem Grund von unseren Kindern Fremdsprachenkenntnisse. Wir
empfehlen den Studierenden, ein paar Semester im Ausland zu
verbringen, wir organisieren Schüleraustausch nach Amerika, in
die Karibik und natürlich innerhalb der EU.
Wir suchen überall in der Welt nach Computer-Fachleuten, wie
in den sechziger Jahren Arbeiter angeworben wurden. Nicht nur
moderne Verkehrs- und Kommunikationstechnik, nicht nur die
blitzartige Geschwindigkeit, in der sich das Finanzkapital rund um
den Globus bewegt, holen die Fremde in unsere Nähe. Wir leben
längst Tür an Tür mit Mitmenschen, die fremden,
andersartigen Kulturen angehören. Was vor 300 Jahren die
Ausnahme war, eine bewusste Entscheidung verlangte, sich dem
Fremden auszusetzen, wird in Europa doch zur
Selbstverständlichkeit. Madame Butterfly und Scheherezade sind
nicht bloß Opern- und Märchenfiguren, sie sind Nachbarn.
Die 30.000 Japaner, die unter uns leben, habe ich schon
erwähnt. Wir haben 3,5 Millionen Mitbürger islamischen
Glaubens. Es ist keine Frage der Freiwilligkeit mehr, dem Fremden
ausgesetzt zu sein. Die Fähigkeit zur Toleranz, zur
Auseinandersetzung, zum Zusammenleben mit anderen Kulturen
zählt der Sozialwissenschaftler Oskar Negt zu den sieben
Schlüsselqualifikationen, die wir unseren Kindern vermitteln
müssen, wenn wir in der globalisierten Welt in Frieden
zusammenleben wollen.
In gewisser Weise müssen wir alle zu Engelbert Kaempfers
werden.
Das Grauen des 11. Septembers 2001 hat uns vor Augen geführt,
wie weit wir davon noch entfernt sind. Da waren einige
Fundamentalisten am Werk, Menschen, die ihre islamistische
Weltsicht mit Gewalt anderen aufzwingen wollten. Denen fehlte die
Schlüsselqualifikation interkultureller Kompetenz noch. Uns
nicht? Was anderes sind unsere Rechtsextremisten als die oft
weniger intellektuelle, weniger gebildete, von niederen Instinkten
angetriebene Spielart eines fremdenfeindlichen,
fundamentalistischen Alleinvertretungsanspruchs? Ich will mich
nicht mit den Unterschieden zwischen Al-Quaida-Mitgliedern,
palästinensischen Selbstmordattentätern und jungen,
dumpfen, rassistischen deutschen Männern beschäftigen.
Die Unterschiede sind enorm und würden viele Seiten
füllen, wenn sie aufgezählt werden sollten.
Zu den Gemeinsamkeiten gehört die Absolutsetzung des als das
Eigene Empfundenen, gehört die Erfahrung von Ohnmacht und
Aussichtslosigkeit, gehört ein klar definiertes Feindbild und
die Fähigkeit zum Hass. Es sind die Zeiten des Wandels, in
denen sich viele solchen archaischen Instinkten und Empfindungen
hingeben. Andere Kulturen muss man dann nicht kennen, es reicht,
sie zum Feindbild zu stilisieren. Kaempfer wollte sie kennen. Und
darin bleibt er vorbildlich.
Der Dialog der Kulturen, für den ich Kaempfer hier gerade
instrumentalisiere, für den ich aus Anlass dieser
Veranstaltung werben will, ist beileibe keine Idylle. Er
erschöpft sich nicht darin, dass sich Geistliche und Gelehrte
aus Islam und Christentum, aus Buddhismus, Hinduismus, Shintoismus
und Judentum an einen runden Tisch setzen und über
Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer Religionen reden. Ich will
diese gute Absicht nicht karikieren, im Gegenteil: Ich halte den
interreligiösen Dialog für dringend notwendig, und bei
der Verständigung der Religionsgelehrten gibt es große
Fortschritte. Das Unwissen über andere Religionen ist ein
Nährboden für die Vorurteile und Feindbilder, für
gefährliche Mythen, Irrationalismen und Machtmissbrauch. Und
dem wirkt der interreligiöse Dialog entgegen.
Das Mindeste und zugleich doch Wichtigste, was im Dialog der
Kulturen erreicht werden soll - nämlich friedliche Koexistenz
- setzt voraus, religiöse Differenzen und interkulturelle
Spannungen auszuhalten. Sicher: Toleranz ist eine schwierige, herbe
Tugend, die so ziemlich das Gegenteil ist von bequemem
laissez-faire, von Werterelativismus, von Beliebigkeit und
Überzeugungslosigkeit. Die notwendige Voraussetzung für
einen Dialog der Kulturen kann Toleranz nur dann sein, wenn sie
nicht auf Indifferenz, sondern auf gegenseitigem Respekt beruht.
Eine richtig verstandene Toleranz liegt für mich in dem
Versuch, immer wieder neu die unterschiedlichen Werthaltungen,
Entscheidungsgrundlagen und Erwartungen auszuloten, und doch einen
Kern an Gemeinsamkeiten zu identifizieren. So gesehen ist der
Dialog der Kulturen ein ständiger Lernprozess.
Und damit ich nicht missverstanden werde: Dieser Dialog ist viel
weniger eine abstrakte, internationale Aufgabe als eine ganz
konkret zwischen Individuen und Gruppen hier und heute in unserem
Land. Die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime habe ich bereits
genannt - ist uns diese Herausforderung eigentlich schon bewusst?
Haben wir wirklich schon begriffen, dass darin nichts Bedrohliches
stecken muss, sondern auch Chancen liegen? Wenn wir, die eigene
Kultur bewahrend, den Beweis antreten, dass Religionsfreiheit und
Nichtdiskriminierung wirklich für alle Menschen gelten, welche
Folgen mag das für den Islam haben? Es handelt sich ja beim
Islam nicht um einen monolithischen Block. Das islamische
Königreich Marokko ist Europa sehr viel näher als der
Iran - Kaempfers Persien -, der aber das einzige islamische Land im
Nahen und mittleren Osten ist, das sich auf den Weg zur Demokratie
gemacht hat.
Für den Islam ist die wohl größte Zumutung die
Konfrontation mit der westlichen Offenheit, mit
Säkularisierung und Religionsfreiheit. Der Weg dahin, also zur
Trennung von Kirche und Staat, der deutlichen Unterscheidung von
Religion und Politik, der Prozess der Aufklärung also, hat in
Europa einige hundert Jahre Zeit gebraucht, und nun wird er den
islamischen Gesellschaften binnen kürzester Frist abverlangt.
Dies als Zumutung zu erkennen heißt nicht, sie den
islamischen Gesellschaften zu ersparen. Doch es heißt zu
akzeptieren, dass jedes Land seinen eigenen Weg in die Moderne
finden muss.
Für die westlich geprägten Industriestaaten ist es wohl
die größte Zumutung, dass wir uns damit konfrontieren
(lassen) müssen, welche im umfassenden Sinn "kulturellen"
Folgen wir mit unserer Art des Wirtschaftens, des Produzierens, des
Vermarktens hervorrufen. Schließlich findet die Begegnung und
Durchdringung verschiedener Kulturen keineswegs unter gleichen
Voraussetzungen, mit gleichen Kräften statt. Was wir heute als
Globalisierung verstehen, ist eine westlich dominierte
Wirtschaftsstruktur, die sich über entgrenzte Märkte
ausbreitet, die in alle Kulturen eindringt und die - wenn ich diese
Schlussfolgerung wagen darf - versucht, die Menschen auf ihre
ökonomischen Funktionen als Konsumenten und Produzenten zu
reduzieren. Das kann auch uns als den Vertretern dieser Art des
Wirtschaftens nicht gefallen.
Viel zu lange hat der Westen die Augen davor verschlossen, welche
Folgen die ökonomische Globalisierung interkulturell hat, ja
haben muss - gerade für die Menschen in den Ländern der
südlichen Hemisphäre. Hunger, Armut, Naturzerstörung
und die damit einhergehenden Gefühle von Ohnmacht, kultureller
Erniedrigung und Perspektivlosigkeit sind die größte
Bedrohung für eine friedliche Welt. Die Kluft zwischen
Gewinnern und Verlierern der Globalisierung wird immer
größer - innerhalb der westlichen Gesellschaften, vor
allem aber zwischen den reichen und den armen Ländern dieser
Welt. Zwischen 1960 und 1995 konnten die 20 reichsten Länder
der Welt ihr Bruttoinlandsprodukt verdoppeln, während das der
20 ärmsten Länder praktisch gleich geblieben ist. In fast
allen Ländern, die das marktwirtschaftliche System
eingeführt haben, ist zwar die Wirtschaft gewachsen, aber die
Gewinne kamen nicht allen Menschen, sondern einer jeweiligen
Minderheit zugute. Immer noch hungern über 800 Millionen
Menschen, immer noch müssen über eine Milliarde Menschen
von weniger als einem Dollar pro Tag leben. Solche Zahlen belegen,
daß von der Globalisierung in ihrer gegenwärtigen Form
am meisten diejenigen profitieren, die es am wenigsten nötig
haben.
Was müssen, was können wir tun? Erstens tragen wir
Mitverantwortung dafür, dass die internationalen
Finanzmärkte Spekulationslawinen und Währungskrisen
auslösen, die die Menschen in den ärmsten Ländern
mit weiterer Verarmung bezahlen müssen. Wir brauchen Regeln,
Regulierungsinstrumente für diese Märkte. Zweitens stehen
wir in der Verantwortung, faire Produktions- und Handelsbedingungen
auf den globalen Güter- und Dienstleistungsmärkten zu
schaffen. Drittens brauchen wir mit Blick auf die
Arbeitsmärkte internationale Standards, um weltweit
menschengemäße Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Und vor
allem tragen wir - viertens - Mitverantwortung für den
zerstörerischen Umgang mit natürlichen
Lebensgrundlagen.
Weil der Markt von allein keine Rücksicht auf die Endlichkeit
natürlicher Ressourcen nimmt, weil er keine soziale
Gerechtigkeit schafft und erst recht keinen Respekt vor
unterschiedlichen Kulturen und Lebensweisen aufbringt, muss die
Globalisierung politisch gesteuert werden. Allerdings können
internationale Vereinbarungen nur so viel bewirken, wie die
nationalen Regierungen zulassen. Eine Führungsmacht, die sich
selbst nicht an die ausgehandelten Regeln hält, weder in der
Umwelt- noch in der Handelspolitik, kann die moralische
Autorität nicht behaupten, die sie - neben der schieren Macht
- zur Führung erst befähigen würde. Wenn die
Besinnung auf die internationale Kooperation, die sich in den
ersten Monaten nach den Terroranschlägen von New York und
Washington abzeichnete, durch politische Alleingänge wieder in
Frage gestellt wird, werden wir keine "Weltinnenpolitik"
entwickeln, die sich einem Mindestmaß an Gerechtigkeit als
Voraussetzung für Frieden verpflichtet weiß.
Prioritäten so verstandener "Weltinnenpolitik" müssen die
Bekämpfung von Ausbeutung, Hunger, Not und Seuchen sowie ein
Ende der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen
sein. Das erfordert auch eine "Weltsozialpolitik", die unter
Wahrung kultureller Eigenheiten menschenwürdige
Lebensbedingungen, ein Mindestmaß an materieller, sozialer
Sicherheit und bessere Bildungschancen schafft. Erfüllen wird
sich diese Hoffnung nur, wenn der ökonomischen Globalisierung
die kulturellen, religiösen, zivilisatorischen Bedingungen
beigebracht werden, durch die die in sich vielfältige "eine
Welt" mehr sein kann als nur ein globaler Markt.
Die Vorstellung einer "global homogenisierten Kultur" im westlichen
Stil, von der z.B. der amerikanische Philosoph Richard Rorty
schwärmt, ist bedrückend. Das Ende kultureller Vielfalt
wäre ein unersetzlicher Verlust. Schließlich braucht
jede Kultur die Bereicherung durch andere, um sich
fortzuentwickeln. Unsere eigene Geschichte ist dafür das beste
Beispiel: nicht zufällig sind die Hoch-Zeiten deutscher Kultur
stets ihre Hochzeiten mit anderen Kulturen gewesen - seien es
europäische oder außereuropäische. Das Schaffen
unseres größten künstlerischen Genies Goethe zeigt
eindrucksvoll, welch entscheidende Bereicherung er durch die
Begegnung mit der persischen und chinesischen Literatur erfahren
hat. Goethes Ginkobaum ist übrigens erst von Engelbert
Kaempfer in Europa bekannt gemacht worden. Gerade Goethe belegt:
die Erfahrung des Anderen entgrenzt das eigene Denken. Und diese
interkulturelle Perspektivenerweiterung muss gerade den
Europäern nicht schaden. Darauf hat der Kulturphilosoph Wolf
Lepenies kürzlich eindringlich hingewiesen (ich
zitiere):
"Die europäischen Gesellschaften (sind bis heute)
Belehrungsgesellschaften geblieben. Ihre Zukunft wird nicht zuletzt
von ihrer Fähigkeit und Bereitschaft abhängen, zu
Lernkulturen zu werden."
Gerade in diesem Sinne ist Engelbert Kaempfer aktuell. Er war kein
belehrender, sondern ein lernbereiter Forschungsreisender. Erst die
Begegnung mit dem Fremden kann bewusst machen, welche Auswirkungen
das eigene Handeln auf andere Kulturen hat. Und erst der fremde
Blick auf die eigene Kultur lässt erkennen, welche unserer
Werte kulturbedingt und welche universal sind, wo wir von anderen
lernen können und wo die Verständigung auf Gemeinsames
unabdingbar ist.
Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen, ist eine oft unterschätzte
Aufgabe interkultureller und interreligiöser Dialoge. Viel zu
selten wird bislang darüber gesprochen, dass das Gemeinsame im
islamischen, christlichen und jüdischen Glauben das Trennende
überwiegt. Zu selten machen wir uns klar, dass Islam,
Christentum und Judentum in wesentlichen Anschauungen
übereinstimmen - in der Gleichheit aller Menschen vor Gott, in
der Verpflichtung auf soziale Gerechtigkeit und Barmherzigkeit,
Wahrhaftigkeit und Liebe und - natürlich - in der Forderung
nach der Bewahrung des Friedens. Nicht das Trennende, sondern das
Verbindende zwischen den Kulturen der Welt verdient es,
stärker herausgestellt zu werden als bisher.
Zum Schluss komme ich zurück auf die deutsch-japanischen
Kulturbeziehungen. Dafür sind nicht immer die Anderen, die
Oberen, die Politik, die Experten zuständig. Dann blieben die
Kulturbeziehungen leblos. Aber zwischen Japan und Deutschland gibt
es bereits heute eine Vielzahl von Initiativen, Gremien und Foren.
Ich nenne nur das "Japanisch-Deutsche Zentrum" in Berlin oder das
"Deutsch-Japanische Dialogforum", das jährlich abwechselnd in
Deutschland oder Japan tagt. Erwähnt sei aber auch der Vertrag
über das "Working Holidays-Programm", den Bundeskanzler
Schröder und der damalige japanische Ministerpräsident
Obuchi 1999 unterzeichnet haben. Dieses - erfreulich erfolgreiche -
Programm ermöglicht jungen Menschen unserer beiden Staaten,
bis zu einem Jahr im jeweils anderen Land zu arbeiten, um die
andere Sprache und Kultur kennenzulernen.
Natürlich werden Kulturbeziehungen erst durch Kontakte
zwischen Menschen mit Leben erfüllt. Gastfreundliche
Begegnungen mit den in unserer Mitte lebenden Japanern, Reisen nach
Japan, z.B. im Rahmen von Städte- und
Universitätspartnerschaften, das betreiben die
deutsch-japanischen Freundeskreise - wie die "Engelbert
Kaempfer-Gesellschaften" in der Hansestadt Lemgo und im japanischen
Hakone. Ihre gemeinsame Beschäftigung mit Kaempfers Lebenswerk
ist ein gutes Signal für künftige interkulturelle
Dialoge."
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