Bundestagspräsident Thierse führt neuen Präsidenten des Bundesrechnungshofes in sein Amt ein
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Es gilt das gesprochene Wort
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse
nimmt heute die Amtseinführung des neuen Präsidenten des
Bundesrechnungshofes, Prof. Dr. Dieter Engels, vor. Bei einer
Feierstunde im ehemaligen Bonner Plenarsaal (Beginn: 10 Uhr)
führt der Bundestagspräsident aus:
„Im November 2000 haben wir an diesem Ort das
fünfzigjährige Bestehen des Bundesrechnungshofes gefeiert
– damals noch unter der Präsidentin Hedda von Wedel,
deren Amtsführung im Plenum des Deutschen Bundestages Dank
gefunden hat. Sie ist in der Zwischenzeit einem Ruf an den
Europäischen Rechnungshof gefolgt. Heute wollen wir den neuen
Mann an der Spitze – oder, wie es seinem
Selbstverständnis wohl eher entspricht – den Mann in der
Verantwortung in sein Amt einführen. Als Präsident einer
obersten Bundesbehörde tragen Sie, lieber Herr Engels, nicht
nur die Verantwortung für die etwa 700 Mitarbeiter des
Bundesrechungshofes selbst, sondern ebenso für die knapp 900
Mitarbeiter in den seit 1998 eingerichteten neun
Prüfungsämtern des Bundes. Darüber hinaus hat der
Präsident des Bundesrechnungshofes die sicher besonders
spannende Aufgabe, auch die eigenen Mittel – immerhin etwa 80
Mio. Euro – sparsam, wirtschaftlich und effektiv
einzusetzen.
Die Einführung des neuen Präsidenten – und ebenso
des neuen Vizepräsidenten, unseres Bundestagskollegen Norbert
Hauser – ist ein gutes Signal für den Bundesrechnungshof
selbst, aber ebenso für die Politik. Dies sollen keine
Vorschußlorbeeren sein – die welken ja bekanntlich
stets besonders schnell. Aber schließlich, lieber Herr
Engels, hat Ihre bisherige Arbeit gezeigt, wie Sie Ihre neue
Verantwortung ausüben werden. Der Umgang mit Finanzen ist
Ihnen durchaus vertraut. Bereits als Sekretär des
Haushaltsausschusses des Bundestages haben Sie neben Ihrem
großem Fachwissen vielfältige Erfahrungen mit der
parlamentarischen Sichtweise der Arbeit des Rechnungshofes
gesammelt und – wichtiger noch – viel Verständnis
dafür entwickelt. Sie waren den Abgeordneten darüber
hinaus stets ein kompetenter und zuverlässiger Berater und
Gesprächspartner. 1996 hat Sie der Deutsche Bundestag zum
Vizepräsidenten diese Hauses gewählt. Auch in diesem Amt
haben Sie sich mit Ihrer unbestrittenen Fachkompetenz
fraktionsübergreifenden Respekt erarbeitet. Ihr Vertrauen in
Ihre Person und Kompetenz brachten die Abgeordneten zum Ausdruck,
als sie Ihnen mit 92,60% der abgegebenen Stimmen das Amt des
Präsidenten übertrugen. Man kann sagen: Der Deutsche
Bundestag und Sie haben sich über die Jahre gründlich
kennengelernt. Wir wussten, was wir tun; wir wissen, was auf uns
zukommt – und wir freuen uns darauf.
Sie bezeichnen die öffentlichen Finanzen gerne mit Jean Bodin
als 'die Nerven des Staates'. Und in der Tat liegen in Politik und
Öffentlichkeit immer wieder empfindliche Nerven bloß,
wenn es um die Verwendung öffentlicher Gelder geht. Medien und
Öffentlichkeit sehen dabei die Äußerungen des
Bundesrechungshofes und seines Präsidenten mitunter als
abschließendes ‚Urteil‘ über das
Finanzgebaren der öffentlichen Verwaltungen an. Diese
Einschätzung wird der tatsächlichen Rolle und Aufgabe des
Bundesrechnungshofes nicht gerecht. Eine solche Sicht würde
nämlich Parlament und demokratisch legitimierte Politik aus
ihren originären Verantwortungen entlassen. Die Rolle des
Bundesrechnungshofes besteht ja gerade nicht darin, zu entscheiden,
wofür Steuergelder ausgegeben werden sollen – das ist
eine der wichtigsten Aufgaben der Parlamente. Der Rechnungshof
überwacht, ob diese Gelder so ausgegeben worden sind, wie es
die parlamentarische Haushaltsentscheidung gewollt hat.
Haushaltsgesetz und Haushaltsplan werden vom
Bundesverfassungsgericht zu Recht nicht als der Gegenstand, sondern
als der Maßstab der Prüfungen des Rechnungshofes
angesehen.
Politik muß sich jedoch der Verantwortung von Urteil und
Entscheidung stellen, vor allem natürlich auch dem Votum der
Bürger. Sie selbst, lieber Herr Engels, betonen in diesem
Zusammenhang die Bedeutung des Rechnungshofes in der Aufgabe eines
Beraters und möchten die Akzeptanz dieser Rolle bei Parlament,
Regierung und Öffentlichkeit stärken. Bei uns brauchen
Sie hierfür nicht lange zu werben. Schließlich sieht der
Deutsche Bundestag den Bundesrechnungshof seit langem als einen
unentbehrlichen Ratgeber und unerlässlichen Partner bei der
Kontrolle der Bundesregierung an. Und es ist zu wenig bekannt, dass
die Stellungnahmen des Bundesrechnungshofes in unserem Parlament
durch den Haushaltsausschuss und dessen
Rechnungsprüfungsausschuss immer wieder aufgegriffen werden.
Der Deutsche Bundestag beruft sich bei angestrebten Einsparungen
des öfteren auf die Ergebnisse des Bundesrechnungshofes oder
holt bei ihm Gutachten und Stellungnahmen ein.
Wir sind uns also des Wertes einer unabhängigen und
sachkundigen Haushaltskontrolle bewusst. Den letzten Schritt in
diese Richtung ging das Parlament auf Vorschlag des
Haushaltsausschusses mit dem Bundesrechnungshofgesetz, das den
Bundesrechnungshof deutlich näher an das Parlament
heranführte.
Die Diskussionen der Rechtsgelehrten über das Verhältnis
des Rechnungshofes zu Bundesregierung und Parlament/Bundestag
füllen Seiten, wenn nicht gar Bände.
Ich will uns allen ein Referat über die unterschiedlichen
Auffassungen zur Nähe oder Distanz des Rechnungshofes zu
Legislative oder Exekutive ersparen. Wenn ich mir aber das Ergebnis
dieser Diskussionen ansehe, so gibt es zwei Gesichtspunkte, die von
allen Seiten als entscheidend angesehen werden: die
Unabhängigkeit der fachlichen Bewertung sowie eine
wohlverstandene Zurückhaltung gegenüber der Versuchung,
mit dem öffentlichen Ansehen des Rechnungshofes Politik
gegenüber der Regierung, aber auch gegenüber dem
Parlament zu betreiben. Niemand soll den Rechnungshof als
politisches Instrument vereinnahmen können. Dennoch ist die
Arbeit des Bundesrechnungshofes natürlich nicht unpolitisch.
Wer wollte die jüngsten Beispiele übersehen?
Die Berichte des Bundesrechnungshofes über die
Aussagefähigkeit von Statistiken der Bundesanstalt für
Arbeit hatten Folgen. Sie gaben Anstöße zum Handeln, zur
Veränderung.
Die Stellungnahmen im Rahmen der parlamentarischen Behandlung der
Beschaffung von Militärtransportern gaben Hinweise, die das
Parlament sorgfältig abgewogen hat. Aber gerade dieser Fall
aus der jüngsten Vergangenheit gibt auch Anlaß zu
kritischer Reflexion. Ich habe in den vergangenen Monaten –
erlauben Sie mir diesen Anflug von Ironie – heftig gestaunt,
welch geballter militärtechnischer wie –politischer
Sachverstand beim „Hof“ (wie er manchmal auch
verkürzt genannt wird) versammelt ist. Da weiß man
offenbar ganz genau, wieviele Fluggeräte für einen
bestimmten Zweck geradezu zwingend benötigt oder nicht
benötigt werden. Ich muß gestehen: Ich war da viel
ahnungsloser, und das hat mir manche Entscheidung z. B. über
Sondersitzungen des Haushaltsausschusses nicht leicht gemacht.
Vielleicht geben uns diese Vorgänge gemeinsam Anlass, hin und
wieder auch darüber nachzudenken, wo Grenzen für eine
sinnvolle Selbstbescheidung hoheitlichen Handelns verlaufen.
Die gesetzlich verbriefte Möglichkeit, nicht nur
‚nachzurechnen‘, sondern auch auf eigene Initiative hin
‚nachzudenken‘ und zu beraten, erlaubt dem
Bundesrechnungshof ebenso, seinen Blick nach vorne zu wenden,
'vorauszudenken'. Um ein anderes Bild zu gebrauchen: Er kann eine
Schneise in das Gestrüpp der gewohnten Praxis, des
üblichen Verfahrens schlagen und so den Blick für Neues
öffnen. Dass der Bundesrechnungshof diese Möglichkeit
zunehmend nutzt, hilft Parlament und Regierung bei ihrer
Arbeit.
Lieber Herr Engels, bei allen Übereinstimmungen in der Sache
ist eines natürlich auch klar: Wo geprüft und
kontrolliert wird, herrscht nicht nur eitel Sonnenschein, da
entstehen auch Spannungen. Dieses gerade in Zeiten knapper
Staatsfinanzen unvermeidliche Spannungsverhältnis konstruktiv
zu nutzen, verlangt von beiden Seiten Fingerspitzengefühl und
Einfühlungsvermögen. Außerdem müssen
Spannungsverhältnisse nicht unbedingt negativ sein. Sie sind
eher eine Garantie dafür, dass das Vertrauen der Bürger
in das Finanzgebaren der Politik wieder hergestellt und
gestärkt wird. Im Namen des Deutschen Bundestages wünsche
ich Ihnen, lieber Herr Engels, für Ihr wichtiges Amt eine
glückliche Hand.“
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