"Tage der Arabischen Welt": Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe als Grundlage der Zusammenarbeit
Eine "Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe" hat der
Vorsitzende der Parlamenteriargruppe Arabischsprachige Staaten des
Nahen Osten Joachim Hörster als "unverzichtbare Grundlage
einer fruchtbaren Zusammenarbeit" zwischen Deutschland und den
arabischen Ländern bezeichnet. In einer Rede zum Abschluss der
ersten "Tage der Arabischen Welt im Bundestag" nannte der
CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete dabei als Grundvoraussetzung, die
Chancen des einzelnen Menschen in den arabischen Ländern
nachhaltig zu verbessern und zu befördern. Joachim
Hörster führte in seinem Schlusswort zu der
dreitägigen Konferenz im Bundestag unter anderem
aus:
"Die Besonderheit der Tage der Arabischen Welt im Deutschen
Bundestag liegt zum einen darin, dass sie vom Bundestag und seinen
Kooperationspartnern und in den Räumen des Bundestages, also
unserer Volksvertretung durchgeführt worden sind. Eine weitere
Besonderheit liegt darin, dass neben Politikern und Abgeordneten
auch Wissenschaftler, Wirtschaftsfachleute, Umweltexperten und
Repräsentanten unserer christlichen und moslemischen Kulturen
beteiligt waren.
Natürlich haben wir in den einzelnen Diskussionsforen nicht
alle Probleme zu Ende diskutieren oder gar lösen können.
Aber die Diskussionen wurden mit großer Sachlichkeit und mit
dem festen Willen, sich besser zu verstehen, geführt.
Wie meine Kollegen Günter Gloser und Ernst Hinsken bin auch
ich immer wieder von arabischen, aber auch von deutschen
Teilnehmern angesprochen worden mit der Frage: "Werden Sie weitere
Veranstaltungen dieser Art durchführen, und wenn ja, bitte
bald".
Diese Frage können wir Ihnen heute nicht beantworten, denn
unsere gemeinsamen Erfahrungen in den letzten drei Tagen sind noch
frisch und müssen von allen verarbeitet werden. Aber schon
alleine über die Tätigkeit der drei Parlamentariergruppen
im Bundestag, die sich mit der arabischen Welt befassen, wird
sichergestellt, dass wir in Kontakt bleiben, und sicherlich wird
dies auch dazu führen, dass weitere Entscheidungen
reifen.
"Deutschland und die arabischen Länder: Visionen und
Perspektiven" ? dazu einige Überlegungen.
Wenn wir "Deutschland" sagen, dann ist damit in irgendeiner Weise
auch immer die Europäische Union verbunden. Denn ebenso wie
die Europäische Union nicht ohne Deutschland vorstellbar ist,
ist Deutschland ohne das Eingebettetsein in die Europäische
Union nicht vorstellbar. Die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union haben im Kern die gleichen politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Systeme. Es handelt sich um Demokratien, die auf einer
breiten Bürgerbeteiligung aufbauen. Wenn ein neues Land
Mitglied der Europäischen Union wird, dann strengen sich die
anderen gemeinsam an, um dem Neumitglied auf das gleiche Niveau zu
verhelfen, das die anderen schon haben.
Wenn wir den Begriff "Arabische Welt" verwenden, könnte dies
nahe legen, dass die arabischen Länder in ähnlicher Weise
eine Gemeinschaft bilden wie dies bei den Mitgliedstaaten der
Europäischen Union der Fall ist. Die Realität stellt sich
jedoch völlig anders dar. Die politischen Systeme in den
arabischen Ländern sind sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Sie sind nicht kompatibel. Sie reichen von regierenden Monarchien
über Einparteiensysteme bis hin zu wenigen Systemen mit
allgemeinen, freien und geheimen Wahlen. Auf dem wirtschaftlichen
Sektor gibt es die eine oder andere Zusammenarbeit, aber ein
organisierter Finanzausgleich zwischen armen und reichen
Ländern, z.B. mit Strukturhilfen oder ähnlichem findet
praktisch nicht statt.
Wenn wir also von der "Arabischen Welt" sprechen, dann müssen
wir als Deutsche und Europäer wissen, dass wir es mit zum Teil
sehr unterschiedlichen Strukturen in den einzelnen Ländern zu
tun haben, dass dort unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden
und dass sich politische und gesellschaftliche Reformen mit sehr
unterschiedlichen Geschwindigkeiten und sehr unterschiedlichen
Prioritätensetzungen entwickeln.
Bei der Eröffnung des ersten Diskussionsforums wurde gesagt,
dass die westliche Welt nicht für sich in Anspruch nehmen
dürfe, ihr politisches und soziales System anderen
Ländern aufzuzwingen oder es für das einzig Denkbare zu
halten. Dem stimme ich zu, denn ich meine, dass es möglich
ist, Veränderung vorzunehmen im Interesse der Menschen, ohne
dass dies eine europäische Parteiendemokratie voraussetzt.
Hierzu einige Beispiele:
Es ist wichtig für die Menschen in jedem Land, dass sie sich
auf ein Rechtssystem verlassen können, an das sich alle halten
und das für alle gilt. Das setzt voraus, dass es gut
ausgebildete Richter gibt, die unabhängig sind und keinen
politischen Einflussnahmen unterliegen. Dies trägt sehr zum
inneren Frieden in jedem Land und sehr zur persönlichen
Sicherheit eines jeden Staatsbürgers bei. Ein solches
Rechtssystem würde auch dazu beitragen, die Korruption zu
mindern, unter der ja viele Staatsbürger leiden, weil man sein
Recht bekommt, ohne Zusatzleistungen erbringen zu
müssen.
Die Verhältnisse zwischen den Bürgern untereinander und
zwischen den Bürgern und der Verwaltung wären klar
geregelt, und Willkür gegenüber dem Einzelnen
ausgeschlossen.
Erforderlich ist auch ein transparentes und effektives
Verwaltungssystem. Dies würde auch ganz wesentlich dazu
beitragen, die ausgezeichneten Wirtschaftsbeziehungen zwischen
Deutschland und den arabischen Ländern weiter auszubauen und
zum beiderseitigen Nutzen noch effektiver zu gestalten.
Ich denke, dass es in jedem Land möglich ist, den
Bürgerinnen und Bürgern uneingeschränkten Zugang zu
dem Wissen zu verschaffen, das weltweit auch über die
elektronischen Medien heute erreichbar ist. Wissen befähigt
die Menschen zur Gestaltung ihres eigenen Lebens und stärkt
die Gesellschaft insgesamt, denn man sieht es ja am Beispiel vieler
Länder, dass gerade diejenigen zu Wohlstand und
Prosperität kommen, deren Bevölkerung gut ausgebildet
ist, und die die Fähigkeit erlernt haben, mit ihrem Wissen
schöpferisch umzugehen.
Daher ist es auch erforderlich, Mädchen und Frauen auszubilden
und beruflich zu fördern. Dadurch werden in großer
Breite zusätzliche Fähigkeiten zum Nutzen der ganzen
Gesellschaft erschlossen.
Der ungehinderte Zugang zu Bildung und Ausbildung, zu allen
international verfügbaren Informationen, dem reichen Wissen,
das die Wissenschaft in aller Welt hervorgebracht hat, ist der
Schlüssel für eine positive Entwicklung der arabischen
Länder auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und
wissenschaftlichem Gebiet.
Die Grundentscheidung zugunsten einer breiten Bildung und des
ungehinderten Zugangs zu international verfügbaren
Informationen für ihre Bürgerinnen und Bürger
müssen die arabischen Länder selbst treffen. Wir, die
Deutschen und Europäer, werden dann helfen, wenn es um die
technische Infrastruktur geht, aber auch um die Auswertung
wissenschaftlicher Erfahrungen, die wir selbst gemacht haben.
Auch auf einem anderen Feld können wir mit unseren Erfahrungen
helfen. Man braucht dezentrale Entscheidungsstrukturen für
kommunale Angelegenheiten. Der Straßenbau, die
Wasserversorgung, die Elektrizität, die Abfallbeseitigung sind
z. B. Themen, ebenso wie der Umweltschutz, die nur dann im
Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden können, wenn
sie eigene Verantwortung dafür übernimmt. Das geschieht
am besten auf der lokalen Ebene über Gemeinderäte,
Ausschüsse lokaler Art, aber auch über Vereine, die sich
z.B. für die Förderung von Schulen und Kindergärten
einsetzen und deren Aufgabenspektrum auf diesem Gebieten klar
beschrieben ist. Die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland
nach dem Zweiten Weltkrieg wäre nicht annähernd so
erfolgreich gewesen, wie sie es am Schluss war, wenn wir nicht von
Anfang an aus guter Tradition heraus die lokale Verantwortung in
den örtlichen Angelegenheiten akzeptiert und gefördert
hätten.
Die Frage des Zugangs zum Wasser ist eine zentrale Frage auch unter
dem Gesichtspunkt des friedlichen Zusammenlebens der Länder in
verschiedenen Teilen des Nahen Ostens. Wir Deutschen können
sicherlich mit unserem Wissen über Wassergewinnung und
Wasserverteilung, über die Wasserreinigung, also dem ganzen
Kreislauf, helfen. Die Grundentscheidung aber, wie unter fairen
Gesichtspunkten der Zugang zum lebensnotwendigen Wasser für
alle beteiligten Länder gewährleistet werden kann,
muß von diesen untereinander getroffen werden. Diese
Entscheidung kann den beteiligten Ländern niemand
abnehmen.
Ich bin sicher, dass ich, nach dem, was ich bisher gesagt habe,
wahrscheinlich Kritik erfahren werde, weil ich bisher weder das
Thema politische Reformen noch das Thema Menschenrechte
ausdrücklich angesprochen habe. Wenn Sie sich meine Beispiele
einer möglichen Deutsch- und Europäisch-Arabischen
Zusammenarbeit noch einmal durch den Kopf gehen lassen, werden Sie
feststellen, dass im Mittelpunkt meiner Überlegungen die
Verbesserung der Lebensverhältnisse, der Rechte, der Chancen
und Möglichkeiten eines jeden einzelnen Menschen in der
arabischen Welt stehen. In dem Umfang, in dem die Zusammenarbeit
zwischen Deutschland, Europa und der arabischen Welt auf diesen
Feldern erfolgreich ist, werden sich die Probleme im Bereich der
politischen Partizipation und der Menschenrechte mindern. Und es
besteht eine Chance, dass die Menschen bei diesem
Veränderungsprozess mitgenommen werden und sie ihn verstehen
können.
Gleichwohl gibt es Rahmen, die für die Deutsch-Arabische und
die Europäisch-Arabische Zusammenarbeit von besonderer
Bedeutung sind. Hier will ich den Barcelona-Prozess ansprechen, der
ja auch perspektivisch und zum Teil visionär angelegt ist.
Dieser Barcelona-Prozess, der das Miteinander der
Mittelmeer-Anrainerstaaten anspricht, will zum einen die politische
und sicherheitspolitische Partnerschaft, zum anderen die
Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft, und schließlich die
soziale, kulturelle und menschliche Partnerschaft zwischen den
Ländern im Mittelmeerraum fördern.
Wir müssen alles daransetzen, dass dieser Barcelona-Prozess
schnellere Fortschritte macht, weil er auch geeignet ist, den
Dialog zwischen Kulturen und Zivilisationen und das wechselseitige
Verständnis füreinander zur verstärken, Ängste
und Vorbehalten abzubauen und das Augenmerk vor allem auf die
positiven Entwicklungsmöglichkeiten unserer Partnerschaft zu
richten.
Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass im Laufe der
nächsten Jahre die Voraussetzungen dafür geschaffen
werden können, auch die Staaten der arabischen Halbinsel, die
bislang nicht an diesem Prozess beteiligt sind, in diesen Prozess
einzubeziehen, und damit der Zusammenarbeit zwischen Europa und den
arabischen Nachbarn nicht nur einen Rahmen, sondern auch eine
für die menschliche Entwicklung positive Perspektive zu
geben.
"Deutschland und die arabischen Länder - Visionen und
Perspektiven" - das war das Thema, mit dem ich mich zum Schluss
unserer Tage der Arabischen Welt im Deutschen Bundestag
auseinandergesetzt habe. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist,
darzustellen, dass es Visionen und Perspektiven gibt. Ich hoffe, es
ist mir gelungen, deutlich zu machen, dass aus unserer, der
deutschen Sicht, nicht die Bevormundung, sondern die Partnerschaft
auf gleicher Augenhöhe, die unverzichtbare Grundlage einer
fruchtbaren Zusammenarbeit sein muss.
Dabei ist es Grundvoraussetzung, dass in den Ländern der
arabischen Welt Richtungsentscheidungen getroffen werden
müssen, die die Chancen des einzelnen Menschen in den
arabischen Ländern nachhaltig verbessern und befördern.
Dazu können wir mit unserem Rat, aber auch mit unserer Hilfe
beitragen."
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