Willy Brandt würde gesagt haben: Haben Sie es nicht eine
Nummer kleiner? Sein Werk fragt uns: Wie weit fassen wir den
Begriff des Bürgers? Das halte ich für eine ganz
spannende Debatte. Nehmen wir das transatlantische "ius soli" auf
oder nicht? Welche Rechte und Pflichten haben Menschen nicht
deutscher Nationalität, die mit uns leben? Seit dem Vertrag
von Amsterdam gibt es zusätzlich zur nationalen
Staatsbürgerschaft die Unionsbürgerschaft. Wollen wir
denn länger leugnen, dass wir in einem Land leben, in dem es
eine wachsende Zahl von Menschen gibt, die nicht Deutsche sind? Mit
diesen wollen wir gemeinsam leben. Genau das, genau dieses
Erinnerungsmoment ständig für uns wach zu halten, das
will uns der Künstler sagen und zeigen. Deswegen muss sein
Kunstwerk hier seinen Platz haben. Die Spannungen - Herr Kollege Lammert, so würde ich es
bezeichnen - zwischen der Giebelinschrift und dem Kunstwerk von
Hans Haacke machen nichts anderes deutlich, als dass es in unserer
Gesellschaft eine wachsende Pluralität bzw. Vielfarbigkeit
gibt. Ohne Pluralität ist Modernität nicht zu gewinnen.
Ohne Toleranz wird es nie Solidarität geben. Dazu aber, zu
jener Toleranz - entschuldigen Sie, dass ich das so sage -,
gehört der Dialog zwischen Kunst und Politik. Wer Kunst darauf
reduziert, dass sie anschmiegsam und dekorativ sein soll und nicht
kritisch sein darf, der hat einen Kunstbegriff, der nicht zu
unserer Gegenwart und zu unserer Auseinandersetzung
gehört. Der Streit über Ästhetik - das kann doch gar nicht
anders sein - wird immer offen bleiben. Politisch aber dürfen
wir diesen Streit um die Freiheit der Kunst nicht verlieren. Wir
dürfen nicht unsere Liberalität verlieren. Abgeordnete
können durch Kunst auch herausgefordert werden. Sie
müssen ein Ja dazu sagen, dass Kunst in unseren Räumen
Platz haben kann. Die kritischen Künstler dürfen wir nicht verlieren.
Beklagen wir nicht häufig die Distanz von Intellektuellen
gegenüber der Politik? Wie ernst nehmen wir denn unseren
eigenen Aufruf zum Mittun? Wir brauchen die kritischen
Künstler, damit unsere Gesellschaft ständig wach und
lebendig bleibt. Zu diesen Künstlern gehört auch Hans
Haacke. |
||||
| | Seite 8/33 | | | Seite 10/33 | | |
| | zurück: Projekt | | | ||
| | Bundestagsdebatte als Download | | |