Kunst, so sagt Gadamer, die "sich nicht dekorativ dem
Lebenszusammenhange einschmiegt, sondern von eigener Mitte her aus
ihm heraussteht", gefällt nicht bloß. Sie muss und darf,
so Gadamer, wirken wie eine Zumutung. - Ich finde, wir müssen
solche Zumutungen ermöglichen und anerkennen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN und der PDS)
Diese Debatte zeigt übrigens: Hans Haacke hat den Nerv
getroffen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Er hat das getroffen, worum es geht. Manche fürchten um das
Selbstverständnis. Von wem? Vom Bundestag? Vom deutschen Volk?
Ist unser Selbstverständnis, unser Selbstbewusstsein nicht
stark genug, dass wir hier im Deutschen Bundestag auch kritischer
Kunst einen Platz schaffen können?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN und der PDS - Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Tun
wir doch serienweise!)
Was wäre das anderenfalls für ein Selbstverständnis?
Ich vertraue dem Selbstbewusstsein frei gewählter
Abgeordneter, sich dem Dialog zwischen der sich am Giebel
befindenden Inschrift und dem Kunstwerk von Hans Haacke - seien Sie
hier herzlich gegrüßt - zu stellen. Ein solches
Selbstbewusstsein haben frei gewählte Abgeordnete.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN und der PDS)
Übrigens, das Zitat "Dem Deutschen Volke" verweigerte der
Kaiser so lange, bis er kurz vor Kriegsende bereit war, dem
deutschen Volk überhaupt erst einen Wert zuzubilligen. Erst
dann, kurze Zeit vor Ende des Ersten Weltkrieges, wurde diese
Inschrift angebracht.
(Zurufe von der F.D.P.: Eben!)
Sie dürfen sich also nicht darauf beziehen, dass es etwa
das Volk gewesen ist, das dies gefordert hat.
(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die
Sozialdemokraten!)
Der Kaiser hat erst am Ende des Ersten Weltkrieges das Volk als so
wertvoll empfunden, dass es hier am Giebel mit einer Inschrift
seinen Platz gefunden hat. Hans Haacke nimmt jenes Zitat auf. Er
stellt das Zitat in seinem Kunstwerk mit diesem Zitat zusammen. Das
ist kein Gegensatz; es gehört zusammen.
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Er will es korrigieren!)
Er ergänzt es auf ebener Erde. Herr Lammert, das
Behältnis ist 30 Zentimeter hoch. Blumen werden aus ihm
wachsen. Frau Vollmer, was ist denn daran, bitte schön,
Kitsch?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN und der PDS und des Abg. Ulrich Heinrich
[F.D.P.])
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