Matthias Brüggmann
Russlands Parlament als gut geölte
Geldmaschine
Gesetze nimmt die Duma zwar auch an - doch sie
gleicht eher einer Firma
Ein großer Samowar sorgt für Russland-Ambiente,
während die Wände mit Schiffsmodellen im Marine-Stil
gehalten sind. Seit September hat die russische Duma, das
Unterhaus, nun auch das, was die 450 Abgeordneten bis dahin nur bei
ihren zahlreichen Auslandsreisen in anderen Parlamenten neidvoll
erblickten: Eine eigene Bar. In dem mit 20 Stühlen bestellten
Etablissement im ersten Stock können Duma-Deputierte hier
unter Seemannsknoten Seemannsgarn spinnen bei einem Bier für
nur 88 Cent oder einem Kaffe für sogar nur 23 Cent. Einigen
Volksvertretern ist die Bar aber "zu klein und zu ordinär"
oder "viel zu schlicht und ohne Goldverzierung", ergab eine Umfrage
der "Moscow Times" unter Abgeordneten.
Denn Russlands Duma-Abgeordnete sind trotz ihrer offiziell
umgerechnet 473 Euro betragenden Grund-Bezüge anderes gewohnt
- die meisten sind längst Millionäre. Da brauchen sie
nicht einmal den preisermäßigten Service im Duma-eigenen
Fitness-Klub oder in der Sauna. Das Geld für ihre Eskapaden
bekommen sie dank reichlicher Nebenverdienst-Möglichkeiten,
die ihr Mandat bietet: Laut dem unabhängigen liberalen
Abgeordneten Wladimir Ryschkow sind 44 Prozent der 450
Mandatsträger "Vertreter des Big Business. Es gibt keine
große Firma, die so nicht in der Duma vertreten ist. Etwa 200
Abgeordnete vertreten eigene Unternehmen oder stehen direkt in
Diensten einer Firma."
Dmitrij Orlow vom Center für Politische Technologien kommt
zu dem Schluss, dass die am 7. Dezember 2003 gewählte neue
Duma "weniger politisch, dafür mehr ein Lobby-Organ" ist. Bei
dem von internationalen Wahlbeobachtern als "nicht fair"
beurteilten Urnengang hatte die Kreml-Partei "Einheitliches
Russland" durch 37,57 Prozent der Stimmen den Großteil der 225
Direktmandate und Überläufer mit 305 Abgeordneten eine
Zweidrittelmehrheit im Unterhaus geholt. Seither stellt sie alle
Vorsitzenden der 28 Ausschüsse, den Duma-Präsidenten und
eine absolute Mehrheit im Duma-Präsidium - so können
Präsident Wladimir Putin unliebsame Gesetzentwürfe nicht
einmal auf die Tagesordnung gelangen.
Die Kommunisten waren auf 12,61 Prozent abgestürzt, und
zwei dem Kreml nahe stehenden Parteien eingezogen - die
rechtsradikalen Liberaldemokraten um den Politclown Wladimir
Schirinowskij mit 11,45 Prozent und die neuen Nationalisten von
"Heimat" mit 9,02 Prozent. Zuvor im Unterhaus vertretene liberale
Reformparteien waren an der Fünf-Prozent-Hürde
gescheitert.
Viele Unternehmer gingen vor allem deshalb ins Parlament, weil
sie sich dort einen Namen machen wollten oder um die Interessen
ihrer Firmen etwa auf Steuerprivilegien durch das Hohe Haus zu
bugsieren, meint der Parlamentskorrespondent Kirill Jakimez. Drei
Prozent des Bruttoinlandsprodukts verliere der Staat durch die
Steuerprivilegien der Rohstoff-Riesen, hat die Weltbank
ausgerechnet.
Russlands Oligarchen machen kaum ein Hehl daraus, dass sie
Abgeordnete finanzieren. Yukos sei "Vorsitzender eines informellen
Klubs von Ölmännern, die Industrieinteressen in der Duma
lobbyieren", lächelte Michail Chodorkowskij - bevor Russlands
Rockefeller im Zuge der Ermittlungen gegen seinen Ölkonzern
Ende Oktober in Haft kam. "Teil davon, ein großes Unternehmen
in Russland zu sein, ist es, wirtschaftlichen und politischen
Einfluss zu haben. Das kann man mögen oder nicht - aber so ist
es."
Auch deshalb ist in Russland die Meinung des Volks über
seine Vertreter verheerend. So wunderte sich die Moderatorin des
Moskauer Fernsehkanals TWZ über das Umfrageergebnis ihres
Senders: "Mit 171 Anrufern, die der Meinung waren, die Duma
verträte das Volk, lag die Zahl ja unter der Anzahl der
Mandatsträger." 2.525 Teilnehmer meinten hingegen, die Duma
diene nur dem Kreml, und 16.522 antworteten: "Die Abgeordneten
arbeiten nur im eigenen Interesse."
Nach Beobachtungen des früheren liberalen
Jaboloko-Fraktionschefs Grigorij Jawlinskij "reichen oft schon
1.500 Dollar Schmiergeld, um einen Abgeordneten dazu zu bringen,
dass der einen wirtschaftlichen Konkurrenten seines Auftragsgebers
mit einer Anfrage bei der Staatsanwaltschaft oder bei einem
Ministerium anschwärzt". Wie erfolgreich derartige Anfragen
sein können, belegt das Beispiel des nachgerückten
Hinterbänklers Wladimir Judin, dessen Aufforderung an die
Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Ölkonzern
Yukos ins Rollen gebracht haben.
Ob und wie viel Geld in diesem konkreten Fall gezahlt wurde, ist
unbekannt. Im Gegensatz zu allgemeinen "Tarifen" für
zweifelhafte Abgeordneten-Tätigkeiten: Das Einbringen eines
Gesetzes im Interesse eines konkreten Auftraggebers kostet zwischen
40.000 und 80.000 Dollar, Änderungen bestehender Gesetze
zwischen 50.000 und 300.000 Dollar. Auch
Abgeordneten-Mitarbeiter-Ausweise werden für 2.000 Dollar
verkauft, da sie gegenüber Behörden Rechte verleihen. So
haben die 450 Deputierten 20.000 Mitarbeiter.
Sogar der offizielle Vertreter des Staatspräsidenten in der
Duma, Alexander Kotenkow, der wie im nahegelegenen Bolschoi Theater
in einer Seitenloge residiert und sich nur bei wichtigen
Streitfragen mit der Meinung des Kremlherrn im Munde zu seinem
Mikrofon erhebt, gibt zu, dass für das Durchwinken eines
Gesetzes über die Einfuhr abgebrannter Nuklearbrennstäbe
nach Russland von der Atomlobby "wahnsinnige Gelder" gezahlt worden
seien.
Doch nicht nur Firmen zahlen - auch der Kreml für besonders
umstrittene Abstimmungen: So wurden Abgeordnete 1999 mit je 60.000
bis 80.000 Dollar Handgeld umgestimmt, die eigentlich für ein
Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Jelzin stimmen
wollten. Insgesamt 35 Millionen Dollar seien aufgewendet worden, um
die heftigst umkämpfte Reform der maroden
Elektrizitätswirtschaft durch die Duma zu hieven, verrät
ein enger Mitarbeiter von Präsident Wladimir Putin. Diese
Summe sei unter "unwilligen Abgeordneten" aufgeteilt worden.
Unabhängigen Abgeordneten wurden 50.000 Dollar plus ein
"Monats-Gehalt" von 5.000 Dollar geboten, damit sie sich einer der
Pro-Kreml-Fraktionen anschließen.
"Kormuschka" - Futtertrog - nennen die Russen solche Posten.
Doch wer seine Zusagen gegenüber Auftraggebern nicht
einhält, riskiert viel: Seit Konstituierung der ersten
post-sowjetischen Duma im Jahre 1994 sind bislang zehn Abgeordnete
ermordet worden. Gegen 216 der 450 Duma-Vertreter müsste zudem
ermittelt werden, wären sie nicht durch ihre
Abgeordneten-Immunität geschützt.
Offiziell werden für das Unterhaus aus dem Staatsbudget gut
91 Millionen Euro und für das Oberhaus weitere 33 Millionen
Euro bereitgestellt. Um Abgeordnete gefügig zu machen, werden
Diäten, Dienstwohnung, Dienstwagen, Dienstdatscha und andere
Vergünstigungen direkt von der Präsidial-Administration
zugeteilt.
Seit Putins Einziehen einer "Machtvertikalen" in seine "gelenkte
Demokratie" ist das Verhältnis zwischen Kreml und Parlament
zwar entspannter als unter Vorgänger Boris Jelzin, der 1993
den widerspenstigen Obersten Sowjet mit Panzersalven
ausräucherte. Aber inzwischen ist die Duma so hörig, dass
das Politmagazin "Wlast" sie nur noch die "Kreml-Kammer" nennt.
"Die ganze Duma ist doch nur damit beschäftigt, soviel wie
möglich Geld zu machen", meint der von der Kommunistischen
Partei ausgeschlossene Ex-Abgeordnete und Bankier Wladimir Semago:
Statt der vorgeschriebenen neun Ausschüsse gebe es inzwischen
28 plus ständige Komitees - jeder mit Vorsitzendem und
diversen Vizes, die wie das Duma-Präsidium "kolossale
Lobbymöglichkeiten haben". Semago, der früher eine
Korruptions-Untersuchungskommission leitete, ist überzeugt:
"Für Geld gibt es alles." Aber es gehe auch anders: Der Kreml
könne gewünschte Entscheidungen erzwingen, da "die
Strafverfolgungsbehörden Belastungsmaterial gegen jeden
Abgeordneten haben".
Das Handaufhalten der Volksvertreter dient auch der
Refinanzierung des mindestens 500.000 Dollar teuren Erringens von
einem der roten Sessel im Sitzungssaal, der von einer
überdimensional über dem Präsidiumsthron
hängenden Russland-Trikolore dominiert wird: "In Russland
interessiert Politiker nicht, eine ?Spur in der Geschichte' zu
hinterlassen", beschreibt das Magazin "Übernahmen und
Fusionen" den russischen Polit-Betrieb. "Sie wollen aufsteigen und
noch mehr Geld verdienen. Dieses Geld wird dann zur weiteren
Erhöhung des Status' eingesetzt, um noch mehr Geld zu
machen."
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