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Robert Luchs
Die ängstlichen Opfer schweigen
Sklaverei im 21. Jahrhundert
Nahezu 80 Jahre nach der internationalen Ächtung der
Sklaverei werden Menschen in vielen Teilen der Welt immer noch
unterdrückt, ausgebeutet oder - wie im Sudan - regelrecht
versklavt. Die Sklaverei hat viele Gesichter, sei es die so
genannte Schuldsklaverei (bonded labour) in Indien und Brasilien,
die Ausbeutung illegaler Immigranten in Nordamerika und Europa oder
die Zwangsprostitution von afrikanischen, asiatischen und
osteuropäischen Frauen. In diese Kategorie gehört auch
das Schicksal weiblicher Hausangestellter, die wie Sklaven gehalten
und nicht selten sexuell missbraucht werden. Ein besonderes
düsteres Kapitel ist die Kindersklaverei; trotz weltweiter
Kritik werden in Indien immer noch Kinder - zum Beispiel als
Teppichknüpfer - zur Arbeit gezwungen. Ähnlich ist die
Situation in China und Pakistan.
Das Abkommen über Sklaverei und Menschenhandel aus dem Jahr
1927 wurde 30 Jahre später von der Generalversammlung der
Vereinten Nationen ergänzt: "Das Übereinkommen
erklärt die Schuldknechtschaft und den Verkauf oder die
Vergabe von Personen wie Frauen und Kindern als
sklavereiähnliche Praktiken und verpflichtet zu sofortigen
Maßmahmen, diese abzuschaffen. Sklavenhandel wird als
Verbrechen deklariert und zu schwerer Strafe aufgerufen."
Von solchen Strafandrohungen lassen sich skrupellose Frauen- und
Mädchenhändler nicht abschrecken. Sie knüpfen ihre
Fäden über Grenzen hinweg, schüchtern Opfer und
Zeugen mit brutalsten Mitteln ein und schotten sich nach außen
völlig ab. Die in Frankfurt ansässige Internationale
Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) beobachtet in
jüngster Zeit eine "gefährliche Zunahme rechtsfreier
Räume, durch die der internationale Menschenrechtsschutz
ausgehöhlt wird". Bei dieser Form der Organisierten
Kriminalität sei der Zeugenbeweis durch die oft
traumatisierten Opfer das schwächste Glied in der
Beweiskette.
Die meisten der verängstigten Opfer aber schweigen, so dass
nur relativ wenige Fälle überhaupt aktenkundig werden.
Wenn Mädchenhändler in Europa ihrem üblen Handwerk
viel zu oft ungestraft nachgehen können, wie schlimm muss es
dann erst in Ländern zugehen, wo die Menschenrechte
systematisch zurückgedrängt werden. Beispiel Saudi
Arabien. Die boomende Wirtschaft des Ölstaates braucht
Arbeitskräfte und findet sie vorwiegend in den armen
Ländern Asiens, inzwischen teilweise auch in Afrika. Diese
Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen, die rund 70 Prozent der
Arbeitskräfte in dem Königreich überhaupt stellen,
haben so gut wie keine Rechte und kaum Bewegungsfreiheit. Kamen sie
zunächst aus Pakistan und Indien, so überwiegen heute
Gastarbeiter aus Indonesien und den Philippinen.
Abhängigkeitsverhältnisse
Diese Menschen rangieren auf der sozialen Skala ganz unten und
führen schlecht bezahlte Arbeiten aus. Sind die Frauen meist
in Haushalten wohlhabender Saudis beschäftigt, so arbeiten die
Männer als Straßenkehrer, Müllmänner oder
Packer. Nicht die einfachen Arbeiten sind das Problem, sondern die
Praxis, dass die zumeist ungelernten Arbeiter von Agenturen nach
Saudi-Arabien vermittelt werden und Reisekosten und
Vermittlungskosten selbst bezahlen müssen. So geraten die
Gastarbeiter sofort in ein Abhängigkeitsverhältnis, aus
dem sie sich lange Zeit nicht befreien können. Ihre
Bewegungsfreiheit ist erheblich eingeschränkt; sie dürfen
den Ort, an dem sie arbeiten, nicht verlassen, sonst droht ihnen
das Gefängnis.
Die saudische Wirtschaft funktioniert über ein so genanntes
Sponsorensystem. Fast alle Ausländer brauchen einen saudischen
Sponsor für die Einreise. Dieser übernimmt meist auch die
Rolle eines Arbeitgebers und besorgt die Aufenthaltserlaubnis. Da
der Sponsor den Pass des Gastarbeiters einbehält, entsteht ein
Abhängigkeitsverhältnis, das einer modernen Form von
Sklaverei gleichkommt. Der Lohn wird vom Arbeitgeber
willkürlich festgelegt.
Noch schlimmer ergeht es den Frauen; als Haushaltshilfen werden
sie von der Familie des Arbeitgebers oft hemmungslos ausgenutzt und
manchmal auch sexuell missbraucht. Das von Willkür
gekennzeichnete saudische Justizsystem verschlechtert die Situation
der Gastarbeiter zusätzlich. Geraten sie in Haft, kann es
passieren, dass sie gezwungen werden, Dokumente in Arabisch zu
unterschreiben, obwohl sie die Sprache nicht verstehen.
Gastarbeiter sind überdurchschnittlich oft von drakonischen
Strafen wie Auspeitschungen, Amputationen und sogar Hinrichtungen
betroffen. Saudi-Arabien hat im weltweiten Vergleich eine der
höchsten Hinrichtungsraten. Die Hälfte der Hingerichteten
in den 90er-Jahren waren ausländische Staatsbürger.
Vor knapp 120 Jahren hat Brasilien die Sklaverei offiziell
abgeschafft. Doch es gibt sie bis heute, wenn auch in anderer Form.
Vor zwei Jahren ist zum ersten Mal in dem lateinamerikanischen Land
ein Großgrundbesitzer wegen Sklavenhalterei festgenommen
worden. Doch: Schon nach wenigen Tagen war er wieder frei und wurde
lediglich dazu verurteilt, seinen Arbeitern den gebührenden
Lohn zu zahlen. Die kirchliche Organisation CPT deckt in dem
riesigen Land immer wieder solche und ähnliche Fälle auf,
doch ihre Bemühungen ähneln dem Kampf gegen
Windmühlen. Vor allem im Amazonas-Teilstaat Parà herrscht
nach Angaben von CPT fast völlige Straflosigkeit. Die zur
Überwachung der Farmen eingesetzte Bundespolizei ist personell
viel zu schlecht ausgestattet, als dass sie in den Konflikten mit
den Großgrundbesitzern viel ausrichten könnten.
In Brasilien ist die Schuldsklaverei noch weit verbreitet. Die
Arbeiter erhalten nicht nur keinen Lohn, ihnen wird auch noch
eröffnet, dass sie zunächst ihre Schulden in Form von
Arbeitsgerät oder Verpflegung zu begleichen haben. Wer, wie
die immer stärker werdende Landlosenbewegung, diese
unwürdigen Zustände anprangert, muss damit rechnen, von
bezahlten Killertrupps ermordet zu werden.
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