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Detlef Hamer
Wandel und Kontinuität der Urteile und
Wertungen
Günter Grass im "Leseland DDR"
Die "Stimmen aus dem Leseland" über Günter Grass und
sein literarisches Werk - eine Apostrophierung, die heute mehr denn
je nicht bloß unterschwellig ironisch klingt, sondern einen
Hauch der Verklärung in sich trägt -, erstrecken sich auf
die Zeit von 1957 bis 1999. Gleichwohl markiert die Textabfolge in
ihrer Zweiteilung eine deutliche Zäsur, denn die Beiträge
ab 1990 sind unter gänzlich anderen politischen Prämissen
verfasst worden als zuvor.
In ihrem lesenswerten Vorwort konstatiert die Schriftstellerin
und Publizistin Daniela Dahn (Jahrgang 1949) treffend: "In der
DDR-Kulturpolitik war Günter Grass zwanzig Jahre lang die
literarische Unperson par excellence. Feststehende, kanonisierte
Positionen, unter denen auch bedenkenswerte Einwände begraben
wurden, bestimmten das Bild." Wie sie analysiert auch der
Literaturwissenschaftler und Herausgeber Klaus Pezold (Jahrgang
1938), im Buch mit mehreren bemerkenswerten Aufsätzen
präsent, manchen Wandel und Wechsel im Urteil der ostdeutschen
Autorenkollegen und Kritiker Grass' auf nachvollziehbare Weise.
Beide erhellen, wie differenziert und nuanciert die durchaus
unterschiedlichen Bewertungen einzelner Stimmen trotz staatlicher
Verdikte eigentlich zu jeder Zeit ausgefallen sind.
Johannes Bobrowski, selbst ein Lyriker von Rang, notierte
bereits 1957 angesichts der "Vorzüge der Windhühner":
"Auf jeden Fall ist Grass ... eine Begabung, auf die man achten
sollte." Die Rostocker Literaturwissenschaftler und Lektoren Kurt
Batt (1931-1975) und Jürgen Grambow (1941-2003), die beide,
jeder auf seine Weise, beträchtlichen Anteil daran hatten,
westdeutsche Prosa interessierten DDR-Lesern nahe zu bringen und
die stets bemüht waren, gegen die Barrieren verordneter
Ignoranz Editionen zu ermöglichen, haben die Spezifik der
Erzählkunst von Günter Grass in besonderer Schärfe
ausgeleuchtet und gewürdigt.
"Kantisches"
Nachgerade spannend, bisweilen amüsant lesen sich etliche
Beiträge von solchen Verfassern, die in großer zeitlicher
Distanz mehrfach zu Wort kommen. Das gilt beispielsweise für
Hermann Kant, der 1960 unter dem sarkastischen Titel "Ein Solo in
Blech" gegen "Die Blechtrommel" herablassend zu Felde zog: "Wenn
Grass diesen Roman nicht nur geschrieben hat, um auf 'neuen Wellen'
und in der Flut der zornigen jungen Männer gen güldene
Ufer zu schwimmen, dann möge er fortan die Welt nicht mehr aus
dem Gully betrachten und nicht mit den Augen eines Kretins, dann
möge er den Rasputin fortwerfen und den Goethe zu Ende lesen.
Er wird dann mehr sehen."
1995, 35 Jahre später, beschließt dieser Wortartist,
um den es inzwischen recht einsam geworden ist, seinen im einzelnen
auch jetzt nicht unkritischen Diskurs "Ein weites Feld - Ein Buch
von stichelnder Kraft" (bezeichnenderweise im "Schweizer
Nachrichtenmagazin" veröffentlicht) im vergleichsweise milden
Tonfall: "Von mir aus mag es der Mann so weiter treiben,
vorausgesetzt, er schreibt um seine Schimpfe wieder einen Roman von
solcher Stärke herum."
Dieser Sammelband zeichnet sich auch dadurch aus, dass sich in
ihm nicht nur verstreut veröffentlichte Buch- und
Zeitschriftentetexte, sondern auch imposante Reden und Briefe
finden. So gehören Hans Mayers großartige
Einführungsrede, die er im März 1961 zu einer
Günter-Grass-Lesung in der Leipziger Universität gehalten
hat, sowie der Briefwechsel, den Günter Grass und Christa
Wolf, letztere damals in überaus brisanter Befindlichkeit,
unter dem Motto "Von schwachen und stärkeren Stunden" 1993
geführt haben, zu jenen Beiträgen, die den jeweils
politischen Horizont und den persönlichen Hintergrund der
Autoren schlaglichtartig beleuchten.
Fotos aus mehreren Jahrzehnten tragen zur Anschaulichkeit bei;
Quellen-, Autoren- und Personenverzeichnis ergänzen den
Band.
Klaus Pezold (Hrsg.)
Günter Grass. Stimmen aus dem Leseland.
Militzke Verlag, Leipzig 2003; 232 S., 19,90 Euro
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