Eckhard Stengel
Die Fischköppe und die Pfeffersäcke von
der Weser
Bremerhaven und Bremen: "Zwei Städte - ein
Land"
Sie nennt sich "die freieste Gemeinde der Welt", und ihr
Stadtoberhaupt trägt einen höheren Titel als der
Regierungschef in der Landeshauptstadt - aber trotzdem fühlen
sich ihre Einwohner oft als Bürger zweiter Klasse, wie
Bewohner einer Kolonie. Die Rede ist von der Stadt Bremerhaven und
ihrem schwierigen Verhältnis zur Schwesterkommune Bremen, mit
der sie ein gemeinsames Bundesland bildet.
"Zwei Städte - ein Land": Dieser Slogan, der die
Konstruktion des kleinstes Bundeslandes auf den Punkt bringen soll,
klingt nach Gleichberechtigung. Aber in Wirklichkeit sind
Bremerhaven (118.000 Einwohner) und Bremen (545.000 Einwohner) zwei
ziemlich ungleiche Partner. Historisch gesehen, sind sie nicht mal
Geschwister, sondern Mutter und Tochter: Bremen kaufte 1827 dem
Königreich Hannover ein Gelände an der Mündung der
Weser in die Nordsee ab und baute dort eine Art Außenhafen.
Die eigenen Kaianlagen der Bremer "Pfeffersäcke" (so nennt man
hier die Kaufleute), 60 Kilometer flussaufwärts, waren damals
wegen Versandung kaum noch zu gebrauchen. Allmählich
entwickelte sich aus dem Seehafen eine veritable Stadt; 1947
bildete sie mit der Stadt Bremen das Bundesland Freie Hansestadt
Bremen.
Gigatonnen Wasser sind seitdem die Weser hinab geflossen, aber
ein Relikt aus der Gründungszeit hat bis heute überlebt:
Zum großen Leidwesen der Bremerhavener gehört der
Großteil ihrer boomenden Häfen noch immer allein der
Stadt Bremen und nicht etwa ihnen selbst oder dem Land. Manche
nennen das "Kolonialismus". Und auch sonst fühlen sich die
"Fischköppe" (wie die Bremerhavener von den Bremern genannt
werden) oft von der größeren Schwester benachteiligt -
mal zu Recht, meist zu Unrecht.
Dabei haben sie es ohnehin schwer genug. Nach der Fischerei- und
der Werftenkrise und dem Abzug der US-Garnison leiden die
Bremerhavener bereits seit Jahren unter einer Arbeitslosenquote auf
ostdeutschem Niveau (zuletzt 17,6 Prozent). Beim Anteil der
Sozialhilfeempfänger an der Gesamteinwohnerzahl sind sie meist
einsame Spitze aller Großstädte. Die weltberühmte
Columbuskaje, von der früher Auswandererschiffe und
Ozeanriesen zur Fahrt in die Neue Welt ablegten, dümpelt heute
als "Columbus Cruise Center" müde vor sich hin.
Dem angeschlagenen Selbstbewusstsein hilft es nur wenig, dass
Bremerhaven als "freieste Gemeinde der Welt" gelten kann. Im
Gegensatz zu anderen Kommunen durfte sich die Hafenstadt 1947 eine
eigene Stadtverfassung geben. Fast alle Verwaltungsaufgaben werden
seitdem eigenständig erledigt und nicht vom Land oder
irgendeiner Bezirksregierung. Das Stadtoberhaupt, zurzeit Jörg
Schulz (SPD), nennt sich Oberbürgermeister und trägt
damit einen klangvolleren Titel als der Regierungschef des
Zwei-Städte-Staates, Bürgermeister Henning Scherf (SPD).
Und welchem OB ist es schon vergönnt, als Gast an den
Sitzungen der Landesregierung teilzunehmen? Schulz darf es.
Natürlich entsendet "Fishtown" (die Bremerhavener selber
schreiben lieber "Fischtown") auch Abgeordnete ins Landesparlament,
die Bremische Bürgerschaft; die sind - allem
Kolonialismus-Verdacht zum Trotz - voll stimmberechtigt. Es sind
sogar ein bis zwei Mandate mehr, als den Bremerhavenern nach der
Einwohnerzahl eigentlich zustünden: 16 von 83. Gar so
stiefmütterlich wird die Hafenstadt also nicht behandelt.
Gewählt werden die Bürgerschaftsabgeordneten nicht
über Landeslisten, sondern in beiden Städten getrennt. Um
ins Landesparlament zu kommen, reicht es, in nur einer der beiden
Kommunen die Fünf-Prozent-Hürde zu bezwingen - eine
Besonderheit des bremischen Wahlrechts, von der schon mehrfach die
rechtsextreme DVU profitiert hat: Sie holte sich ihre
Bürgerschaftsmandate in der Arbeitslosenhochburg an der
Wesermündung.
Für rein kommunale Angelegenheiten wählen die
Bremerhavener noch zusätzlich ihre eigene
Stadtverordnetenversammlung, die wiederum einen Magistrat als
Stadtregierung ernennt. In der Stadt Bremen ist die Trennung
zwischen Kommune und Land nicht so scharf: Wenn hier über
Bebauungspläne oder Kindergärten zu entscheiden ist,
tagen einfach alle 67 Bürgerschaftsabgeordneten aus Bremen
ohne die 16 Bremerhavener Kollegen als so genannte
Stadtbürgerschaft, und als Bremer Stadtregierung fungiert
zugleich die Landesregierung, der Senat.
Das klingt alles komplizierter, als es ist. Im Alltag läuft
das Politikgeschäft im kleinsten Bundesland meist relativ
reibungslos. Aber über allem schwebt die Eifersucht der
Bremerhavener, die ständig darauf achten, nicht zu kurz zu
kommen. Einmal haben sie sogar trotzig beantragt, ein eigenes
Autokennzeichen zu bekommen, damit sie nicht mit dem gleichen "HB"
wie die Bremer herumfahren müssen. Letztlich zog die
örtliche SPD/CDU-Koalition den Antrag aber wieder zurück.
Der Wille zur Einheit war am Ende doch stärker als der Stolz
der Hafenstädter.
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