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Ines Gollnick
Weniger Unfälle durch mehr Praxis hinter dem
Steuer
Demnächst dürfen 17-Jährige Auto
fahren - in Begleitung
Auto zu fahren bedeutet mobil zu sein, und Freiheit bedeutet
Unabhängigkeit. In mehreren Bundesländern könnte das
Fahren mit 17 Jahren in diesem Jahr Wirklichkeit werden, allerdings
- und das ist der kleine Haken - nur in Begleitung. In dem
Modellversuch "Begleitetes Fahren ab 17" ist vorgesehen, dass junge
Leute mit 17 Jahren den Führerschein B erwerben und dann mit
dem Partner auf dem Beifahrersitz durchstarten können. Sobald
sie 18 sind, dürfen sie allein fahren.
Niedersachsen will Jugendliche bereits in diesem Frühling
hinter das Steuer lassen, unabhängig davon, ob der
Bundesverkehrsminister die notwendige Verordnung genehmigt. Der
Bundesrat hat über den Modellversuch auf der Grundlage des
niedersächsischen Entschließungsantrags bereits Ende
November 2003 abgestimmt. Auch in Nordrhein-Westfalen ist der
Verkehrsminister optimistisch, dass 17-Jährige in diesem Jahr
ein Auto steuern dürfen. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe
"legt den Ländern keine Steine in den Weg". Ein Anhänger
des Modellversuchs ist er allerdings nicht.
Bei dem Modellversuch "Begleitetes Fahren" geht es nicht nur um
mehr Freiheit, sondern vor allem um mehr Verkehrssicherheit
für die Fahrer und Fahrerinnen zwischen 18 und 24 Jahren. Mit
einem fünffach höheren Unfallrisiko gegenüber dem
Gesamtdurchschnitt ist die Altersgruppe der 18- bis
20-Jährigen am stärksten gefährdet. 2002
verzeichnete das Statistische Bundesamt nahezu 1.550 von rund 6.850
Verkehrstoten in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen. Ursache:
zu wenig praktische Erfahrung.
Hier setzt der Modellversuch an. In der normalen
Fahrschulausbildung mit 18 Jahren fährt ein Schüler
zwischen 500 und 1.000 Kilometer. Die Entwickler des neuen Modells,
das eben zusätzlich zu allen anderen Ausbildungswegen
angeboten werden könnte, gehen davon aus, dass während
der Ausbildung und dem Fahren in Begleitung eine "Lernstrecke" von
rund 5.000 Kilometern zurückgelegt werden könnte. Es geht
im Prinzip um ein vorgezogenes praktisches Lernen. In der
Fachsprache heißt das: "fahrpraktischer Erfahrungsaufbau". Und
dieser sei ein wirksames Mittel zu einer nachhaltigen Verringerung
des Fahranfängerrisikos. Aus neuen Untersuchungen zum Verlauf
des Unfallrisikos geht hervor, dass das Unfallrisiko von
Fahranfängern innerhalb der ersten neun Monate nach Erwerb der
Fahrerlaubnis auf 50 Prozent des Ausgangsrisikos sinkt, nach
zweieinhalb Jahren auf ein Restrisiko von zehn Prozent.
Professor Detlev Leutner, Lehr- und Lernpsychologe an der
Universität Duisburg-Essen, gehört der Projektgruppe
"Begleitetes Fahren" an, in der Experten aus Bund und Ländern,
maßgebliche Verbände der Praxis und Fachleute aus der
Wissenschaft Vorstellungen zum Modellversuch zusammentrugen. Diese
wurden auch auf dem 41. Deutschen Verkehrsgerichtstag
präsentiert, um eine breit angelegte Diskussion
anzuschieben.
Nach Leutners Einschätzung sind fehlende Praxis und Routine
die Ursache dafür, warum Jugendliche kognitiv überlastet
seien, um eine Verkehrssituation immer angemessen wahrnehmen und
einordnen zu können. Leutner ist einer der wenigen deutschen
Lehr-Lernforscher, der sich international orientiert und sich auf
der Basis empirischer Forschung mit Problemen des Erwerbs von Fahr-
und Verkehrskompetenz befasst.
Fahren mit 17, aber nur mit einem Elternteil. Das könnte
zum Horror für beide Seiten werden, sind doch in dieser Phase
des Lebens die sozialen Spannungen zwischen Eltern und Kindern
sowieso schon ausgeprägt genug. "Die Projektgruppe entschied
sich deshalb, den Kreis der Begleiter groß zu halten", so
Leutner. Verwandte, Bekannte, Freunde, Nachbarn, in deren Familie
vielleicht auch gerade ein Jugendlicher den Führerschein
erwirbt, können deshalb Fahranfänger begleiten. Sie
müssen allerdings mindestens 30 Jahre alt sein, eine
fünfjährige Fahrpraxis nachweisen und dürfen nicht
mehr als drei Punkte auf dem Flensburger Konto haben. In einer
90-minütigen Schulung soll ihnen vermittelt werden, was sie
tun sollen und was nicht. Denn die Begleiter sind keine Fahrlehrer.
Sie sollen beim vorausschauenden Fahren helfen und Erfahrung
weitergeben. Der Kommunikationspartner lässt somit Raum
für selbständige Fahrentscheidungen. Und wenn es mal
brenzlig wird, kann er den Fahrer oder die Fahrerin emotional
entlasten: "Bleib' jetzt gelassen. Lass dich doch nicht anmachen!"
Leutner sieht darin eine große Chance, dass eine nicht
gleichaltrige Person an Bord ist. Wer Jugendliche erlebt,
weiß, sie suchen nach Grenzen der Leistungsfähigkeit,
auch Sensationslust ("Ich kann das besser als ...") und ein
Wetteifern in Anwesenheit Gleichaltriger nach dem Motto: "Stell
dich nicht so an ...", provozieren Unfälle. Auch könnte
der Versuch für junge Erwachsene typische und gefährliche
Situationen besser eindämmen, wie den Dis-kobesuch mit vielen
Mitfahrern an Bord, die Alkohol getrunken haben.
Was den Modellversuch so überzeugend erscheinen lässt,
sind die Ergebnisse aus dem Ausland. Die Bundesanstalt für
Straßenwesen wertete ausländische Erfahrungen aus, die
das begleitete Fahren beziehungsweise eine gestufte Fahrerlaubnis
testeten. Die Unfallzahlen gingen beträchtlich zurück. In
Nordamerika, je nach Ausgestaltung der Maßnahme, zwischen vier
und über 60 Prozent, in Schweden um 46 Prozent. In
Österreich gibt es das "Modell L 17" seit 1999. Es ähnelt
dem deutschen Vorschlag. Dort sind laut niedersächsischem
Verkehrsministerium die Unfallzahlen in der Gruppe der jungen
Fahranfänger um 15 Prozent gesunken. Skeptisch blickt der ADAC
auf das "Begleitete Fahren". Dort glaubt man nicht daran, dass ein
Begleiter "die höhere Risikodisposition eines
Fahranfängers kompensieren kann". Der Interessenverband
favorisiert die so genannte "Zweite Ausbildungsphase", die jetzt
zum Jahresbeginn in 13 Bundesländern startete.
Fahranfänger können sechs Monate nach dem
Führerscheinerwerb eine Fortbildung mit Theorie und Praxis
machen. Wer hier teilnimmt, kann seine Probezeit um maximal ein
Jahr verkürzen. Geübt wird in Übungszentren.
Bundesweit verfügt auch der ADAC über rund 50 solcher
Einrichtungen. Dort gibt es allerdings keine Leitplanken, keine
Bäume und keinen Gegenverkehr. Auf Übungsplätzen
wird also eine Laborsituation geschaffen, die der Realität
nicht nahe kommt. Gefährliche Situationen würden dort
eben gefahrlos simuliert, sagt der ADAC. Einige Bundesländer
wollen beide Modelle einsetzen und dann vergleichen. Problematisch
wird es auch dann, wenn das "Begleitete Fahren ab 17" in einigen
Bundesländern erlaubt ist, in anderen nicht. Muss das Auto
dann an der Ländergrenze abgestellt werden? Die Deutsche
Polizeigewerkschaft gibt außerdem zu bedenken, dass die
schlechte Personalsituation die Kontrolle der Regelung
äußerst schwierig mache.
Unabhängig davon, wie die Entscheidungen aussehen, sie
sollten im Interesse der jungen Fahranfänger zugunsten ihrer
Sicherheit fallen. Jeder Verkehrstote ist einer zu viel. Vieles
spricht für den Modellversuch "Begleitetes Fahren ab 17".
Nicht nur der Experte Detlev Leutner geht davon aus, dass der
Modellversuch das Anfänger- und Jugendlichkeitsrisiko beim
Fahren verkleinern kann.
www.f-17.de
www.zweitephase.de
www.bast.de (Bundesanstalt für Straßenwesen)
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