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Ines Gollnick
Die "Kultur-Anwältin": Gitta Connemann
Parlamentarisches Profil
Nach nur neun Monaten im Deutschen Bundestag wählten im
Juli 2003 alle Fraktionen Gitta Connemann einstimmig zur
Vorsitzenden der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland". Diese
soll dem Parlament bis Mitte 2005 konkrete, umsetzbare
Vorschläge unterbreiten, wie Kunst und Kultur gestärkt
werden können. Soviel Anerkennung hat die 39-jährige
Juristin gefreut und nicht erwartet. Nie habe sie zu diesem
Zeitpunkt, wo sich die "Neuen" eigentlich noch in den
Parlamentsbetrieb einarbeiten, mit dieser Ernennung gerechnet.
Dass ihr die Arbeit viel Freude bereitet, hängt auch damit
zusammen, dass sie Kunst und Kultur zu ihren Leidenschaften
zählt. "Kultur ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit", sagt
sie. Sie selbst spielt Klavier und mag Literatur, liest gerade eine
Biografie über Magda Göbbels, immer wieder mal Theodor
Storms "Schimmelreiter", einen Krimi von Donna Leon oder
Reisebeschreibungen.
"Was immer du tun kannst oder wovon du träumst, fange es
an!" hat sich Gitta Connemann als Motto zu eigen gemacht, geborgt
beim Klassiker Goethe. Worte, mit denen sie sich motiviert. Das
kann sie offenbar gut. Dafür steht ihre berufliche Biografie:
Schuhfachverkäuferin, Rechtsanwältin, verschiedene
juristische Aufgaben, unter anderem beim Arbeitgeberverband
Landwirtschaft, und als selbstständige Rechtsanwältin,
Bundestagsabgeordente seit Herbst 2002.
Als Gitta Connemann Mitte der 90er-Jahre beschloss, ihren
Lebensmittelpunkt wieder in ihrer Heimat Ostfriesland zu
etablieren, fiel auch die Entscheidung, sich politisch zu
engagieren.
Sie trat 1996 in die CDU ein und wurde direkt in den Rat der
Gemeinde Hesel gewählt. Seit 2001 gehört sie als direkt
gewählte Abgeordnete dem Kreistag in Leer an. Auch den
Wahlkreis Unterems holte sie direkt, unterstützt vom
ehemaligen Bundesminister und Parlamentsvizepräsidenten Rudolf
Seiters, ihrem Vorgänger im Wahlkreis. Große
Fußstapfen für die zierliche, attraktive Frau. "Wir haben
eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit gehabt, und die gibt es
immer noch", sagt Connemann. "Ich hole mir Rat, weil Rudolf Seiters
einen sehr wertvollen Erfahrungsschatz hat", so die
Parlamentarierin. 2002 war sie mit ihm auf dem Wahlplakat
abgebildet, um sowohl Harmonie als auch den Stabwechsel, der
gleichzeitig ein Generationswechsel war, auszudrücken.
"Ich mache Politik, weil ich mitgestalten und Einfluss nehmen
will. Dass ich mit der Politik irgendwann Geld verdienen
würde, habe ich anfangs nicht geahnt. Ganz sicher ist es kein
Beruf wie jeder andere, eher Berufung."
Connemann ist ehrgeizig, "ohne vom Ehrgeiz besessen zu sein",
findet sie. Politisch wird sie schon deshalb Spuren hinterlassen,
weil sie die erste Frau ist, die für den Wahlkreis Unterems in
den Bundestag eingezogen ist. Doch wer ehrgeizig ist, will
natürlich viel mehr erreichen. Connemann sitzt in
Bundestagsausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft, ein Wunschausschuss. Nicht unbedingt, weil sie
selbst auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen ist,
sondern weil die Landwirtschaft mit ihren vor- und nachgelagerten
Bereichen zweitgrößter Arbeitgeber in Niedersachsen ist.
Die nochmaligen Einkommenseinbußen der Landwirte und die
Äußerungen von Ministerin Renate Künast Anfang
Februar anlässlich der Vorstellung des Agrarberichts 2004,
dass sich diese mehr am Markt orientieren müssten, hat
Connemann "als Schlag ins Gesicht der Landwirte" kritisiert.
Neben der Enquete-Kommission "Kultur" und dem
Landwirtschaftsausschuss sitzt Connemann als stellvertretendes
Mitglied im Petitionsausschuss.
Ihre Erwartungen an das Mandat haben sich erfüllt,
resümiert die norddeutsche Politikerin nach 17 Monaten im
Hohen Haus. Bei allen positiven Erfahrungen habe es sie jedoch auch
erschreckt, wie zuweilen mit den Rechten der Abgeordneten
umgegangen werde. Zum Beispiel, wenn während laufender
Ausschusssitzungen umfangreiche Änderungsanträge auf den
Tisch kämen, was unzumutbar sei. Als immer wieder "erhebend"
empfindet sie es jedoch, im Plenarsaal des Berliner
Reichstagsgebäudes Platz zu nehmen und im Anblick des
Bundesadlers zu arbeiten.
Ihre breit gefächerten Interessen spiegeln sich in ihrer
politischen Arbeit wider. Rechtliche Fragen im Verbraucherschutz,
Gartenbau, der Fischerei und bei Tierseuchen stehen im Kontrast zur
Kulturanalyse. Dass es die Enquete auf Bundesebene gibt, obwohl
Kultur Ländersache ist, begründet Connemann so:
"Ausschlaggebend war der Eindruck, dass unsere Kulturlandschaft
zunehmend bedroht ist. In Deutschland gibt es eine beispiellose
kulturelle Vielfalt - noch. Denn versiegende öffentliche
Finanzen führen zur Schließung von Theatern, Museen,
Opernhäusern, Stadtteilbibliotheken und Musikschulen", sagt
die Kulturpolitikerin.
Die Frage, was überhaupt zur "kulturellen Grundversorgung"
gezählt werden soll, beantwortet Connemann so: "Wichtig ist
mir, dass wir uns nicht nur auf die so genannten kulturellen
Leuchttürme konzentrieren. Kultur ist 'Hochkultur' und
Breitenkultur in allen ihren Ausformungen. Dazu gehören auch
die Musikschule, die Stadtbibliothek, der Heimatverein und der
Kirchenchor."
Große Potenziale sieht die Abgeordnete im ehrenamtlichen,
bürgerschaftlichen Engagement. Politik müsse hier
atmosphärisch wirken, damit bürgerschaftliches Engagement
in einem guten Klima gedeihen könne. Gerade ist sie für
die Wahl zur Vizepräsidentin der Bundesvereinigung Deutscher
Musikverbände vorgeschlagen worden, ein Ehrenamt. Da will sie
sich hautnah über die Leistung der kulturellen Breitenarbeit
informieren und besser einschätzen lernen, welche
Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. So sehr sie sich
auf diese Aufgabe freut - privat, zur Entspannung, mag sie es
lieber leise und genießt die Zeit für sich allein, es sei
denn, sie greift selbst in die Tasten.
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