Jürgen Turek
Die heimlich gewünschte Rosskur für
Deutschland
"Thatcherismus" als Vorbild in der
Bundesrepublik?
Selten hat ein Politiker oder eine Politikerin so polarisiert
und aufgeregt wie die ehemalige englische Premierministerin. Nicht
nur, dass sie Großbritannien eine radikale wirtschafts- und
sozialpolitische Rosskur verpasste; sie geriet darüber hinaus
auch mit vielen europäischen Politikern in vielen
Politikfeldern aneinander. Ihr radikaler Reformkurs im eigenen
Lande war heftig umstritten und löste Abscheu, ja blanken Hass
hervor. Die Ablehnung reichte dabei weit über die
Landesgrenzen hinaus.
Auch die Deutschen lehnten die britische Rosskur als Vorbild
für die eigene Politik, aber auch die Person ?Maggie' Thatcher
selbst, entschieden ab. Helmut Schmidt soll sie einmal als
Rhinozeros bezeichnet haben, und Rudolf Augstein entwarf von ihr
die böse Karikatur einer selbstgerechten Hausfrau.
Dieses Bild eines katastrophalen "Gesamtkunstwer-kes" von Person
und Politik ist Vergangenheit. Der Historiker Dominik Geppert
spürt hierzulande einen bemerkenswerten Wandel in der
Wahrnehmung Maggie Thatchers auf, die in allen politischen
Gruppierungen Bewunderung erfahre.
Je mehr sich die Krise in Deutschland vertiefe, je stärker
die politischen Parteien in Ratlosigkeit erstarrten, je schriller
das Krisenbewusstsein die Öffentlichkeit alarmiere und je mehr
das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit des
politischen Systems schwinde, desto spürbarer sei eine die
politischen und gesellschaftlichen Lager übergreifende
Renaissance der eisernen Lady. So schließt sich das Problem
der deutschen Krise derzeit mit der nun wirklich verblüffenden
Frage nach dem Thatcherismus als Vorbild für Deutschland
auf.
"Ruck" in Großbritannien
Geppert geht dieser Frage nach. Und trotz vieler Unterschiede in
der Ausgangslage beider Länder, dort vor etwa 30 Jahren, hier
seit rund einer Dekade, spürt er typische Symptome der
englischen Krankheit in deutschen Landen heute auf: niedriges
Wachstum, ein inflexibler Arbeitsmarkt, kurze Arbeits- und lange
Ausbildungszeiten sowie ein grassierender Pessimismus.
Thatchers Projekt bestand seinerzeit darin, radikal staatliche
Leistungen zu kürzen, dem Unternehmertum Tür und Tor
für möglichst ungehinderte Investitionen und Gewinne zu
öffnen und insgesamt einen "Ruck" in der Gesellschaft
einzuleiten. Die Gewerkschaftsmacht wurde beschnitten, der
Langzeitarbeitslosigkeit auch durch unpopuläre Maßnahmen
der Kampf angesagt.
Das war in Europa erstmals Neoliberalismus XXL, auf dessen
Grundlage dann Tony Blair mit seiner Formel des "Dritten Weges"
einige seiner politischen Erfolge überhaupt erst möglich
machen konnte. Und dies sei, so Geppert, auch der entscheidende
Unterschied zwischen der "neuen" Sozialdemokratie in
Großbritannien und in Deutschland, der die seinerzeit
versuchten reformpolitischen Gemeinsamkeiten im
Schröder-Blair-Papier von vornherein zum Scheitern verurteilt
habe. Diese Gemeinsamkeiten seien einfach aufgrund der
unterschiedlichen ordnungspolitischen Prämissen und der
Entwicklungswege in den 70er- und 80er-Jahren nicht vorhanden
gewesen.
Ist der Thatcherismus ein Vorbild für Deutschland? Geppert
bejaht dies im letzten Kapitel seiner sehr anschaulichen
Betrachtung - ein wirklich lesenswertes Buch - und rekurriert dabei
auf alle aktuellen Reizthemen bundesdeutscher Politik: Gesundheits-
und Sozialversicherungswesen, Grundrente, längere
Arbeitszeiten - all dies müsste nun aus den Tabuzonen
verschwinden, will die Bundesrepublik nicht endgültig in ihrer
Unbeweglichkeitsfalle verenden.
Mit Blick auf den Mut in der Politik zitiert er
US-Präsident Andrew Jackson (1829 - 1837): "Ein einziger
mutiger Mann ist allein schon eine Majorität" und fügt
hinzu: "Eine couragierte Frau ... kann ebenfalls bereits eine
Mehrheit sein".
Dominik Geppert
Maggie Thatchers Rosskur - ein Rezept für Deutschland?
Siedler Verlag Berlin 2003; 127 S.,14,- Euro
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