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Bert Schulz
Weltpolitik statt Landwirtschaft
Damals... vor 35 Jahren am 26. Februar 1969:
US-Präsident Richard Nixon spricht vor dem
Bundestag
Ist es möglich, über den 37. Präsidenten der USA
zu schreiben, ohne den Begriff Watergate, die Mutter aller
politischen Skandale, zu erwähnen? Es ist schwer, aber
vielleicht funktioniert es. Richard Milhous Nixon liebte große
Auftritte. Schon aus diesem Grund überraschte es nicht, dass
der Präsident gerade einen Monat nach Beginn seiner Amtszeit
1969 zu einer Antrittsreise bei den westlichen Verbündeten
aufbrach: Brüssel, London, Bonn, Berlin, Rom und Paris - in
knapp einer Woche.
Doch die Tour durch Europa sollte mehr sein als eine prachtvolle
Vorstellungsrunde: Der neue Präsident der Vereinigten Staaten
stand innen- wie außenpolitisch vor einer ganzen Reihe
kniffliger Aufgaben. Nixons größte Herausforderung
lautete Vietnam, oder besser die Frage, wie die USA aus diesem
Krieg einigermaßen heil herauskämen. Kurz vor seinem
Amtsbeginn hatte die amerikanische Truppenpräsenz in dem
asiatischen Land mit einer halben Million Soldaten einen neuen
Höhepunkt erreicht, jede Woche starben im Schnitt 100 von
ihnen. Der innenpolitische Druck auf den Präsidenten war
gewaltig, konkrete Pläne, wie er sein Land aus dieser sich zum
amerikanischen Trauma entwickelnden Tragödie herausführen
sollte, fehlten Nixon. Zusätzlich hatten Rassenunruhen und die
Attentate auf Robert Kennedy und Martin Luther King das
gesellschaftliche Klima angeheizt.
Auch außenpolitisch war die Situation kritisch: Die
Spannungen zwischen der Sowjetunion und China verschärften
sich, die Lage östlich und westlich des Eisernen Vorhangs
blieb nach dem Ende des Prager Frühlings gespannt, die Nato
war nach dem militärischen Rückzug Frankreichs aus dem
Bündnis geschwächt. An Gesprächsstoff mangelte es
also nicht.
Vor dem Nato-Rat in Brüssel trug Richard Nixon am 23.
Februar ein neues Konzept der transatlantischen Partnerschaft vor;
in London betonte er mehrmals nachdrücklich die Gemeinschaft
der beiden Staaten, die einmalig sei. Am 26. Februar 1969 traf der
56-Jährige in Bonn ein. Über den Inhalt der Unterredung
mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) ist wenig bekannt; sie
drehte sich teilweise um Verhandlungen zwischen den beiden
Supermächten USA und UdSSR.
Überraschend und abweichend vom vorher festgelegten
Programm unterbrach Nixon die Gespräche und besuchte eine
Plenarsitzung des Deutschen Bundestages - hier zeigte sich wieder
sein Faible für große Auftritte. Denn natürlich
unterbrach das Parlament seine laufende Sitzung - debattiert wurde
die Landwirtschaftspolitik - und überließ dem "Chef der
größten westlichen Macht unter dem
Begrüßungsjubel des ganzen Hauses" das Rednerpult, wie
diese Zeitung festhielt. (Damit habe er - so schrieb "Das
Parlament" weiter - einer Institution seine Referenz erwiesen, "der
vom eigenen Volke häufig die gebührende Achtung versagt
wird").
Richard Nixon verwies in seiner knappen Ansprache auf die
"Prinzipien und Ideale, die uns auch in Zukunft verbinden werden".
Konkret nannte er die Nato, wirtschaftliche Faktoren, das
"gemeinsame Bekenntnis zum Frieden für die gesamte Menschheit"
und die Demokratie. Für ihn war die Rede vor dem Bundestag
eine Premiere: "Wenn ich heute vor Ihnen stehe, so ist es das erste
Mal, dass ich als Präsident der Vereinigten Staaten vor
irgendeinem Parlament der Welt erscheine." Mit "langanhaltendem,
lebhaften Beifall" verabschiedeten die Abgeordneten laut Protokoll
den US-Präsidenten.
Am folgenden Tag besuchte er Berlin. Auch wenn der
Präsident die US-amerikanischen Garantien für die
Sicherheit der Stadt mehrfach bekräftigte - "ich sage Ihnen
hier und jetzt, Berlin muss frei bleiben", erklärte er vor
6.000 Mitarbeitern der Siemens-Werke - und sich im offenen Wagen
durch die eingeschlossene Stadt fahren ließ, dauerte sein
Besuch nur knappe dreieinhalb Stunden. Nixon wollte keine
Vergleiche mit einem seiner Vorgänger, John F. Kennedy,
heraufbeschwören. Jener hatte sechs Jahre zuvor als Reaktion
auf seinen triumphalen Empfang in der Stadt mit den Worten "Ich bin
ein Berliner" Geschichte geschrieben. Für Nixon war Berlin
deshalb die Stadt Kennedys - jenem Mann, gegen den er 1960
deprimierend knapp die Präsidentschaftswahl verloren hatte,
was nahezu das Ende seiner politischen Karriere bedeutet
hätte.
Diesen Schlusspunkt zu setzen, übernahm Nixon, der als
krankhaft misstrauisch galt, lieber selbst. Nachdem erstmals gegen
einen amtierenen Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren
eingeleitet worden war, trat er 1974 zurück. Der Grund war
jener Skandal, mit den Nixon in die Geschichte eingegangen ist;
seine durchaus erfolgreiche Außenpolitik ist fast vergessen.
Ohne Watergate kann man eben doch nicht über den 37.
Präsidenten der USA schreiben.
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