Karl-Otto Sattler
Heißer Zoff um heiße Luft
Klimapolitik als Poker um Millionen Tonnen von
Kohlendioxid
Eine schöne Sache. Von einem "völlig
neuen Instrument der Klimapolitik" schwärmt Jürgen
Trittin. Merkwürdigerweise will aber keine rechte Freude
über den Aufbruch in die verheißungsvolle Ära des
Emissionshandels aufkommen. Ganz im Gegenteil: Ein handfester Krach
beherrscht die Berliner Bühne, und der grüne
Umweltminister steht in diesem Konflikt mittendrin.
Vor einer "neuen Bürokratisierung und
monströsen Regulierung" warnt Michael Rogowski, Präsident
des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI): Trittins
Vorschläge ließen "befürchten, dass unserer
wirtschaftlichen Entwicklung schwerer Schaden zugefügt wird".
Der Energieversorger Vattenfall malt den Abbau tausender
Arbeitsplätze in Braunkohlekraftwerken besonders in den neuen
Ländern an die Wand: "Das ist nicht Aufbau Ost, sondern Abbau
Ost", so Vorstandschef Klaus Rauscher. Dieter Ameling,
Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, droht mit einer
"Kette von juristischen Auseinandersetzungen". Kritik kommt auch
von Harald Schartau, dem nordrhein-westfälischen
SPD-Vorsitzenden: Was Trittin wolle, sei "nicht akzeptabel", die
"Wettbewerbsfähigkeit" dürfe nicht beeinträchtigt
werden. Die
"Blockade der Wirtschaftslobbyisten"
geißelt im Gegenzug Regine Günther, Klimareferentin beim
Umweltverband WWF: "Die Empörung der Industrie ist gespielt."
Um die Zukunft der Klimapolitik sorgt sich der
Sachverständigenrat für Umweltfragen: Dessen
Generalsekretär Christian Hey wirft der Industrie
"irreführende Informationen" vor.
Der Kampf zweier Linien setzt sich im
Kabinett fort, so sich Trittin und SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang
Clement gegenüberstehen. Schon mehrfach haben die beiden
Politiker nach einer Einigung gesucht, bislang vergeblich. Die
Kommuniqués nach solchen Treffen klingen nicht wie
Verlautbarungen von Koalitionspartnern, sondern wie verklausulierte
Stellungnahmen im Verlauf diplomatischer Friedensverhandlungen
zwischen gegnerischen Lagern: Von "produktiven
Arbeitsgesprächen" redet Trittins Sprecher Michael Schroeren,
es bestehe der "feste Wille, eine einvernehmliche Lösung zu
finden". Die Zeit drängt: Bis Ende dieses Monats muss alles
unter Dach und Fach sein.
Heißer Zoff um heiße Luft: In
Berlin tobt momentan ein Polit-Krieg um den Emissionshandel, um das
Geschäft mit Verschmutzungsrechten, das die Industrie zur
einer Verminderung des Kohlendioxid-Ausstoßes veranlassen und
so einen Beitrag zum Kampf gegen Treibhauseffekt und
Klimakatastrophe leisten soll. So hehr das Ziel, so knallhart die
widerstreitenden Interessen: Gekämpft wird darum, mit wieviel
Kohlendioxid-Lizenzen rund 2.300 Kraftwerke und Industriebetriebe
zum Start des Emissionshandels im Januar 2005 ausgestattet werden -
wieviel Schadstoffe also jedes einzelne Unternehmen dann in die
Umwelt abgeben darf. Da ist viel Geld im Spiel, schließlich
dreht es sich beim Emissionshandel um einen milliardenschweren
Markt, der in der EU international angelegt ist.
So verwirrend der vielstimmige Chor der
Streithähne auch ist, so reduziert sich das Gerangel im Kern
doch auf ein simples Grundmuster: Das hinter Trittin versammelte
Öko-Lager dringt auf eine spürbare Reduzierung der
insgesamt erlaubten Menge an Kohlendioxid, in deren Rahmen das
"Ablassgeschäft" stattfinden soll - und die Industrie, die auf
Clement setzt, will strenge Auflagen verhindern. Konkret gefeilscht
wird um 20 bis 30 Millionen Tonnen Kohlendioxid mehr oder weniger.
Verkompliziert wird die Lage, weil die einzelnen
Wirtschaftsbranchen ihrerseits unterschiedliche, ja teils
gegensätzliche Ziele verfolgen. Ein klassischer
Interessenkonflikt also.
Eigentlich ist das Ganze recht einfach, vor
allem aus mathematischer Sicht. Gemäß den Richtlinien des
Kyoto-Protokolls will die EU den Ausstoß aller Treibhausgase
im Vergleich zum Stand von 1990 um acht Prozent verringern. Auf die
einzelnen Mitgliedsstaaten entfallen dabei unterschiedliche Quoten.
Deutschland hat für diese Zeitspanne eine Bringschuld von
minus 21 Prozent, Portugal darf sogar 27 Prozent mehr Klimakiller
produzieren. Die Vorgabe für die Bundesrepublik mutet
drastisch an, ist es aber nicht: 18 Prozent der
Reduzierungsverpflichtung wurden bereits geleistet, nämlich
durch die Stillegung vieler "schmutziger", noch aus der DDR
stammender Industrieanlagen östlich der Elbe. In absoluten
Zahlen: 1990 belasteten in Deutschland 1.218 Millionen Tonnen an
Treibhausgasen die Luft, 2012 dürfen es noch 962 Millionen
sein.
Wichtigstes Treibhausgas ist das
Kohlendioxid. Laut EU-Ziel muss in der Bundesrepublik die Abgabe
dieses Schadstoffs bis 2012 auf 846 Millionen Tonnen sinken (1990
waren es noch 1.014 Millionen). Der jetzt anlaufende
Emissionshandel beschränkt sich auf Kraftwerke und auf
industrielle Branchen wie etwa die Metallerzeugung, die
mineralverarbeitende Industrie, die Zellstoff- und
Papierherstellung, Raffinerien, Aluminiumhütten, Kalk- und
Zementwerke oder Chemiefabriken, insgesamt sind hierzulande rund
2.300 Unternehmen betroffen. Zum gesamten Kohlendioxid-Ausstoß
steuert dieser Sektor den Löwenanteil bei, 1990 waren es 636
Millionen Tonnen, zwischenzeitlich ist die Tendenz
rückläufig.
Neben Kraftwerken und Industrie sind auch der
Verkehr und die privaten Haushalte sowie das Kleingewerbe, die
allesamt nicht unter den Emissionshandel fallen, für die
Kohlendioxidbelastung verantwortlich. Als Faustregel gilt: Je
höher der Schadstoffausstoß bei Kraftwerken und
Industrie, desto mehr müssen Verkehr und private Haushalte zu
einer Entlastung beitragen - so das von der EU proklamierte Ziel
der Treibhausgas-Reduzierung für 2012 nicht verfehlt werden
soll. Der Verband der Automobilindustrie warnt bereits vor rigiden
Auflagen.
Im Januar hat Trittin ein Sprachmonster
vorgestellt, das "Treibhausgasemissionshandelsgesetz", das den
Rahmen für das Geschäft mit Verschmutzungsrechten
absteckt. Ans Eingemachte geht es aber erst jetzt mit dem
"Nationalen Allokationsplan", ein den Bürgern wohl nur schwer
verständliches Wortungetüm: Dieses Instrument legt
präzise fest, wieviel Lizenzen jeder einzelnen Firma für
den Start des Emissionshandels zugeteilt werden - wieviel
Kohlendioxid ein Betrieb also im kommenden Januar ausstoßen
darf und auf welcher Basis in den Folgejahren je nach
Schadstoffproduktion Zertifikate gewinnbringend verkauft werden
können oder teuer zu erwerben sind. Bis Ende März
müssen die Daten nach Brüssel gemeldet werden, und
deshalb ist momentan vor und hinter den Kulissen ein Hauen und
Stechen im Gang.
Trittin will Kraftwerken und Industrie 2012
noch eine lizenziertes Gesamtvolumen von 480 Millionen Tonnen
Kohlendioxid zugestehen, bis Ende 2007 sollen es jährlich 488
Millionen Tonnen sein. Gegen diese Pläne läuft der BDI
Sturm. Die Wirtschaftslobby will für die ersten drei Jahre des
Emissionshandels überhaupt keine Vorgaben akzeptieren und
diese Phase als eine Art Testlauf betrachten. Zum Start am 1.
Januar 2005 sollen die am Emissionshandel beteiligten Firmen
"bedarfsgerecht" mit Zertifikaten ausgestattet werden, das
heißt, sie sollen Lizenzen im Umfang des aktuellen
Kohlendioxid-Ausstoßes erhalten. Um des Umweltministers Ziel
von 480 Millionen Tonnen für 2012 wird heftig gefeilscht: Nach
einer FAZ-Meldung bewegt man sich in den Verhandlungen zwischen
Clement und Trittin angeblich auf eine Kompromisslinie von rund 500
Millionen Tonnen zu - bestätigt worden ist das bislang
nicht.
Die Wirtschaftslobby kämpft deshalb so
erbittert um ein paar Millionen Tonnen Kohlendioxid, weil sich so
die widerstreitenden Interessen der verschiedenen Branchen am
einfachsten auf einen Nennen bringen lassen. Wie so oft steckt auch
beim Allokationsplan der Teufel im Detail. Eine Fülle im
Detail kaum zu durchschauender Regelungen bei den Kriterien
für die Lizenzvergabe sorgt dafür, dass die diversen
Industriezweige und einzelnen Unternehmen jetzt und in Zukunft
höchst unterschiedlich mit Zertifikaten für den
Kohlendioxid-Ausstoß bedacht werden.
Für Streit sorgt beispielsweise der
"early actions"-Topf mit kostenlosen Extralizenzen; das Recht
für die Abgabe von zehn Millionen Tonnen hat Trittin unter
diesem Titel verpackt. Wer zwischen 1991 und 2002 in klimaschonende
Produktionsmethoden investiert hat, soll mit solchen Zertifikaten
nun nachträglich belohnt werden. Der Ansturm von Kraftwerken
und Industriefirmen auf die Gratis-Zertifikate dürfte
groß sein, im Einzelfall wird der Bonus aber wohl nicht viel
einbringen - wenn diese Quelle insgesamt nicht noch kräftiger
sprudeln sollte.
Für "prozessbedingte Emissionen" hat
Trittin 35 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingeplant: Das sind
Schadstoffabgaben, die aus produktionstechnischen Gründen
nicht vermindert werden können und die deshalb auch keinen
Reduktionszwängen unterliegen. Die Stahlbranche verlangt eine
Aufstockung dieses Topfs auf 65 Millionen Tonnen, sofern die
deutsche Stahlherstellung nicht eingeschränkt werden solle:
"Allein in der Stahlerzeugung verbrauchen wir schon 44 Millionen
Tonnen", klagt Präsident Ameling.
Extra-Zertifikate im Umfang von zwei
Millionen Tonnen sollen der Kraft-Wärme-Kopplung zugutekommen:
Diese Kraftwerke gewinnen energieeffizient sowohl Strom wie
Wärme und schonen deshalb wegen eines sparsamen
Ressourcenverbrauchs die Umwelt.
Auch innerhalb der Kraftwerksbranche sind
verquere Interessenkollissionen zu beobachten. So fürchten
Konzerne wie Eon oder EnBW, die einen hohen Anteil an Atomstrom
haben, eine Benachteiligung gegenüber den RWE mit ihren
Kohlemeilern. Werde ein Kohlekraftwerk stillgelegt und durch eine
schadstoffärmere Gasanlage ersetzt, blieben die alten Lizenzen
in vollem Umfang erhalten und die "überflüssigen"
Zertifikate könnten gewinnbringend veräußert werden
- Kernkraftwerksbetreiber, so die Kritik, müssten im Falle
einer Abschaltung der bisherigen Anlage hingegen Lizenzen teuer
aufkaufen.
Die Energieversorger mit Kohlebestand sind
freilich ebenfalls nicht zufrieden. Ihre Sorge: Werde bei neuen
Kraftwerken das emissionsarme Gas als Maßstab für die
Berechnung des zu zertifizierenden Schadstoffausstoßes
genommen, dann drohe eine Verteuerung der Stromerzeugung aus Braun-
und Steinkohle - mit der Folge einer "Decarbonisierung der
Wirtschaft" und des Verlusts vieler Arbeitsplätze.
Wie man es dreht und wendet, mit welcher
Begründung im Einzelfall diese Branche oder jenes Unternehmen
mehr Lizenzen für sich herausholt: Solche "Gewinne" gehen
immer zu Lasten anderer Firmen, da der Zertifikatstopf insgesamt ja
limitiert ist. Deshalb dringt der BDI darauf, die künftig
erlaubte Menge an Kohlendioxid-Ausstoß hoch anzusetzen - um so
möglichst viel Verteilungsmasse zu erreichen und um so im
eigenen Lager Druck aus dem Kessel nehmen zu
können.
Dem Öko-Lager passt diese ganze Richtung
nicht, man befürchtet eine Aufweichung des Emissionshandels zu
Lasten der Umwelt. Regine Günther über die Power der
Industrielobbyisten: "Es geht ihnen darum, das Klima weiter
kostenlos im großen Stil ruinieren zu dürfen." Die
WWF-Politikerin meint, Trittin sei in seinem Allokationsplan "den
Wünschen der Wirtschaft schon bis zur Schmerzgrenze
entgegengekommen".
In diesem Sinne argumentiert auch der
Sachverständigenrat für Umweltfragen: Trittins Konzept
(ein "vernünftiger Kompromiss") enthalte bereits "sehr
weitgehende Konzessionen" an die Industrie. Die pokere "um so viele
Emissionsrechte wie möglich", kritisiert Generalsekretär
Hey. Besonders alarmierend sei, klagt der Umweltrat, dass beim
jetzigen Streit die Energiekonzerne RWE und Vattenfall mit ihrem
Interesse an der Kohleverstromung das Wort führten. Gebe die
Regierung den Forderungen des BDI zum Emissionshandel nach, mahnt
das Gremium in einer Erklärung, "würde dies letztlich
darauf hinauslaufen, die weltweit beachtete, ursprünglich
parteiübergreifend getragene deutsche Klimapolitik
zurückzuwerfen".
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