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Gottfried Niedhart
Historiker und Kolumnist seiner Zeit
Eine anregende Biografie über Golo
Mann
Unter den schreibenden und publizierenden
Mitgliedern der Familie nimmt das dritte Kind von Thomas und Katia
Mann eine besondere Stellung ein. Golo Mann verfügte nicht
über die literarische Kraft seiner Geschwister Erika und
Klaus, vom Vater oder von seinem Onkel ganz zu schweigen. Aber er
erreichte als Historiker, der Geschichtsschreibung zu einem gut
Teil als literarische Erzählung begriff, wie nur wenige in den
60er und 70er-Jahren ein großes Publikum.
Golo Mann wirkte aber nicht nur als
literarisch ambitionierter Historiker, sondern seit seinen
Studententagen über die Zeit des Exils bis hin ins hohe Alter
auch als politischer Publizist, der wie kein anderes Mitglied der
Manns Analysen und Stellungnahmen zum Zeitgeschehen ablegte und ein
gefragter Kommentator und Diskutant war. Ihm hat nun Urs Bitterli
eine umfangreiche Biographie gewidmet.
Sie setzt mit einer eindringlichen
Schilderung des familiären Umfelds ein, in das Golo Mann 1909
hineingeboren wurde. Schon der Vorname lässt die Prägung
erkennen, die vom berühmten Vater ausging. Wie bei Hanno in
den "Buddenbrooks" handelte es sich auch bei Golo nicht um den
eingetragenen Namen, sondern um eine Zusammenziehung aus Angelus
Gottfried Thomas. Daran hielt auch der Erwachsene fest, obwohl ihm
die Kindheit im Rückblick als "elend" vorkam, - verdorben
durch die unnahbare Autorität des Vaters, der dem scheuen und
eigenwilligen Kind mit Ablehnung begegnete. Um so bemerkenswerter
ist es, wie Golo Mann der Familie immer eng verbunden blieb und dem
Vater während der Anfeindungen und Entwurzelung nach 1933 eine
wichtige Stütze war. Wer sich für die Familiengeschichte
der Manns interessiert, findet bei Bitterli aufschlussreiches
Material.
Die Jahre des Exils verbrachte Golo Mann in
der Schweiz, in Frankreich und seit 1940 in den USA als Lehrer
für Deutsch, Verfasser politischer Aufsätze und
schließlich als Historiker an amerikanischen Colleges. Die
erste Wiederbegegnung mit dem alten Kontinent erfolgte 1945 als
Angehöriger der amerikanischen Streitkräfte. Bis zur
endgültigen Rückkehr nach Europa, aber nie wirklich nach
Deutschland dauerte es noch bis zum Ende der 50er-Jahre.
Nach einer Zwischenstation in Stuttgart, wo
er eine bald wieder aufgegebene Professur für
Politikwissenschaft innehatte, nahm er seinen Wohnsitz in Kilchberg
bei Zürich in dem Haus, das seine Eltern 1954 erworben hatten,
ein Jahr vor dem Tod des Vaters. Katia Mann lebte dort bis an ihr
Lebensende 1980; Sohn Golo stand seiner Mutter fürsorglich zur
Seite.
Von Kilchberg aus entfaltete Golo Mann seine
immense publizistische Tätigkeit, die sich in unzähligen
Artikeln für fast alle wichtigen Zeitungen und Zeitschriften
niederschlug. Bitterli tut des Guten oft zu viel, wenn er ausgiebig
daraus zitiert. Als "Konservativer von liberaler
Aufgeschlossenheit", der einen berühmten Namen trug und zu
einer Instanz wurde, wie der Autor im Titel zum Ausdruck bringt,
war Golo Mann ein beinahe omnipräsenter Autor und Referent.
Dabei fühlte er sich keiner intellektuellen Schule oder
irgendeiner Institution verpflichtet und verstand sich als
Außenseiter, der sich so recht mit niemandem identifizieren
wollte.
Besonders bezeichnend war es, dass er
für die sozial-liberale Ostpolitik und Willy Brandt als
Bundeskanzler eintrat und einige Jahre später für die
Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß warb. Brandts
Ostpolitik unterstützte er, weil damit die
Nachkriegsrealitäten in Europa anerkannt wurden und eine
Ausgleichs- und Versöhnungspolitik auch in Richtung Osten
beginnen konnte. Dass zwei deutsche Staaten existierten und die
faktisch bestehende polnische Westgrenze nicht in Frage gestellt
werden sollte, gehörte zu den zentralen Punkten, die Golo Mann
ähnlich wie etwa Marion Dönhoff oder Henri Nannen der
westdeutschen Öffentlichkeit nahe bringen wollte.
Die Entfremdung von Brandt setzte ein, als
Mann in völliger Verkennung der tatsächlichen Ziele der
sozial-liberalen Ostpolitik dem Bundeskanzler und vor allem Egon
Bahr unterstellte, sie hätten die Neutralisierung Deutschlands
im Sinn und gingen in der Annäherung an die Sowjetunion so
weit, dass sich die Bundesrepublik "aus der Umarmung des Bären
nicht mehr lösen kann". Von hier war es nur ein kurzer Schritt
zu Brandts Gegenpol auf der konservativen Rechten. Dass auch
Strauß dann nicht die ungeteilte Zustimmung fand, war typisch
für die stets mitschwingende kritische Distanz Golo Manns,
aber auch für eine gewisse Kurzatmigkeit und
Subjektivität seines Urteils.
Melancholische Skepsis
Bitterli stellt uns einen Menschen vor, der
die Welt "mit melancholischer Skepsis" betrachtete und der vom
"kurzen" 20. Jahrhundert nur den Ersten Weltkrieg verpasste, nicht
aber die Erschütterungen, die von dieser "Urkatastrophe" des
Jahrhunderts ausgingen. Dazu gehörten die politischen und
weltanschaulichen Kämpfe der ausgehenden Weimarer Republik und
der Einschnitt von 1933, den Bitterli mit einigem Recht "nicht als
Ergebnis einer folgerichtigen Entwicklung", aber doch verharmlosend
"als freilich höchst gravierenden Betriebsunfall" deutet.
Ferner gehörten dazu der Nationalsozialismus und der Zweite
Weltkrieg und darauf folgend der Kalte Krieg. Schließlich
erfährt der Leser viel über Politik und Kultur der
westdeutschen Nachkriegsgeschichte bis hin zur Vereinigung der
beiden deutschen Staaten, die Mann noch erlebte, bevor er 1994
starb.
Urs Bitterli
Golo Mann. Eine Biografie.
Kindler Verlag, Hamburg 2004; 736 S., 29,90
Euro
Professor Gottfried Niedhart lehrt Neuere
Geschichte an der Universität Mannheim.
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