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Anna Stefan
Betroffene und doch Außenseiterin
während Mauer- und Nachwendezeit
Die holländische Schauspielerin Cox Habbema
erinnert sich
Als sie den Mann, mit dem sie Jahre in Berlin- Ost gelebt hatte,
nach der Wende anrief und ein Gespräch über die
gemeinsamen Erinnerungen vorschlug, sagte der: "Was weißt du
schon von der DDR?" Sie ist überrascht. Immerhin hat sie zwei
Jahrzehnte, mit Unterbrechungen, in Berlin-Ost gelebt, einen Teil
davon mit ihm. Trotzdem. Ihre Position war eine Ausnahme, ein
seltenes Privileg. Was weiß sie wirklich von dem normalen
Leben dort? Woran erinnert sie sich? Was ist ihr heute bedeutsam
aus zwiespältiger Vergangenheit?
Cox Habbema ist Schauspielerin, populär aus DEFA-Filmen und
vom Deutschen Theater, Regisseurin und Intendantin in den
Niederlanden, ihrer Heimat. Lange war sie Wanderin zwischen den
Welten, sie pendelte oft täglich zwischen Amsterdam und
Berlin. Jetzt liegen ihre Erinnerungen vor.
Auch Erinnerungen an jene merkwürdigen Fahrten im
plüschigen Zug von West über Berlin weit in den Osten und
umgekehrt. Russen und Polen waren ihre Reisegefährten. Immer
ist es ein Blick von draußen auf dieses geteilte, dann wieder
zusammengesetzte, zusammengestanzte Deutschland. Die Folgen waren
unabsehbar, die Erwartungen euphorisch und hoffnungsvoll,
beunruhigend, maßlos.
Die Autorin kennt die Deutschen. Sie nimmt sie aus sehr
kritischer Sicht wahr, beobachtet, urteilt und kommentiert.
Manchmal erklärt, ja belehrt sie auch. Anerkennende Worte
findet sie nur für wenige Kollegen, für Dieter Franke
etwa und Klaus Piontek. Beide leben nicht mehr. Es muss eine sehr
eigene Atmosphäre am Deutschen Theater gewesen sein, fast
familiär. Sie fand so etwas nicht wieder. Nach der Wende
zerbrachen Bindungen, Verträge und Freundschaften.
"Holländische Gewissheit"
Ihr Ehemann war damals Eberhard Esche, ein Star für ein
Stammpublikum bis heute. Kennengelernt haben sie sich bei ihrer
ersten gemeinsamen Arbeit "Wie heirate ich einen König?", ein
Märchenfilm. Er sollte verboten werden, sie kämpften
dagegen und setzten sich durch. Sie schreibt von ihrer
"holländischen Gewissheit", Dinge verändern zu
können. So gut wie nichts erfährt man jedoch im Buch von
dem Zusammenleben des Paars, von dem, was beide unter so ungleichen
Lebensverhältnissen verband und warum es zu Ende ging.
Vielleicht wäre manches im Kontext der politischen
Verhältnisse interessant gewesen.
Cox Habbema klammert persönliche Beziehungen nahezu aus.
Sie schildert politische Entwicklungen, Meinungen, weiß aber
auch von mancher Chance auf Inseln wie dem Deutschen Theater. Am
interessantesten lesen sich die Geschichten von Menschen, die sie
von anderen erfährt oder, besser noch, die sie selbst erlebt.
Ziemlich am Schluss des Buches erzählt sie von
Nachwendeschicksalen, kurz und pointiert:
Von einer Witwe, die die auf Westniveau zu bringende
Kanalisation für ihr Haus nicht bezahlen kann und selbst um
gnädige Bedingungen in den West-Stahlwerken betteln muss. "So
etwas hatte sie noch nie getan." Ganz anders der wendige
Schriftsteller. Sie fragt ihn: "Schreibst du noch?" Er:
"Ununterbrochen." Es gehe ihm gut. Habbema: "Das stimmt, ihm ging
es auch früher schon immer gut."
Sie findet harte Worte für den Charakter der Deutschen, ob
Ost oder West. Sie stellt die Meinungen des einen über den
anderen gegenüber. Natürlich sind es Klischees, aber die
herrschen noch immer.
Einen Großteil ihrer Erinnerungen umfassen die Jahre nach
der Wende. Da ist sie längst Intendantin an einem
holländischen Theater. Gleich 1990 reist sie nach Berlin.
Irgendwann will sie hier wieder eine Wohnung haben. Sie schreibt
über Begegnungen, Wiedersehen mit alten Kollegen,
Gespräche, Eindrücke. Sie erlebt Trauer und Entsetzen.
Sie geht die früheren Wege vom Theater in die
Friedrichstraße, sieht ohne Euphorie auf die neue Pracht.
Blick von draußen
Habbema meldet sich bei einer Freundin, will sie besuchen.
"Weshalb kommst du?", fragt die kühl. Die meisten Wiedersehen
bringen Verdruss, Missverstehen, Melancholie. Die Autorin
fühlt sich wieder zwischen allen Stühlen: "Ich stehe
draußen."
Doch gerade der Blick von draußen, jenseits von deutscher
Enge, macht den Reiz dieser Erinnerungen aus. Oft wird sie gefragt:
Warum noch dieses Buch? Es sei doch alles gesagt. Bei ihr aber kann
man Neues erfahren, eine andere Sicht, ein überraschendes
Urteil. Das ist spannend. Hier, in der Fremde, im eingemauerten
Berlin, hat sie ihre großen Erfolge gefeiert, fand sie
Freunde, ein euphorisches Publikum, Gründe genug zum
Aufbegehren und - nehme ich mal an - auch Glück.
Cox Habbema
Mein Koffer in Berlin.
Oder das Märchen von der Wende
Militzke Verlag, Leipzig 2004;
192 S., 19,90 Euro
Anna Stefan arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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