Johannes L. Kuppe
Ungesühnte Kriegsverbrechen werfen ein
trübes Licht auf die deutsche Justiz
Das Massaker auf der griechischen Insel
Kefallonia
Wir alle kennen das Gerede: Die deutsche Wehrmacht habe im
Zweiten Weltkrieg ehrenhaft gegen einen übermächtigen
Feind gekämpft und sei dabei "sauber" geblieben. Mit den
Verbrechen des Nazi-Regimes habe sie nichts zu tun. Die Angriffe
auf die so genannte Wehrmachtsausstellung von Jan Philipp Reemtsma
haben gezeigt, dass diese, die geschichtliche Wahrheit leugnende
Auffassung, auch fast 60 Jahre nach Kriegsende noch immer von
vielen, allzu vielen Deutschen geteilt wird.
Im vorliegenden schmalen Band hat es ein deutscher Historiker
auf sich genommen, ein fürchterliches Kapitel deutscher
Kriegsführung und seine bis heute ausgebliebene Ahndung
aufzuhellen. Was steht heute fest? Am 8. September 1943
verlässt das faschistische Italien nach der Entmachtung
Mussolinis das Kriegsbündnis mit Hitler-Deutschland und
schließt einen Waffenstillstand mit den Westalliierten. Alle
bis dahin verbündeten italienischen Truppen, soweit sie im
Verbündeten-Gebiet stationiert waren, mussten kapitulieren und
wurden zumeist interniert.
Anders im vorliegenden Fall. Die auf der westgriechischen Insel
Kefallonia, Nachbarin der Odysseus-Insel Ithaka, stationierte
italienische Division Acqui (etwa 10.000 Mann) widersetzte sich der
von der eigenen Armeeführung in Athen auf Druck der deutschen
Besatzung angeordneten Kapitulation, vor allem der befohlenen
Abgabe aller Waffen. Darauf wird von der Heeresgruppe E in Saloniki
(Generaloberst Löhr) dem XXII. Gebirgsarmeekorps (Division
"Edelweiß") mit Sitz in Ioannina (Epirus) unter General Hubert
Lanz die gewaltsame Entwaffnung der Italiener befohlen. Diese
Division hatte sich bereits im Antipartisanenkrieg in
Nordgriechenland "bewährt".
Nun beginnt das Schreckliche, das eigentlich Unvorstellbare. Auf
Grund eines wahrscheinlichen, aber bis heute nicht nachweisbaren
"Führerbefehls" ("Gefangene werden in Kefallonia nicht
gemacht"), der immer nach Empfang zu vernichten war, ermordeten -
überwiegend in der Zeit vom 17. bis 24. September 1943 -
deutsche Gebirgsjäger nach nur zweitägigen Kämpfen
zwischen 8.000 und 9.000 bereits entwaffnete italienische
Kriegsgefangene, darunter einige hundert Offiziere, die von den
Deutschen gegen jedes Kriegsvölkerrecht und im Widerspruch zu
der von den Nazis noch selbst unterzeichneten Haager
Landkriegsordnung von 1929 als "Freischärler" bezeichnet
wurden.
Von ihnen fallen höchstens 1.000 in den kurzen Gefechten;
5.000 werden auf der Insel selbst zum Teil mit Maschinengewehren
erschossen, der Rest kommt auf Transporten zum Festland oder auf
der Flucht über die Ägäis gewaltsam zu Tode. Bei den
Erschießungen ist überwiegend Grausamkeit im Spiel.
Inzwischen sind knapp 30 Hinrichtungsstätten bekannt. Einige
Dutzend Italiener entkommen dem Massaker durch Flucht, deren
Umstände genauso furchtbar wie die der Ermordung ihrer
Kameraden sind.
Was an Erlebnisberichten von Überlebenden vorliegt, hat der
Autor aufgenommen. Mit vielen von ihnen und zahlreichen
griechischen Augenzeugen (auch den Angehörigen griechischer
Opfer) hat er vor Ort gesprochen, Tatorte aufgesucht und seinen
Bericht bereits vor zehn Jahren in Griechenland und Italien
veröffentlicht. Im vorliegenden Buch hat er jetzt noch eine
Schilderung der juristischen "Aufarbeitung" dieser Geschehnisse
angefügt, die den Leser genauso erschüttert wie das
Massaker selbst.
General Hubert Lanz wurde zwar 1948 in Nürnberg, neben 30
anderen hohen Offizieren, als Kriegsverbrecher zu zwölf Jahren
Haft verurteilt, jedoch bereits 1951 von Hochkommissar McCloy
amnestiert. Von Heuß, über Adenauer bis Mende,
Strauß und Schumacher hatte dies die ganze damalige
Politprominenz von den Amerikanern verlangt. Ein Teil von Lanz'
Stabsoffizieren hat später in der Bundeswehr Karriere
gemacht.
Bei Anklagen vor einem italienischen Militärgericht und
nach mehreren Ermittlungsverfahren deutscher Staatsanwaltschaften
gegen Wehrmachtsangehörige der unteren Befehlsebenen kam es
stets zu Einstellungsverfügungen. Schlampige, voreingenommene
oder desinteressierte Ermittlungen fern aller juristischen
Qualität, jedenfalls auf deutscher Seite, so der Autor, haben
den Ruf der deutschen Justiz erheblich beschädigt. Seit 1998
ermittelt die Dortmunder Staatsanwaltschaft erneut - bis heute ohne
Ergebnis.
In Mittenwald ist 2003 ein "Ehrenmal" für die "treuen
Maultiere" der Gebirgstruppe errichtet worden. Ihre italienischen
Menschenopfer sind fast vergessen. Täter waren lediglich ein
paar inzwischen verstorbene Generäle, die zudem noch mehr oder
weniger erfolgreich Befehlsnotstand geltend gemacht haben. Alle
darunter können sich nicht mehr erinnern, waren gar nicht
dabei, wissen nur was vom Hören-Sagen oder leugnen die
Tatsachen überhaupt. Ein Trauerspiel, das wir ja kennen.
Christoph U. Schminck-Gustavus
KEFALLONIA (Kefallonia). 1943 - 2003.
Auf den Spuren eines Kriegsverbrechens.
Donat Verlag, Bremen 2004; 240 S. 18,80 Euro
Johannes L. Kuppe, früher Leitender Redakteur dieser
Zeitung, lebt in Bad Honnef.
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