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Dirk Klose
Ein Geschenk an ihre Leser
Zum 75. Geburtstag von Christa Wolf am 18.
März
Christa Wolf noch ausführlich vorzustellen, hieße
Eulen nach Athen tragen. Seit ihrem Romanerstling "Der geteilte
Himmel" sind über "Kindheitsmuster", "Kassandra" bis zur
jüngsten Erzählung "Leibhaftig" unzählige Leser in
Ost und West mit ihr gegangen. Jedesmal im Herbst wollen
Gerüchte wissen, sie gehöre zum engsten Kreis der
Anwärter auf den Literaturnobelpreis; zu wünschen
wäre er ihr.
So wie ein Dirigent ein Dienst- oder Altersjubiläum mit
einem selbst geleiteten Konzert begeht, so hat die Autorin Christa
Wolf ihren Leserinnen und Lesern schon vor einem halben Jahr ein
Geschenk gemacht, auf das hinzuweisen auch jetzt nicht zu spät
ist: Unter Berufung auf Maxim Gorki, der im Jahre 1935 die
schreibende Zunft angeregt hatte, einen bestimmten Tag im Jahr zu
dokumentieren, hatte 25 Jahre später die Moskauer "Iswestija"
dazu aufgerufen, jeweils den 27. September in Vers oder Prosa
festzuhalten.
Christa Wolf war dieser Anregung gefolgt und hat seitdem 40
Jahre lang penibel den jeweiligen Tagesablauf am 27. September
dokumentiert und reflektiert. Unwahrscheinlich ist, dass sie gleich
von Anfang an eine Veröffentlichung beabsichtigt hatte, denn
die Aufzeichnungen spiegeln lange Zeit eine sehr persönliche
Art des Schreibens, des Zusehens und Bewertens wieder. Zur
Veröffentlichung habe sie sich, wie sie überzeugend sagt,
endlich entschlossen, weil man irgendwann beginne, "sich selbst
historisch zu sehen". Der historische Abstand schaffe auch eine
stärkere Objektivität sich selbst gegenüber.
Man kann diesem Buch gegenüber, gerade weil Christa Wolf
ihre starke Subjektivität gar nicht verhehlen will und kann
(nichts wurde im Nachhinein verändert, geglättet oder
verbessert), nicht gleichgültig sein. Fast vom ersten Tag an,
das war 1960, wird der Leser hineingezogen in ihre Welt, nimmt an
Sorgen und Freuden, an Treffen mit Freunden (und Feinden), an
Leseerfahrungen, an ständigen Reflexionen über Literatur,
Kunst und - dies als ständiger Hintergrund - über die
Politik beider Staaten im geteilten Deutschland und dann im wieder
geeinten Land teil. Dabei wechseln ständig Stil und Tonfall:
zum einen fast nüchterne Reportage, dann wieder Emotion,
Ärger und oft ein feiner, sehr subtiler Humor. Und, so der
Eindruck, mit zunehmendem Alter größere Gelassenheit im
Umgang mit Menschen, aber Sorge um die bedrohte Natur. Es ist ein
Lesebuch zur Geschichte der vergangenen 40 Jahre par excellence wie
wenig andere. Danke und Glückwunsch zum 75.!
Christa Wolf
Ein Tag im Jahr. 1960 - 2000.
Luchterhand Literaturverlag, München 2003;
656 S., 25,- Euro
Der Autor ist verantwortlicher Redakteur dieser Zeitung für
das Ressort "Das Politische Buch".
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