Dieter H. Michel
Ein klares Votum des Souveräns
Sachsen-Anhalt: Erfolgreiches Volksbegehren zur
Kinderbetreuung
Als sich kürzlich Landtag in Magdeburg in einer aktuellen
Debatte mit einem Volksbegehren befasste, zeigte sich Katrin Esche
auf der Besuchertribüne äußerst froh und zufrieden.
Sie hat in Sachsen-Anhalt Menschenmassen hinter sich, die das seit
März 2003 gültige Gesetz zur Kinderbetreuung kippen
wollen. "Ich gehe davon aus, dass es nach der heutigen
Landtagssitzung Änderungen geben wird", sagte die Initiatorin
der spektakulären Unterschriftensammlung im Gespräch mit
"Das Parlament".
Die aus der Kreisstadt Oschersleben im Bördekreis stammende
Katrin Esche und ihr "Bündnis für ein kin-der- und
jugendfreundliches Sachsen-Anhalt" sammelten insgesamt 275.314
Unterschriften gegen das Gesetz. Gewerkschaften und
Elterninitiativen, Arbeiterwohlfahrt und das Diakonische Werk sind
im Bündnis ebenso vereint wie Vertreter von SPD, PDS sowie der
Landeselternrat und der Kinderschutzbund.
Das Bündnis übersprang mit der hohen Zahl von
Unterschriften die geforderte Grenze von 250.000 für ein
Volksbegehren. Die Menschen des Bundeslandes in Mitteldeutschland
protestierten dagegen, dass Kinder nicht erwerbstätiger Eltern
keine Ganztagsbetreuung, sondern nur noch einen Rechtsanspruch auf
eine Betreuungszeit in Kindergärten und Krippen von 25
Wochenstunden erhalten.
Pro und Contra
Kritiker monieren, dass Kindern damit der Umgang mit
Gleichaltrigen fehlt; Befürworter meinen, dass es besonders
arbeitslosen Eltern möglich sein muss, ihre Kinder halbtags in
der eigenen häuslichen Umgebung zu betreuen. Sachsen-Anhalts
Landesregierung als die am höchsten verschuldete in
Deutschland will mit den gesetzlichen Regelungen 43 Millionen Euro
in der Haushaltskasse behalten.
Markus Kurze (CDU) begründete vor dem Landtag, dass die
Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt bundesweit einen Spitzenplatz
hält. "Aus unserer Sicht ist es zumutbar und sollte es auch
künftig bleiben, dass Eltern, die zu Hause sind, einen
Rechtsanspruch auf täglich fünf Stunden Betreuungszeit
und nicht ganztägig haben". Dies reiche nach seiner Ansicht
aus und sei sowohl aus Kindessicht als auch aus familienpolitischer
Sicht verantwortbar und vernünftig. Sozialminister Gerry Kley
(FDP) pflichtete ihm bei und betonte, dass er bei allem
Verständnis für die Verfechter des Volksbegehrens aber
auch für diejenigen die Verantwortung trage, "die nicht
unterzeichnet haben und sich damit für eine Konsolidierung der
Haushaltsfinanzen ausgesprochen haben".
Noch ein anderes Argument führte Kurze an: Da
Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) erst bis 2010
für jedes fünfte Kind in Deutschland einen Ganztagsplatz
in der Kindertagesstätte garantieren will, sei "in
Sachsen-Anhalt das Ziel der Bundesregierung seit langem erreicht".
Für Lydia Hüskens (FDP) steht fest: "Für uns ist es
nicht vertretbar, in anderen Haushaltsbereichen erheblich zu
kürzen, um die Gelder zu sparen, die für die
Zurücksetzung des Kinderbetreuungsgesetzes auf den vorherigen
Stand erforderlich wären."
Die gegenwärtig regierende CDU/FDP-Koalition hatte vor
einem Jahr in einem Kompromiss mit den Sozialdemokraten das heute
wieder so heftig umstrittene Gesetz im Landtag gebilligt. Denn
inzwischen fühlen sich die SPD-Parlamentarier brüskiert
durch eine Aussage des Chefs der CDU-Mittelstandsvereinigung. Er
hatte das Ergebnis des Volksbegehrens als "traurigen Schlussakkord
weniger Unverbesserlicher" bezeichnet. Dem kinder- und
jugendpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion wird der Satz
nachgesagt, "die Unterstützer des Volksbegehrens zweifelten
zugleich auch an der eigenen Eignung zur Kindererziehung".
Diese Aussagen halten die SPD-Genossen heute für einen
unverantwortlichen Umgang mit dem Bürgerwillen und machten das
Thema zum Gegenstand der Debatte. Ihre Sprecherin Petra Grimm-Benne
forderte von der Landesregierung ein "kompromißloses
Angebot".
Eva von Angern (PDS) nennt den Erfolg des Volksbegehrens "eine
herbe Niederlage für die Landesregierung". Ihre Partei habe
von Anfang an gegen das Gesetz gestimmt. Sie bleibt allerdings die
Antwort schuldig, in welchen Bereichen Ministerpräsident
Wolfgang Böhmer (CDU) stattdessen den Rotstift ansetzen soll,
um die Landesfinanzen konsolidieren zu können.
Am Ende der Debatte war man sich trotz einiger Turbulenzen
einig: Das Thema werde mit allen Betei-ligten diskutiert. Und
Katrin Esche ist zuversichtlich: "Die Regierung muss doch die
275.314 Stimmen zur Kenntnis nehmen." Nur: Die Regierung kann nicht
zu Änderungen gezwungen werdent. Lydia Hüskens: "Wir als
FDP-Fraktion scheuen auch einen Volksentscheid als letzte
Konsequenz nicht."
Bereits im Herbst 2000 hatte es in Sachsen-Anhalt ein
Volksbegehren gegen Kürzungen bei der Kinderbetreuung gegeben.
Damals hatte die SPD-geführte und von der PDS tolerierte
Landesregierung ein Gesetz beschlossen. Ein Volksbegehren war
gescheitert, weil nicht genügend Unterschriften zusammen
kamen.
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