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Thomas Emons
Brüsseler Vetternwirtschaft
Damals... vor fünf Jahren am 16. März
1999: Kollektiver Rücktritt der EU-Kommission
Eine Europäische Kommission, die die Kontrolle über
die Verwaltung und die Finanzen der Europäischen Union
verloren hat und damit auch die politische Verantwortung für
Missmanagement, Geldverschwendung und Vetternwirtschaft trägt.
Der rund 150 Seiten starke Prüfungsbericht, den die so
genannten "Fünf Weisen" am 15. März 1999 vorlegen, kommt
einem politischen Todesurteil gleich. Seine Ergebnisse und
Vorwürfe an die Adresse der 20 EU-Kommissare scheinen die
Vorurteile aller Europaskeptiker zu bestätigen. Der Bericht
stellt fest: "Der Ausschuss fand keine Fälle, in denen ein
Kommissar direkt und persönlich in betrügerische
Aktivitäten verwickelt gewesen wäre. Allerdings fand er
Fälle, in denen Kommissare oder die Kommission insgesamt die
Verantwortung für Fälle von Betrug,
Unregelmäßigkeiten oder Missmanagement in ihren
Dienststellen oder Zuständigkeitsbereichen tragen.
Darüber hinaus fand der Ausschuss keinen Beweis dafür,
dass sich ein Kommissar durch Betrug, Unregelmäßigkeiten
oder Missmanagement einen finanziellen Vorteil verschafft
hätte."
Die Konsequenz ist unausweichlich. Daran ändert auch der
Umstand nichts, dass der Präsident der EU-Kommission Jaques
Santer die Vorwürfe des Missmanagements schockiert
zurückweist. Nach einer Nachtsitzung erklärt er am Morgen
des 16. März 1999 den Rücktritt aller Kommissare. Dieser
kollektive Rücktritt scheint unvermeidlich, nachdem sich die
im Zentrum der Kritik stehende EU-Kommissarin Edith Cresson
weigert, ihr Amt aufzugeben. "Ich habe in Brüssel gute Arbeit
geleistet", betont sie bis zuletzt. Die ehemalige französische
Premierministerin gehört der Kommission seit 1995 an und
leitet dort das Ressort Wissenschaft, Forschung und
Entwicklung.
Der damals 65-Jährigen, die als Nachfolgerin ihres
legendären Landsmanns und Kommissionspräsidenten Jacques
Delors in das Leitungsgremium der EU aufgerückt war, werfen
die Fünf Weisen vor, bei einem befreundeten Zahnarzt eine
AIDS-Studie in Auftrag gegeben zu haben, deren Kosten der
Untersuchungsbericht mit rund 140.000 Mark beziffert und deren
Ergebnisse er als "völlig wertlos" einstuft. Auch im Rahmen
des EU-Bildungsprogramms "Leonardo" werden
Unregelmäßigkeiten und Verschwendung von EU-Geldern
gebrandmarkt.
Neben der französischen EU-Kommissarin gerät unter
anderem auch ihre deutsche Kollegin Monika Wulff-Mathies ins Visier
der Fünf Weisen. Der für Regionalpolitik zuständigen
EU-Kommissarin und ehemaligen ÖTV-Vorsitzenden wird
vorgeworfen, den Ehemann einer Freundin mit einem Beratervertrag
beschäftigt zu haben und dabei gegen die
Einstellungsvorschriften verstoßen zu haben. Anders als bei
Cresson, wird der begünstigte Auftragnehmer allerdings als
ausreichend qualifiziert eingestuft.
Ausgelöst worden waren die Untersuchungen durch den
niederländischen EU-Finanzkontrolleur Paul van Buitenen, der
seine Erkenntnisse über finanzielle
Unregelmäßigkeiten bei verschiedenen EU-Programmen im
Dezember 1998 an den Europäischen Rechnungshof in Luxemburg
übergeben hatte und daraufhin von seinem Amt suspendiert
wurde. Doch die Aufklärung lässt sich nicht aufhalten,
und das Europäische Parlament (EP) verweigert der
EU-Kommission am 16. Dezember 1998 die Entlastung für den
EU-Haushalt von 1996. Einen Monat später lehnt das EP zwar mit
293 zu 232 Stimmen und bei 27 Enthaltungen ein Misstrauensvotum
gegen die Kommission ab, verlangt aber die Vorlage eines
Untersuchungsberichtes, der dann im März 1999 das politische
Schicksal der Kommission besiegelt.
Nach dem kollektiven Rücktritt fordert der
französische Staatspräsident Jacques Chirac: "Mehr als je
zuvor braucht Europa effiziente und bürgernahe Institutionen."
Und der amtierende Ratspräsident der Europäischen Union,
Bundeskanzler Gerhard Schröder muss Krisenmanagement
betreiben. Beim Berliner EU-Gipfel, bei dem die Agenda 2000 beraten
werden soll, einigen sich die EU-Regierungschefs am 24. März
1999 auf einen Nachfolger für den zurückgetretenen Jaques
Santer. Die Wahl fällt auf den ehemaligen italienischen
Ministerpräsidenten Romano Prodi. Zeitgleich zum
Rücktritt der EU-Kommission beschließt der Rat der
EU-Finanzminister die Einrichtung eines neuen EU-Amtes zur
Betrugsbekämpfung.
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