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Hartmut Hausmann
Nur schwacher Belebungsversuch der bisherigen
Wachstumsstrategie
Wirtschaftspolitik auf dem EU-Gipfel
Den Mitgliedstaaten scheint nicht klar zu sein, dass 2010 vor
der Tür steht! Vier Jahre nach der in Lissabon beschlossenen
Strategie für mehr Wirtschaftswachstum und
Wettbewerbsfähigkeit sei jetzt schon klar, dass die EU ihre
mittelfristigen Ziele klar verfehlen werde. Diese harsche Kritik,
die von Kommissionspräsident Romano Prodi in den vergangenen
Monaten immer wieder erhoben wurde, hat auf dem EU-Gipfel in
Brüssel zumindest zu neuen Absichtserklärungen
geführt. Zum Abschluss ihres zweitägigen Treffens haben
sich die EU-Staats- und Regierungschefs dafür ausgesprochen,
die erhoffte Phase der konjunkturellen Erholung zu nutzen, um den
Reformprozess wieder zu beleben und zu beschleunigen. Für die
bevorstehende Halbzeitbilanz des Lissabon-Prozesses im ersten
Halbjahr soll 2005 eine hochrangige externe Expertengruppe eine
Analyse erarbeitet. Die weiteren Passagen der Gipfelerklärung
bringen wenig Neues und nichts Konkretes.
Daran nahm auch der Präsident des Europäischen
Parlaments, Pat Cox, Anstoß. Er kritisierte, dass die Aussagen
des Schlusskommuniqués noch hinter denen vergangener
Frühjahrsgipfel zurückblieben. Die Europäer
hätten zwar anderthalb mal so viele Verbraucher wie die USA
aufzuweisen, ein größeres Handelsvolumen sowie ein
höheres Sozialprodukt, blickten aber weiterhin zu den
Vereinigten Staaten auf, von wo die ersehnten Impulse kommen
sollten. Die Regierungen hatten sich im März 2000 in Lissabon
das Ziel gesetzt, die EU innerhalb von zehn Jahren zur
dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaft der Welt zu
entwickeln. Damals war sogar vom Ziel der Vollbeschäftigung
und eines durchschnittlichen dreiprozentigen jährlichen
Wachstums die Rede. Zu den offiziellen quantitativen Zielen
gehört eine Steigerung der Erwerbsquote von damals zwischen 61
und 64 Prozent in der EU auf mindestens 70 Prozent. Mit dieser
Quote werden alle Bürger zwischen 15 und 64 Jahren erfasst.
Die Vereinigten Staaten weisen eine Beschäftigungsquote von 71
Prozent auf.
Nach dem heutigen Stand der Dinge sind die Lissabon-Ziele kaum
zu erreichen. Die Beschäftigungsquote ist zwischen 1999 und
2002 zwar von 62,5 auf 64,3 Prozent gestiegen, bleibt aber
voraussichtlich hinter dem Halbzeitziel von Lissabon von 67 Prozent
für 2005 deutlich zurück. Die deutsche Quote lag 2002 bei
65,3 Prozent. Spitzenreiter ist Dänemark (75,9 Prozent),
Schlusslicht Italien (55,5 Prozent). Die Vereinigten Staaten
konnten ihre Beschäftigungsquote sogar auf 71,9 Prozent
steigern. Bei der Produktivität je Arbeitnehmer hat sich der
Rückstand der gesamten EU gegenüber den USA auf 20
vergrößert, und Deutschland liegt mit 95,5 Prozent noch
deutlich unter dem EU-Durchschnitt.
An sich können die Ursachen des wirtschaftlichen
Rückstands nur von den Einzelstaaten behoben werden, weil dort
weiterhin die Zuständigkeiten für die Arbeitsmarkt-,
Sozial- und Finanzpolitik liegen. Die EU kann flankierend über
die Durchsetzung der Wettbewerbs- und Binnenmarktregeln wirken. Der
gemeinsame Binnenmarkt weist jedoch vor allem hinsichtlich des
elektronischen Handels und des Transports noch Wettbewerbsdefizite
auf. EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein beklagte
kürzlich, dass bei über 40 Prozent der geltenden
Richtlinien im Zusammenhang mit dem Lissabon-Prozess die Umsetzung
durch die Mitgliedstaaten noch nicht abgeschlossen sei.
Nicht im Schlusskommuniqué vertreten ist die Forderung der
britischen und deutschen Regierungschefs Tony Blair und Gerhard
Schröder sowie von Frankreichs Staatspräsident Jacques
Chirac, einen Super-Kommissar einzuführen, der für die
Wirtschaftsreformen zuständig sein soll. Die drei Regierungen
wollen auch die Eigenheiten des internationalen Wettbewerbs und der
erforderlichen industriellen Entwicklung Europas stärker
berücksichtigt wissen: Ein deutlicher Ruf nach einer Lockerung
der Politik der Wettbewerbshüter aus Brüssel. H. H.
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