Claudia Heine
Gute Männer für wenig Geld
Damals...vor 35 Jahren am 1. April 1969:
Bundestagsabgeordnete erhalten die Möglichkeit, Mitarbeiter
einzustellen
Reformen sorgen nicht erst seit der Agenda 2010 für
Ängste und Unruhe. Medienberichten zufolge grassierte im Jahr
1969 das Gespenst von der "Fraktion der Assistenten" durch das
Bundeshaus. Von einem "Schattenparlament" war die Rede, einer neuen
Lobbygruppe, die die Arbeit der Bundestagsabgeordneten
gefährlich zu beeinflussen drohe. Was war geschehen?
Ab 1. April 1969 hatten alle Abgeordneten die Möglichkeit
bekommen, für 1.500 Mark im Monat einen Mitarbeiter oder eine
Mitarbeiterin zu beschäftigen. Was eigentlich zur
Unterstützung der parlamentarischen Arbeit gedacht war, sorgte
zunächst innerhalb und außerhalb des Bundestages für
Diskussionsstoff. Ausgiebig debattierte die Öffentlichkeit
darüber, wer für so wenig Geld arbeiten möchte und
ob es überhaupt möglich sei, "einen guten Mann" damit zu
bezahlen. Fachleute befürchteten, die meisten Abgeordneten
wüssten nicht, wie sie ihre Assistenten sinnvoll einzusetzen
hätten.
Eine Sorge, die die Mehrheit der Volksvertreter natürlich
nicht teilte. Besonders die Bundestags-Neulinge auf den hinteren
Rängen zeigten sich zufrieden, war doch mit dieser Regelung
die "Dreiklassengesellschaft" innerhalb des Parlaments abgeschafft.
Bisher verfügten lediglich die "Fraktionsprominenz", die
Präsidiumsmitglieder und Ausschussvorsitzenden des Bundestages
über einen eigenen, vom Staat finanzierten Mitarbeiterstab. Zu
den Privilegierten zählten außerdem jene Abgeordnete, die
als hauptamtliche Funktionäre einen starken Verband im
Rücken hatten, der ihnen Personal zur Verfügung stellte.
Und wer privat über entsprechende finanziellen Ressourcen
verfügte, konnte sich Mitarbeiter auch auf diesem Wege
leisten. Die Mehrheit der "normalen" Abgeordneten dagegen teilte
sich bis dahin die etwa 40 Schreibkräfte der Kanzlei des
Bundestages.
Lange waren Veränderungen des Parlamentsrechts eher
Stückwerk geblieben. Die so genannte "Kleine Parlamentsreform"
von 1969 - zu der auch die Mitarbeiterpauschale gehörte - war
von daher eigentlich eine große, weil die erste einschneidende
Reform. Instrumente wie die fakultative
Ausschussöffentlichkeit und Enquete-Kommissionen wurden
geschaffen; der Ältestenrat wurde als Lenkungsorgan des
Bundestages eingerichtet; die wissenschaftlichen Dienste der
Bundestagsverwaltung und deren Öffentlichkeitsarbeit wurden
erweitert.
Das Schlagwort von der "Parlamentsreform" machte zwar schon seit
einigen Jahren immer mal wieder die Runde. Aber so deutlich wie der
Präsident des 5. Deutschen Bundestages, Kai-Uwe von Hassel
(CDU/CSU), erklärte sie vor ihm noch niemand zu seinem
Anliegen. Bereits während seiner Antrittsrede am 5. Februar
1969 (sein Vorgänger Eugen Gerstenmaier hatte im Januar das
Amt niedergelegt) ließ er daran keinen Zweifel. Er sprach von
den Schwierigkeiten, die parlamentarische Arbeit in der
Bevölkerung ausreichend zu vermitteln, und forderte von den
Anwesenden, dafür zu sorgen, dass "unsere Entscheidungen und
unsere Argumente verständlich werden". "Draußen" im Land
- und offenbar nicht nur dort - sorgte gerade die
"Außerparlamentarische Opposition" für Unruhe.
Es ging zwar nicht nur ums Geld, als der Bundestag am 27.
März 1969 über seinen Finanzetat für das laufende
Jahr beriet (dieser sah 4 Millionen Mark für die Bezahlung der
neuen Abgeordneten-Mitarbeiter vor). Denn mit der Frage der
finanziellen Ausstattung wurde auch über die
grundsätzliche Funktion und Arbeitweise des Parlaments
leidenschaftlich debattiert.
Aber letztlich spielten die Kosten der geplanten Reformen doch
die Hauptrolle, vor allem wegen des öffentlichen Interesses.
Wilhelm Rabe (CDU/CSU) verteidigte die Pläne damit, "dass zu
einer vernünftigen Parlamentsreform auch gehört, dass den
Abgeordneten ordentliche Arbeitsmöglichkeiten geschaffen
werden". Sein Fraktionskollege Manfred Wörner betonte
ebenfalls die Notwendigkeit, "die Parlamentsarbeit zu
rationalisieren" und sprach von einem "Strukturproblem der
Spezialisierung": Der einzelne Abgeordnete könne aus eigener
Sachkenntnis die Fülle dessen nicht mehr übersehen, was
er täglich zu entscheiden und zu verantworten hätte.
Auch der FDP-Abgeordnete Erich Mende verteidigte die Pläne
gegen Vorwürfe der Kostenexplosion: "Denn in der Tat redet
draußen keiner über seine eigenen Bezüge. Nur wir
Parlamentarier müssen uns ausziehen bis zum letzten Hemd,
damit andere ihre Presseauflage steigern können." Claudia
Heine
Zurück zur
Übersicht
|