Karl-Rudolf Korte
Parlamente sind allemal lernfähig
Eine vergleichende Untersuchung macht
Hoffnung
Parlamente sind politische Institutionen. Traditionell werden
sie in der Regel einer Funktionsanalyse unterworfen. Diese
orientieren sich zumeist an Analyserastern, die aus den
Anfängen des britischen Parlamentarismus rühren. Kein
Wunder, dass Parlamente unter solchen Fragestellungen
defizitär, ohnmächtig, manchmal gar überflüssig
erscheinen. Wer wollte heute noch bezweifeln, dass ihr Anteil an
der politischen Willensbildung im Zeitalter von Mediendemokratien
sehr begrenzt ist.
Um so wichtiger ist es, zeitadäquate Instrumentarien zu
entwickeln, um die empirische Realität der gesetzgebenden
Vertretungskörperschaften neu zu verorten. Die
Parlamentarismusforschung unternimmt dazu unterschiedliche Wege.
Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt nähert sich
dem Problemkomplex über den Begriff des institutionellen
Lernens. Aus der Policy-Forschung ist dieser lerntheoretische
Zugang bekannt. Dabei wird von lernenden politischen Akteuren
ausgegangen, die durch den Lernprozess - und nicht etwa durch
ökonomische Prozesse - politische Veränderungen
begründen.
Für Patzelt bedeutet institutionelles Lernen eine messbare
Wandlungsfähigkeit der Institution, wobei sich die Ausrichtung
an einer sich verändernden Leitidee zu orientieren hat.
Hintergrund bleibt die Überlegung, dass sich lernfähige
Parlamente gerade dadurch auszeichnen, dass sie
leistungsfähiger und mithin auch stabiler sind als
nichtlernfähige Institutionen.
Um das theoretisch zu erarbeiten, setzt Patzelt ein
umfangreiches Rahmenwerk an den Anfang der Studie. An fünf
Fallbeispielen soll anschließend im Buch nachgewiesen werden,
welche Lerneffekte eingetreten sind. Romy Messerschmidt
problematisiert den Funktionskatalog am Beispiel der
französischen Nationalversammlung. Stephan Dreischer widmet
sich dem Europäischen Parlament. Joachim Amm fragt nach der
Rolle des kanadischen Senats. Roland Schirmer möchte
herausbekommen, was die sozialistische Volkskammer konkret bewirken
konnte.
Leider fehlt, wie so häufig in Sammelpublikationen, eine in
sich schlüssige, abgeleitete Zusammenfassung, die
problematisiert, worin die generalisierbaren Ergebnisse bestehen
könnten. Denn die Beispiele zwischen freiheitlichen und
sozialistischen Parlamenten, zwischen föderalen und
ständischen parlamentarischen Wurzeln sind
begründungspflichtig. Jede Fallstudie für sich ist
allerdings eine wertvolle Bereicherung der
Parlamentarismusforschung. Die Volkskammer war als Schein-Parlament
chancenlos für Lernprozesse. Institutionelle
Wandlungsfähigkeit setzt einen freiheitlichen Rahmen voraus.
Doch die Richtung des Lernprozesses ist, wie die
Länder-Beispiele zeigen, vom konkreten institutionellen
Arrangement und von den Erwartungshaltungen der Bürger
abhängig.
Im abschließenden Beitrag von Ute Roericht und Patzelt wird
die Wahrnehmung von Parlamenten demoskopisch beleuchtet. Das
Ansehen der Parlamente hält sich deutlich in Grenzen, ist
jedoch vergleichsweise hoch im Verhältnis zur Reputation der
Parteien. Vertrauensverluste kennzeichnen die Einstellungen der
Bürger gegenüber ihren Parlamenten. Der Ansatz der Studie
macht jedoch Hoffnung. Denn wenn eine institutionelle
Lernfähigkeit in freiheitlichen Systemen existiert, kann auch
Bürgervertrauen gegenüber den Parlamenten wieder wachsen.
Karl-Rudolf Korte
Werner J. Patzelt (Hrsg.)
Parlamente und ihre Funktionen.
Institutionelle Mechanismen und institutionelles Lernen im
Vergleich.
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003; 476 S.,
39,90 Euro
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