Karl-Otto Sattler
Gute Miene zum bösen Spiel
Streit um Emissionshandel ist noch nicht
endgültig entschieden
Ein Kompromiss in letzter Minute, über den
gleichwohl nicht endgültig entschieden ist: Nach wochenlangem
Streit über den Emissionshandel samt finalem Polit-Krimi, bei
dem SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gegen den grünen
Umweltressortchef Jürgen Trittin die Genehmigung eines
deutlich höheren Kohlendioxidausstoßes als geplant
durchsetzte, konnte das Kabinett kurz vor Toresschluss den
"Nationalen Allokationsplan" mit den Zielmengen für die
Schadstoffabgaben nach Brüssel melden.
Sicher ist aber nur, dass Industrie und
Kraftwerke bis 2007 ihren Kohlendioxidausstoß um zwei
Millionen Tonnen reduzieren müssen: Die erneute Verminderung
der Umweltbelastung durch den Klimakiller bis 2012 um weitere acht
Millionen Tonnen ist lediglich als unverbindliche Vorgabe
formuliert. Öko-Politiker bei SPD und Grünen wollen nun
im Gesetzgebungsverfahren noch nachbessern.
High-Noon zur Geisterstunde: Der
nächtliche Poker zwischen Clement, Trittin, Regierungschef
Gerhard Schröder, Außenminister Joschka Fischer und
Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier dürfte als einer
der Marksteine der rotgrünen Koalition in die Geschichte
eingehen. Die Runde musste sogar unterbrochen werden: Erst nach
telefonischen Beratungen Fischers und Trittins mit ihrem
Parteivorsitzenden Reinhard Bütikofer konnte vermieden werden,
dass die sich abzeichnende Niederlage der Grünen in eine Krise
des Bündnisses mündete. Bütikofer meint nach dem
Schlagabtausch, das Klima in der Koalition sei "rauer"
geworden.
Im Januar 2005 beginnt EU-weit der
Emissionshandel, bei dem umweltschonend arbeitende Firmen
Zertifikate für "überflüssige" Kohlendioxidtonnen
gewinnbringend an Unternehmen mit einem über dem zugeteilten
Limit liegenden Ausstoß des Gases zu deren Lasten verkaufen
können: Auf diese Weise soll marktwirtschaftlich und
kostengünstig die klimaschädliche Schadstoffabgabe
insgesamt sinken. In den Emissionshandel einbezogen sind
hierzulande rund 2500 Kraftwerke und Betriebe.
Trittin wollte über die Lizenzvergabe
für den Start 2005 durchsetzen, dass Energieproduzenten und
Industriefirmen ihren Kohlendioxidausstoß von jetzt 505
Millionen Tonnen jährlich bis 2007 auf 488 Millionen Tonnen
und bis 2012 auf 480 Millionen Tonnen vermindern. Mit dem Argument,
die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft sichern zu müssen, wehrte sich Clement erbittert
gegen diese Absicht. Und er darf als Gewinner des Machtkampfs
gelten: Nun ist die Industrie bis 2007 nur auf eine Reduzierung der
Schadstoffabgabe um zwei Millionen Tonnen verpflichtet - und
über die für 2012 avisierte Absenkung auf dann 495
Millionen Tonnen soll in zwei Jahren noch einmal gesprochen
werden.
Clement hatte die stärkeren Bataillone
auf seiner Seite: die Wirtschaft, ausnahmsweise einmal die
Gewerkschaften, demonstrierende Arbeiter aus betroffenen
Unternehmen und die Wirtschaftsminister der Länder. Clement
verkniff sich Siegesfanfaren und sprach zurückhaltend von
einem "sehr guten Ergebnis". Trittin versuchte eine halbwegs gute
Miene zum unerfreulichen Spiel zu machen und konstatierte einen
"schwierigen, aber tragfähigen Kompromiss". Der Umweltminister
stellt es als Erfolg heraus, dass über die im Detail
komplizierte Zertifikatszuteilung auf einzelne Kraftwerke und
Firmen ein frühzeitiger Ersatz besonders schmutziger
Altanlagen durch den Neubau sauberer Betriebe möglich
werde.
Klarer als diese diplomatischen Bewertungen
offenbart die Begleitmusik, wer in diesem Konflikt Koch und wer
Kellner ist. Die Wirtschaft ist voll des Lobes. BDI-Präsident
Michael Rogowski: "Wir können alle Herrn Clement sehr dankbar
sein." Beim Stromerzeuger RWE ist von "großer Erleichterung"
die Rede. Katastrophenstimmung ist dagegen bei
Öko-Verbänden anzutreffen. Regine Günther,
Klimareferentin beim WWF Deutschenland: "Rot-Grün hat den
Emissionshandel de facto kastriert." Der Naturschutzbund
empört sich über den "Kniefall vor den Interessen der
Industrie". "Kohle-Clement" habe gesiegt, klagt Greenpeace. Das
Öko-Institut fragt, wie die Regierung die Ziele von Kyoto
erreichen wolle, wenn die Industrie ihre Abgasmengen nicht in
ausreichendem Maße vermindert.
Mit dieser Kritik werfen die Freiburger
Wissenschaftler ein Schlaglicht auf die ungelösten Probleme.
Nach dem Kyoto-Abkommen und nach den EU-Vereinbarungen soll
Deutschland bis 2012 den Ausstoß von Kohlendioxid im Vergleich
zu 1990 um 21 Prozent senken. Eine Verminderung um 18 Prozent ist
bereits verwirklicht, vor allem als Folge der Stillegung
umweltbelastender Firmen in der Ex-DDR. Zur Gewährleistung des
21-Prozent-Minus müssen von insgesamt noch ausgepusteten 863
Millionen Tonnen Kohlendioxid bis 2012 weitere 17 Millionen
"eingespart" werden. Dies sollten nach dem Willen Trittins
Kraftwerke und Industrie tun. Da diesem Sektor nun aber nur eine
Bringschuld von zehn Millionen Tonnen auferlegt wird, müssen
Autofahrer, Hausbesitzer und Kleingewerbe für die verbleibende
Reduzierung um sieben Millionen Tonnen sorgen.
Solche Pläne existieren aber im Ressort
von Verkehrs- und Bauminister Manfred Stolpe bisher nicht. In Frage
kämen etwa Steueraufschläge aufs Benzin, Tempolimits oder
teure Programme zur Wärmedämmung in Gebäuden. Nicht
unbedingt zur Klarheit trägt Jürgen Trittin mit einer
nebulösen Interpretation bei: Bei Autos und in
Privathaushalten werde sich der Ausstoß von Kohlendioxid
künftig ohnehin weiterhin vermindern, etwa als Folge der
Öko-Steuer. Wird der ominöse Restposten von sieben
Millionen Tonnen also irgendwie von selbst verschwinden?
Noch nicht aufgeben wollen die
Umweltpolitiker in den Koalitionsfraktionen, sie möchten die
Industrie auf eine stärkere Kohlendioxid-Reduzierung
verpflichten. Der Grüne Winfried Hermann: "Wir sind mit dem
Ergebnis absolut unzufrieden." Auch SPD-Abgeordnete wie Michael
Müller und Axel Berg wollen im Bundestag noch
nachbessern.
Zurück zur Übersicht
|