|
|
Stefanie Hoffmeister
In drei Welten
Als türkische Regisseurin in
Berlin
Über den 70er-Jahren in Berlin, der geteilten zerrissenen
Stadt mit allen ihren Unmöglichkeiten, Umbrüchen und
Versuchen, liegt heute schon Patina. Auch die Menschen, die damals
hier lebten, beginnen zu vergessen. Emine Sevgi Özdamar aber,
türkische Stücke- und Buchschreiberin, erinnert sich
genau. Als junge Schauspielerin kommt die Autorin aus Istanbul an
den fremden Ort an der Spree. Sie flieht vor der
Militärdiktatur in der Türkei, vor dem geschiedenen
Ehemann und vor der Ausweglosigkeit.
Sie ist aufgebrochen, um in Berlin Theater zu machen,
Brecht-Theater. Sie will sich einen Traum erfüllen und stellt
sich im Ostteil an der Volksbühne vor. Der große
Regisseur und Prinzipal Benno Besson nimmt sie als seine
Regie-Assistentin; eine glückliche Zeit, große
Theaterkunst entsteht. Es sind die Jahre zwischen 1976 und 1977 -
ein kurzes Stück Leben nur, für sie aber
zukunftsentscheidend.
Sie wohnt in Wedding und Pankow. Die sind Welten entfernt
voneinander. Es gibt Monate, da muss sie täglich zweimal durch
die Mauer, erträgt immer wieder die kalte Routine der
Bewacher. Auf der einen Seite düstere Straßen, öde
Läden, aber auch das Strahlen der großen Bühne, der
berühmten Namen wie Besson, Heiner Müller (der flirtet
ein bisschen mit der schönen Türkin), Fritz Marquard,
Schauspielerfreundin Heide Kipp. Manche kannten noch Brecht,
erzählen Anekdoten von damals. Zum Beispiel die von der
schlauen Helene Weigel, die zur Beerdigung des Meisters sieben Paar
feine schwarze Strümpfe aus dem Westteil für die
Geliebtinnen kommen ließ, damit "die Schlampen anständig"
aussähen.
Auf der flimmernden, der verführerischen Seite Berlins
wohnt Emine eine Zeitlang mit chaotischen Gefährten in einer
WG. Es sind verrückte Beziehungen mit Streit und Liebelei. Ihr
Leben wechselt zwischen Euphorie und Sehnsucht, Zukunftsangst und
Glück. Auch Heimweh nach Istanbul überfällt sie
immer wieder. Sie vermisst die Stimmen der Straße, der Wasser-
und Süßigkeitenverkäufer, der hupenden Schiffe am
Bosporus, der zirpenden Grillen.
Die Geräusche von Berlin klingen anders: Vogelgezwitscher,
Motoren, Straßenbahn. Sie schreibt heiter, unpathetisch, mit
leichter Hand. Probennotizen und genaue Dialoge vermitteln
authentisch die Arbeitsatmosphäre großer Theatermacher
von damals. Sie spiegeln politische Stimmungen wider, wie die
aufgeregten Diskussionen um die Ausbürgerung Wolf Biermanns
oder die Verhaftung Rudolf Bahros, des ökonomischen
Querdenkers in der DDR.
Sie läuft stundenlang durch die Straßen, nimmt
Gerüche und Geräusche auf, Gesprächsfetzen,
Menschen-Geschichten. Ihre Eindrücke sind ganz von
persönlicher, von fremder Sicht bestimmt. Daraus entstehen
neue faszinierende Bilder jener Stadt, die dann 30 Jahre
später eine völlig andere sein wird. Sie bekommt endlich
ein DDR-Visum und muss hier bleiben, um es nicht zu verlieren. Sie
hat nirgendwo ein Bett, schläft erstmal in Köpenick im
Haus von Ursula Karusseit und Besson.
Da läuft sie zwischen den am Boden liegenden Büchern
herum wie "auf einem türkischen Basar". Bei der Schauspielerin
Gabi Gysi am Prenzlauer Berg findet sie ein Zuhause, Geborgenheit
und Gleichfühlende. Sie treffen viele interessante Leute wie
die Schriftstellerin Monika Maron und Katja Lange-Müller.
Günter Gaus klagt über "die Kälte zwischen Ost und
West". Diese Kühle, so schreibt die Türkin, passe ihr
nicht. Die Freunde der West-WG besuchen sie. Träume von
Zukunft werden beschworen, eine gemeinsame ist aber nicht mehr
denkbar. Sie will ein Stück schreiben. Bei ihr ist Hamlet ein
türkischer Bauer. Sie macht auf den Proben schöne
filigrane Zeichnungen, die kauft der Theaterverband. Sie sind Teil
dieses Buches und machen seinen Charme mit aus.
Dann der Schreck im November 1977. Besson verlässt die DDR.
Er mahnt die junge Kollegin: "Man darf nicht zu lange in
Deutschland bleiben. Komm nach Paris. Wir können zusammen
arbeiten." Aber da ist noch Steve, die große Liebe aus
Kopenhagen, der blonde Amerikaner, der sie heiraten will... Sie
muss sich für ihr Leben entscheiden. So geschah es damals in
Berlin. Vielleicht waren auch die Gefühle der gewaltsam
zerschnittenen Stadt immer ein wenig dramatischer als anderswo.
Stefanie Hoffmeister
Emine Sevgi Özdamar
Seltsame Sterne starren zur Erde.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2003;
247 S., 19,90 Euro
Zurück zur
Übersicht
|