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Bert Schulz
Urlaubsreise mit der Stasi
Damals...vor 30 Jahren am 26. April: Aktuelle
Stunde des Bundestages zum Spionagefall Guillaume
Manche politischen Ereignisse vollziehen sich so rasend schnell,
dass man sich im Nachhinein verdutzt fragt, was überhaupt
passiert ist. Wenige Wochen vor dem 25-jährigen Jahrestag der
Verabschiedung des Grundgesetzes wurde die Bundesrepublik von einem
Spionagethriller wie aus dem Groschenroman erschüttert. In der
Nacht zum 24. April 1974 wird der Referent im Bundeskanzleramt,
Günter Guillaume, verhaftet, kurz darauf auch dessen Frau.
Beide spionierten als Agenten für die DDR. Die
Öffentlichkeit ist geschockt. Zwei Tage später diskutiert
der Bundestag bereits in einer Aktuellen Stunde über die
spektakuläre Enttarnung, nur zwei Wochen später tritt
Willy Brandt (SPD) als Kanzler zurück. Die Öffentlichkeit
ist konsterniert. Mit der Demission Brandts endet eine Ära:
Die sozial-liberale Reformpolitik ist Geschichte, die
Aufbruchsstimmung in der Gesellschaft der späten 60er- und
frühen 70er-Jahre weicht einer skeptischeren Grundtendenz.
Was war geschehen? Günter Guillaume war 1956 in die
Bundesrepublik gekommen - als vermeintlicher Flüchtling aus
der DDR. In Wahrheit steht der Hauptmann der Nationalen Volksarmee
in den Diensten der Stasi. Sein Auftrag: Informationen über
die Parteiarbeit der SPD beschaffen. Guillaume arbeitet sich
erfolgreich die Karriereleiter hinauf. 1970 kommt er
schließlich als Referent ins Bundeskanzerlamt, zwei Jahre
später steigt er zum persönlichen Referenten von Willy
Brandt auf. Im Mai 1973 erhält das Bundesamt für
Verfassungsschutz erste Hinweise auf seine Agententätigkeit.
Dennoch begleitet Guillaume Brandt noch im Juli des selben Jahres
bei dessen Urlaubsreise nach Norwegen. Dort bekommt der Spion
Gelegenheit, geheime Dokumente zu lesen.
Die lange Zeit, die der damals 47-Jährige am Puls der Macht
mit Wissen des Verfassungschutzes und des Kanzlers schnüffeln
konnte, erklärt Bundesjustizminister Gerhard Jahn (SPD) in der
Aktuellen Stunde des Bundestages damit, dass nur so genügend
Beweise für die Spionagearbeit des Referenten gesammelt werden
konnten. Gleichzeitig seien natürlich "von den
Sicherheitsbehörden unverzüglich Überwachungs- und
Abwehrmaßnahmen getroffen" worden. Zwar ist laut Gerhard Jahn
sicher, dass Guillaume seit seiner Einreise "ständig
nachrichtendienstlich interessantes Material" gesammelt und
weitergegeben hat. Der genaue Umfang von dessen
Agententätigkeit ist jedoch bis heute ungeklärt.
Willy Brandt reagiert geschockt und "menschlich tief"
enttäuscht über die Machthaber in Ost-Berlin, denen er
mit seiner Entspannungspolitik erst geholfen hatte, die lang
versagte internationale Anerkennung im Westen zu bekommen. "Wie
andere Behördenchefs" sei auch er davon ausgegangen, dass die
Sicherheitsüberprüfung seines Referenten "von den
zuständigen Stellen im Rahmen des Möglichen
durchgeführt werde", so Brandt vor dem Bundestag. Am 6. Mai
verfasst der Kanzler seinen knapp formulierten
Rücktrittsbrief, in dem er "die politische Veranwortung
für die Fahrlässigkeiten im Zusammenhang mit der
Agentenaffaire Guillaume" übernimmt. Die "Frankfurter
Allgemeine Zeitung" schreibt später von einem "Eindruck von
Nachlässigkeit und Eile" bei der
Sicherheitsüberprüfung.
Als einen "Schaden für uns alle" bezeichnet
Oppositionsführer Karl Carstens (CDU) den spät entdeckten
Spionagefall: "Niemand kann über diesen Fall Genugtuung
empfinden." Der Vorsitzende der Unionsfraktion kritisiert jedoch
die "Austauschpraxis" der Bundesregierung, die seiner
Einschätzung nach enttarnte Agenten bereits kurz nach deren
Verhaftung in die DDR abschiebe. Deswegen sei das mit der
Spionagetätigkeit in der Bundesrepublik verbundene Risiko
"nahezu gleich Null".
Das Ehepaar Guillaume, das im Dezember 1975 wegen schweren
Landesverrats zu langen Haftstrafen verurteilt wurde, musste bis
1981 auf seine Begnadigung und umgehende Abschiebung warten. 1985
erhielt der Top-Spion für seine Agententätigkeit die
Ehrendoktorwürde der Universität Potsdam. In Bonn wird am
16. Mai 1974 der bisherige Finanz- und Wirtschaftsminister Helmut
Schmidt (SPD) Kanzler, am Tag zuvor war bereits Außenminister
Walter Scheel zum Bundespräsidenten gewählt worden.
Bis heute wird der rasche Rücktritt von Willy Brandt, den
viele Beobachter in In- und Ausland als übertrieben ansahen,
als vorbildhaftes Verhalten gewürdigt. Fraglich ist aber, ob
der Kanzler, der innenpolitisch durch die angespannte
wirtschaftliche Lage und innerparteilich durch Streitigkeiten
zwischen den beiden SPD-Flügeln unter starkem Druck stand, die
öffentliche Diskussion über den Spionagefall
überhaupt hätte überstehen können. Bert
Schulz
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