|
|
Hayrettin Aydin
Insgesamt gesehen befindet sich Ankara auf einem
sehr guten Wege
Die Situation der Minderheiten in der
Türkei bessert sich - auch wenn es bei der Anwendung der neuen
Gesetze zu Problemen kommt
Im Zuge der Heranführung an die EU wurden in der
Türkei in letzter Zeit Reformen vollzogen, durch die sich die
rechtliche Situation der Minderheiten und der Ausländer
verbessert hat. Viele dieser rechtlichen Reformen waren Bestandteil
der mittlerweile sieben Reformpakete, die die türkische
Regierung bis August 2003 verabschiedet hatte. In verschiedenen
dieser Reformpakete finden sich gesetzliche Neuerungen, die die
Minderheiten in der Türkei generell, die nichtmuslimischen im
besonderen und auch Ausländer betreffen, die in der
Türkei leben.
Die Türkei ist ein Land mit einer sehr heterogenen
Bevölkerungsstruktur. Ihre multiethnische und
multireligiöse Zusammensetzung ist weitgehend das Ergebnis
einer Jahrhunderte währenden Geschichte. Der historische
Vorläufer der Türkei, das Osmanische Reich, war ein
multiethnisches und multireligiöses Imperium, in dem
Angehörige unterschiedlichster ethnischer, religiöser und
konfessioneller Gruppen lebten.
Die Republik Türkei hatte bei ihrer Konstituierung
bestimmten Minderheiten einen offiziellen Status zuerkannt. Dieser
Status stützt sich auf den Friedensvertrag von Lausanne, der
am 24. Juli 1923 unterzeichnet wurde und die Grundlage für die
völkerrechtliche Anerkennung der Türkei bildet. Im
Friedensvertrag von Lausanne sind es die Artikel 38 - 43, die sich
auf den Schutz der Minderheiten beziehen. Diese Artikel formulieren
zum einen allgemeine Rechte der türkischen Staatsbürger.
So heißt es in Artikel 38, dass keinem Staatsangehörigen
irgendwelche Beschränkungen beim Gebrauch irgendeiner Sprache
in seinen privaten oder geschäftlichen Beziehungen, bei der
Ausübung der Religion, in der Presse oder jeder Art von
Veröffentlichungen und auf öffentlichen Versammlungen
auferlegt werden. Darüber hinaus soll allen
Staatsangehörigen, die eine andere Sprache als Türkisch
sprechen, ohne Rücksicht auf das Bestehen einer Amtssprache
für die mündliche Benutzung ihrer eigenen Sprache vor
Gericht die notwendigen Erleichterungen gewährt werden. Diese
Rechte wurden grundsätzlich allen Staatsbürgern
verbrieft, ohne das bestimmte Gruppen namentlich erwähnt
werden.
An den folgenden Paragrafen wird deutlich, dass das
Minderheitenverständnis mehr auf die nicht-muslimischen
Minderheiten abhebt. So haben sie explizit das Recht, auf eigene
Kosten jede Art von wohltätigen, religiösen und sozialen
Einrichtungen sowie Schulen und sonstige Erziehungs- und
Ausbildungseinrichtungen zu schaffen, zu leiten und zu
kontrollieren, dort ihre Sprache frei zu verwenden und ihren
religiösen Riten nachzugehen (Artikel 40). Auch in den
folgenden Artikeln werden explizit die "nichtmuslimische
Minderheiten" benannt. Hinsichtlich der Geltung des Lausanner
Vertrages muss hinzugefügt werden, dass sie innerstaatlich
durch das Verfassungsrecht bestimmt wird. Türkischem
Verfassungsrecht zufolge haben völkerrechtliche Verträge
Gesetzesrang und können durch Gesetzesrecht unter
Umständen außer Kraft gesetzt werden. Die
Minderheitenvorschriften des Lausanner Vertrages sind durch den
Gesetzgeber jedoch weitgehend beachtet worden.
Aufgrund dieser Bestimmungen haben nicht-muslimische
Bevölkerungsgruppen wie Armenier, Griechen und Juden einen
Status als anerkannte Minderheit, der nicht nur die
Religionsfreiheit umfasst, sondern auch das Recht zuerkennt, eine
weltliche Infrastruktur zu errichten und zu unterhalten. Konkret
umfasst es das Recht auf eigene Schulen sowie soziale und
karitative Einrichtungen. Darüber hinaus hatten die genannten
Minderheiten auch immer das Recht, in der eigenen Sprache
Bücher, Zeitungen und Zeitschriften zu
veröffentlichen.
In der Türkei hat sich die rechtliche Lage der Minderheiten
- so auch der christlichen - im Zuge der EU-Anpassungsreformen
deutlich verbessert. In diesem Zusammenhang ist das 6. Reformpaket
von herausragender Bedeutung, das im Juni 2003 vom türkischen
Parlament verabschiedet wurde. Es enthält gesetzliche
Regelungen, die den Status der Minderheiten in der Türkei
betreffen. Durch die Neuregelung besteht für die
nichtmuslimischen Minderheiten in der Türkei nunmehr die
Möglichkeit, Gebetsstätten zu errichten. Gleiches gilt
für die Einrichtung von Gebetsstätten in privaten
Räumlichkeiten, die zuvor verboten war. Kritik hiergegen
erntete die Regierung vom alten politischen Establishment, dass
hierin eine Gefahr der Aus-breitung von islamischen
Gebetsstätten sah, bei denen der Staat keine
Kontrollmöglichkeiten hätte. Diese Kritik wurde mit dem
Hinweis zurückgewiesen, dass hierdurch insbesondere kleineren
Religionsgemeinschaften, namentlich der christlichen und der
jüdischen, die nicht die Möglichkeit haben, eine Kirche
oder Synagoge zu errichten, die Möglichkeit gewährt wird,
in nichtöffentlichen Gebäuden Gebetsstätten
einzurichten.
Bezogen auf die nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften kam es
in diesem Reformpaket zu einer weiteren Verbesserung. Diese bezieht
sich auf das Eigentum der Stiftungen. Bereits im 4. Reformpaket,
das am 2. Januar 2003 verabschiedet wurde, kam es zu einer
Änderung hinsichtlich des immobilen Besitzes der Stiftung. Der
Paragraf 1 des Gesetzes über die Stiftungen wurde dahingehend
geändert, dass für den Erwerb von Grundbesitz nicht mehr
die Zustimmung des Ministerrats erforderlich ist, sondern dies vom
Generaldirektorium für Stiftungen zu entscheiden sei.
Hierdurch wurde grundsätzlich die Prozedur des Erwerbs von
Immobilien durch Stiftungen erleichtert. Viele Stiftungen der
nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften besitzen noch
Grundbucheintragungen aus der osmanischen Zeit, deren rechtliche
Anerkennung beantragt werden muss, damit die Stiftungen offiziell
Eigentümer werden können. In der Vergangenheit kam es zu
Fällen, in denen den Stiftungen der Eigentumsanspruch
aberkannt wurde, da Unterlagen fehlten. Darüber hinaus war die
Frist für die Beantragung der Anerkennung auf sechs Monate
beschränkt. Eine Verbesserung wurde nun dadurch
ermöglicht, dass diese Frist auf 18 Monate erhöht wurde.
Durch die Reform des Stiftungsgesetzes wurde nun eine gesetzliche
Übereinstimmung mit den Bestimmungen in der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) hergestellt. Die jetzige Regelung
entspricht dem im Paragraf 14 EMRK benannten Verbot der
Diskriminierung und den im Zusatzprotokoll 1 benannten Schutz des
Besitzes.
Bereits im Jahr zuvor wurden mit dem Reformpaket vom 3. August
2002 Änderungen vollzogen, die die Rechtslage
nichtmuslimischer Ausländer tangiert. Durch die gesetzliche
Fixierung von Bestimmungen zum Schutz der Ausübung
religiöser Praktiken und der Erleichterung sonstiger
Bestimmungen von Ausländern in der Türkei wurden
Änderungen vorgenommen, die im Vertrag über die
Beitrittspartnerschaft festgelegt worden waren.
Bereits vor der Umsetzung der Reformen gab es Initiativen zur
Gründung von Einrichtungen, in denen Sprachen der Minderheiten
unterrichtet werden sollten. Die älteren Versuche reichen
teilweise in die frühen 90er-Jahre zurück. So wurden
bereits 1992 in Istanbul das "Kurdische Institut" (Enstituya
Kurdi), und 1995 die "Kurdische Stiftung für Kultur und
Forschung" (Kürt Kültür ve Arastirma Vakfi,
Kürt-KAV) offiziell gegründet. Aufgrund der damaligen
Gesetzeslage wurde es der Stiftung nicht offiziell gestattet,
Kurdischkurse durchzuführen. Im Zuge der Anpassungsreformen
gab es weitere vergleichbare Initiativen. So wurde vor zwei Jahren
in Diyarbakir eine Stiftung gegründet, die Kurdisch-Kurse
erteilen möchte. Die Genehmigung wurde zuvor mit der
Begründung verweigert, dass die Räumlichkeiten in
Gefahrenfällen nicht den Sicherheitsnormen entsprechen.
Mittlerweile konnte mit dem Kursprogramm begonnen werden. Anfang
April erhielt nun die dritte Einrichtung - in der ostanatolischen
Stadt Van - die offizielle Genehmigung zur Erteilung von
Kurdischkursen.
Ein weiteres Problem war die Namensgebung. In dieser Frage
herrschte jedoch seit Jahren die Beamtenwillkür. Während
in manchen Fällen auch ein nichttürkischer Name offiziell
anerkannt wurde, verweigerten dies in anderen Fällen einzelne
Beamte. Per Gesetz wurden nun diesbezügliche
Beschränkungen aufgehoben. Im Gesetz Nr. 4928 über die
erforderlichen Änderungen in verschiedenen Gesetzen, das im
Rahmen des 6. Anpassungspaketes am 15. Juli 2003 angenommen wurde,
wurde auch das "Einwohnergesetz" hinsichtlich der Namengebung
geändert. Dort wird als Beschränkung nur noch
aufgeführt, dass sie nicht im Widerspruch zur Moral stehen und
die Öf-fentlichkeit nicht "verletzen" dürfen.
Bestandteil der Reform ist auch die gesetzliche Garantie, dass
sowohl in öffentlichen wie auch privaten Fernseh- und
Radiosendern in anderen als der türkischen Sprache Programme
ausgestrahlt werden dürfen. Das 6. Anpassungsprogramm
enthält auch eine Änderung des Gesetzes über die
Gründung und die Programme von Radio- und Fernsehkanälen.
Diese Änderung gewährt das Recht auf Ausstrahlung von
Programmen in Minderheitensprachen beziehunsweise regionalen
Dialekten.
In der Türkei wurden im Zuge der Reformen, die durch den
Helsinki-Beschluss einen wichtigen Schub bekamen, auch gesetzliche
Neuerungen vollzogen, die den Status von Ausländern betreffen.
So wurde Ende Februar 2003 ein neues
Ausländerbeschäftigungsgesetz verabschiedet, mit dem
zahlreiche Beschränkungen aufgehoben wurden, die bis dahin
bestanden. In einem Gesetz aus der Frühzeit der Republik war
die Ausübung zahlreicher Berufe durch Ausländer verboten
worden. Hintergrund dieser restriktiven Politik war der Schutz des
heimischen Gewerbes. Das Gesetz blieb über Jahrzehnte
unverändert, da die Beschäftigung von Ausländern in
der Türkei ein marginales Phänomen blieb. Durch die
Gesetzesnovelle ist Erwerbstätigkeit von Ausländern in
der Türkei neu geregelt und internationalen Standards
angepasst worden. Unter Berücksichtigung der konjunkturellen
Lage wird Ausländern zunächst eine einjährige
Arbeitserlaubnis erteilt. Diese kann bei einer Fortsetzung des
Beschäf-tigungsverhältnisses bzw. der
selbstständigen Berufstätigkeit auf drei Jahre, danach
bis auf sechs Jahre ausgeweitet werden. Personen, die sich acht
Jahre ununterbrochen in der Türkei aufhalten und sechs Jahre
ununterbrochen erwerbstätig waren, können eine
unbefristete Arbeitserlaubnis - unabhängig von der
Arbeitsmarktlage - erhalten. Personen, die sich fünf Jahre
ohne Unterbrechung mit einem rechtlichen Status aufhalten,
können vom Ministerium für Ar-beit und soziale Sicherheit
eine Erlaubnis für eine selbstständige
Erwerbstätigkeit erhalten. Durch das neue Gesetz ist die
Erwerbstätigkeit von Ausländern in der Türkei
modernisiert und liberalisiert worden und entspricht nun
europäischen Standards.
Seit der Benennung als EU-Beitrittskandidat hat die Türkei
ein umfangreiches Reformwerk vollzogen, das insgesamt sieben
EU-Anpassungspakete umfasst. In diesen Reformpaketen sind
zahlreiche Verfassungs- und Gesetzesänderungen enthalten, die
den Status und den Schutz von Minderheiten, nichtmuslimischen
Staatsbürgern und ihren Institutionen und Organisationen und
auch Ausländer in der Türkei betreffen. Durch diese
Reformen sind die für die EU-Mitgliedschaft erforderlichen
Anpassungen weitgehend vollzogen. Auch wenn es immer wieder zu
Schwierigkeiten kommt, zeigt die Praxis, dass diese Gesetze nunmehr
auch umgesetzt werden. So gesehen befindet sich die Türkei auf
einem sehr guten Wege. Hayrettin Aydin
Hayrettin Aydin ist Leiterin für wissenschaftliche Projekte
am Zentrum für Türkeistudien (ZfT) in Essen.
Zurück zur
Übersicht
|