"Ich fühle mich als Europäer!"
Interview mit Vural Öger,
Tourismusunternehmer und Europa-Kandidat der SPD
Vural Öger kam 1961 als Zuwanderer Nummer
31 zum Studium nach Berlin. 1969 gründete er in Hamburg
Öger Tours, eines der erfolgreichsten deutschen
Tourismusunternehmen. Nun kandidiert der Unternehmer für die
SPD für das Europaparlament.
Parlament
Herr Öger, in Ihrer Biographie schreiben
Sie, dass Sie sich nicht vorstellen können, Mitglied einer
Partei zu sein und sich Fraktionszwängen zu unterwerfen. Nun
sind sie SPD-Mitglied geworden und kandidieren auf einem sicheren
Listenplatz für das Europäische Parlament.
Vural Öger Als ich von Mitgliedern der
SPD-Spitze gefragt wurde, ob ich auf der SPD-Liste für das
Europaparlament kandidieren möchte, habe ich mir viel Zeit zum
Überlegen genommen und mich über die Arbeit im
Europaparlament informiert. Die Europa-Abgeordneten arbeiten meiner
Ansicht nach sehr sachorientiert und nicht so stark gegeneinander,
wie das häufig im Bundestag und den Länderparlamenten der
Fall ist.
Parlament
Ein Mandat des Bundestages oder der Hamburger
Bürgerschaft wäre für sie nicht in Frage
gekommen?
Vural Öger Nein, das liegt aber nicht
nur an der Form der politischen Auseinandersetzung, die in diesen
Parlamenten üblich ist. Im Europaparlament werden heute schon
Entscheidungen gefällt, die im Bundestag und den Landtagen nur
noch nachvollzogen werden. Dort fallen sehr viele der wichtigen
Entscheidungen, die uns alle betreffen. Daran mitzuarbeiten ist
schon eine sehr reizvolle Aufgabe.
Parlament
Wäre für Sie auch die Kandidatur
für eine andere Partei in Frage gekommen?
Vural Öger Nein, ich stand schon immer
den Sozialdemokraten nahe, auch ohne Mitglied der SPD gewesen zu
sein. Schon meine Familie war stark sozialdemokratisch
geprägt. Die CDU ist mir viel zu national-konservativ und sie
muss sich schon die Fragen der Glaubwürdigkeit ihrer
Europapolitik stellen. Ich selbst habe keim ausgeprägtes
Nationalbewusstsein, sondern fühle mich als Europäer.
Auch in Fragen der sozialen Gerechtigkeit, in Fragen des Umgangs
mit Migranten, war die SPD mir immer sehr nahe. So folgte der
Beitritt zur SPD nur der Logik meines Lebens.
Parlament
Für einen Unternehmer keine ganz
alltägliche Meinung.
Vural Öger Ich bin sicherlich kein
typischer Sozialdemokrat, aber denken Sie einmal an Philipp
Rosenthal. Wobei ich mich frage, gibt es eigentlich einen typischen
Sozialdemokraten? Die SPD ist doch eine Volkspartei. Außerdem:
Auch als Unternehmer kann ich mit der "hire an
fire"-Mentalität nichts anfangen. Mit Klassenkampfparolen aus
dem 19. Jahrhundert übrigens auch nichts. Mit beiden
lösen Sie die heutigen Probleme nicht. Aber ich sage auch,
soziale Errungenschaften müssen finanzierbar sein. Wer etwa
glaubt, dass wir mit der 35-Stunde-Woche auf Dauer unseren
Lebensstandard halten können, der irrt. Das hat auch damit zu
tun, dass immer weniger Beitragszahler für immer mehr
Empfänger aufkommen müssen - und da schließt sich
der Kreis, denn unsere Sozialsysteme benötigen viele neue
Beitragszahler, und das werden nicht nur Deutsche sein, sondern
auch Europäer.
Parlament
Was wollen Sie im Europaparlament
erreichen?
Vural Öger Mir ist es wichtig dazu
beizutragen, dass Europa sich als starke und unabhängige
Gegenmacht zu den asiatischen Blöcken und den USA etabliert.
Wir müssen politisch unabhängig und wirtschaftlich
erfolgreich sein. Das geht nur, wenn Europa seinen eigenen Weg geht
und sich nicht den Wünschen und Bedürfnissen anderer
unterwirft.
Parlament
Wollen sie auch dazu beitragen, dass die
Türkei Mitglied der Europäischen Union wird?
Vural Öger Ich befürworte den
EU-Beitritt der Türkei, aber wer glaubt, das würde
schnell gehen, irrt sich. Die Türkei hat noch einen weiten
Reformweg vor sich, und ich hoffe, dass sie ihn konsequent
weitergeht. Aber man muss auch den Europäern und den Deutschen
Zeit geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die
Türkei eines Tages EU-Mitglied wird. Auch die Türken
müssen sich von ihrem starken Nationalismus trennen.
Nationalismus und Europa passen nicht zusammen.
Parlament
Halten Sie die Vollmitgliedschaft zum Jahr
2010 für realistisch?
Vural Öger Nein, ich glaube, dass dieser
Prozess noch zehn bis 15 Jahre dauern wird. Aber auch wenn es
länger dauert, als viele hoffen: Die Beitrittsperspektive ist
für die Türkei von existenzieller Bedeutung. Was es auf
keinen Fall geben darf, ist eine Absage. Wenn der Türkei
gesagt wird, dass sie in der Europäischen Union nicht
willkommen ist, kann das islamistischen oder nationalistischen
Kräften Auftrieb geben, und das kann sich auch Europa nicht
erlauben. Die Türkei ist und wird die wichtige Brücke zur
islamischen Welt sein. So eine Brücke abzureißen,
wäre im höchsten Grade unverantwortlich.
Parlament
Sie sind erfolgreicher Unternehmer. Wie wird
es mit Öger Tours weitergehen, wenn Sie im Parlament
sitzen?
Vural Öger Ich hoffe genauso erfolgreich
wie in der Vergangenheit. Ich werde auch als Europaabgeordneter
nicht aus meinem Unternehmen zurückziehen. In den vergangenen
Jahren habe ich mich ohnehin eher mit strategischen Fragen und
nicht mehr mit dem Tagesgeschäft beschäftigt. Die
Hälfte meiner Zeit nutze ich für mein soziales
Engagement, zum Beispiel in der Deutsch-Türkischen Stiftung.
Da werde ich mich jetzt eher zurückhalten. Aber ich glaube,
man kann ein guter Abgeordneter sein und auch noch arbeiten.
Interview führte Stefan Laurin.
Zurück zur Übersicht
|