|
|
Stefan Laurin
"Ich wollte immer in Deutschland bleiben. Das
Leben war hier besser."
Türkischstämmige Senioren: Es gibt
schon multikulturelle Seniorenheime
Noch gibt es relativ wenige türkischstämmige Senioren
und Seniorinnen in deutschen Altenheimen, und noch ist das
multikulturelle Altenheim "Haus am Sandberg" in Duisburg eine
Ausnahme. Doch das wird schon bald anders sein.
"In der Türkei konnte ich kein Geld verdienen, deshalb bin
ich 1965 nach Deutschland gekommen. Ich wollte immer hier bleiben.
Das Leben war hier besser." Sela Akttin Güngör hat auf
der Zeche Zollverein Kohle abgebaut, als noch kein Mensch auf die
Idee kam, dass eine Zeche aus Backsteinen jemals zu einem
Weltkulturerbe werden könnte. Dass er sich schon in den
60er-Jahren dazu entschlossen hatte, für immer in Deutschland
zu bleiben, macht Güngör zu einer Ausnahme. Sein Wohnort
auch: Der Rentner wohnt in Deutschlands bislang einzigem
multikulturellem Altenheim, dem Duisburger Haus am Sandberg.
Als die Bundesrepublik in den 50er-Jahren damit begann, erst in
Italien, Griechenland und Spanien, später, ab den 60er-Jahren
dann auch in der Türkei, Arbeitskräfte anzuwerben, dachte
noch niemand daran, dass diese einmal als Senioren ihren
Lebensabend in Deutschland verbringen würden. Die
Bundesrepublik sah in ihnen kaum mehr als Arbeitskräfte, die
nach wenigen Jahren gegen neue ausgetauscht werden sollten und auch
von den so genannten Gastarbeitern hatte kaum einer vor, dauerhaft
zu bleiben: Nur wenige Jahre wollten sie in Deutschland Geld
verdienen, um dann in ihre Heimatländer zurückzukehren
und eine Existenz aufzubauen. Eine Lebenslüge auf beiden
Seiten, an der festgehalten wurde - auch als längst die
Familien nachkamen und absehbar war, dass eines Tages auch Senioren
mit Migrationshintergrund in Deutschland leben würden.
Mittlerweile leben über 800.000 Ausländer, die
über 60 Jahre alt sind, in Deutschland. Zählt man die
Deutschen dazu, die einen Migrationshintergrund haben, liegt die
Zahl weit über einer Million. Viele von ihnen sind Türken
oder haben einen türkischen Hintergrund.
"Allein in Duisburg leben über 85.000 türkische
Bürger. Wir müssen auch für diese Gruppe Angebote in
der Altenpflege schaffen, zumal die Zahl der Pflegebedürftigen
unter ihnen in den kommenden Jahren stark ansteigen wird,"
beschreibt Heimleiter Rolf Krause die Situation. Sie war der Grund,
warum sich das Deutsche Rote Kreuz dafür entschied, das 1997
eröffnete "Haus am Sandberg" als multikulturelles Altenheim zu
konzipieren. Ein Name, der für Krause nur für eine
Übergangszeit gelten wird: "Was wir hier machen," so der
studierte Sozialarbeiter, "ist in zehn Jahren nichts Besonderes
mehr, sondern der Normalfall." Dann, da ist er sich sicher,
gäbe es, zumal in den Ballungsgebieten, kaum mehr ein
Altenheim, in dem nicht Senioren mit den unterschiedlichsten
kulturellen Hintergründen zusammen leben würden.
Über 200 Besuchergruppen aus der ganzen Welt haben sich in
den vergangenen Jahren das Haus am Sandberg angeschaut. Viele von
ihnen werden die dort gemachten Erfahrungen in ihre eigenen
Planungen mit einbeziehen. Im Haus am Sandberg, einem lichten
Gebäude mit offener Architektur, vielen Fenstern und viel
Holz, leben 94 ältere Menschen, darunter zwölf
Türken, zwei Holländer, ein Tunesier und ein Russe.
Betreut werden sie von 90 Mitarbeitern, darunter neun
türkischstämmigen und zahlreichen freiwilligen Helfern
aus den verschiedensten Ländern. Ohne die sei, so Krause, die
Arbeit überhaupt nicht zu leisten: "Wir haben uns von Anfang
an große Mühe gegeben, mit den Kirchengemeinden und den
Moscheevereinen zusammen zu arbeiten. Die ehrenamtlichen
Mitarbeiter sind unverzichtbar, wenn es darum geht, unseren
Bewohnern die Lebensqualität zu sichern."
Der Alltag im Haus am Sandberg ist nahezu konfliktfrei. Streit
gibt es nicht zwischen den Bewohnern aus unterschiedlichen
Kulturen, sondern eher zwischen den noch regeren Bewohnern und den
Demenzkranken, welche oft die Geduld der anderen auf eine schwere
Probe stellen.
"Oft", beschreibt Rolf Krause, "versuchen türkische
Familien, ihre Verwandten so lange zu pflegen, wie es geht, aber
gerade bei Demenzkranken führt auf die Dauer kein Weg an der
professionellen Pflege vorbei."
Diesen Zeitpunkt wollen jedoch türkische Senioren, wie auch
ein Großteil ihrer deutschen Leidensgenossen, so weit wie
möglich hinauszögern. Über die Hälfte von ihnen
lehnt es ab, in ein Heim zu ziehen.
Ausländische Senioren sind hochmobil. Auch wenn sie zu
einem großen Teil nicht für immer in ihre
Heimatländer ziehen, verbringen sie doch zum Teil Monate dort.
Sie leben in zwei Welten, zumindest so lange es ihre Gesundheit und
ihre finanziellen Verhältnisse erlauben. Die sind, wie auch
andere Lebensumstände, deutlich schlechter als bei
gleichaltrigen Deutschen. Türkische Rentner haben im
Durchschnitt weniger Geld, leben in schlechteren Wohnungen und sind
gesundheitlich häufiger belastet - eine Konsequenz aus einem
Arbeitsleben, das oft aus anstrengenden und ungesunden
Tätigkeiten bestand.
Umso wichtiger wäre da eine funktionierende ambulante
Versorgung. Aber eine von der Behörde für Arbeit,
Gesundheit und Soziales der Stadt Hamburg 1998 in Auftrag gegebene
Studie zeigt auch in diesem Bereich einen erheblichen
Nachholbedarf.
Obwohl vielen bekannt, nutzen nur sehr wenige türkische
Senioren die Angebote der ambulanten Altenhilfe. Ob Altenclubs,
Essen auf Rädern oder seniorengerechte Angebote der
Volkshochschule - nur bei einer sehr kleinen Minderheit stoßen
sie auf Akzeptanz. Die Gründe hierfür sind
unterschiedlich. Zum einen ergab die Studie, dass es ein ethnisches
Altern gibt: Mit zunehmendem Alter orientieren sich Migranten
wieder an der Kultur ihres Heimatlandes, was auch daran liegt, dass
die Kindheit mit höher werdendem Alter eher verklärt wird
und die geringer werdende Zahl der noch lebenden Freunde es
attraktiv macht, sich mit seiner Vergangenheit zu
beschäftigen. Auch dass mit wachsender Nähe zum Tod
religiöse Fragen immer wichtiger werden, trägt zu dieser
Entwicklung bei.
Qualifizierte Altenpfleger
Die Studie erbrachte auch zahlreiche Forderungen, wie in Zukunft
Altenpflege organisiert werden müsste. Die Tatsache, dass das
Haus am Sandberg auch beinahe fünf Jahren nach Erscheinen der
Studie der Hamburger Sozialbehörde das einzige multikulturelle
Altenheim Deutschlands ist, zeigt, dass noch erheblicher
Handlungsbedarf besteht: So sollen Institutionen der Altenhilfe
aktiv auf türkische Senioren zugehen und kulturell geschulte
Mitarbeiter haben, die beispielsweise auf besondere Schamgrenzen
bei moslemischen Frauen Rücksicht nehmen. Auch sollten
Altenpfleger für die Arbeit mit ausländischen Senioren
qualifiziert und Einrichtungen mit ethnischen Schwerpunkten
geschaffen werden.
Geschieht das nicht, sieht Rolf Krause ein wachsendes Potential
für rein ethnische Lösungen: "Moscheevereine", so der
Heimleiter, "werden eigene Altenheime gründen, vor allem wenn
es keine entsprechenden Angebote der traditionellen Träger der
Altenpflege gibt. Stefan Laurin
Zurück zur
Übersicht
|