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Sebastian Büttner
Inspiriert sowohl von Orient wie Okzident
Auf dem Vormarsch: Türkische Designer in
Deutschland
Sie sind stilsicher, interkulturell und basteln Tag für Tag
mit am "Look and Feel" Europas: Türkische Kreative erobern
sehr langsam, aber sicher auch die Trendbranchen der
Bundesrepublik. "Next time you say, you don't like Turks, be
careful - your car might be designed by one." Asimov, ein
türkisches Mitglied des internationalen Internetforums
Skyscrapercity konnte sich seinen leicht spöttischen Kommentar
zum Thema "Cars designed by Turkish Designer Murat Günak" in
der deutschen Sektion des Forums einfach nicht verkneifen. Sein
virtueller Vorstoß in die heiligsten Sphären des
bundesrepublikanischen Nationalstolzes lief jedoch - entgegen
Asimovs Erwartungen - ins Leere. Keines der anderen
Forumsmitglieder zeigte sich von der Tatsache, dass mit Murat
Günak ein Türke im Automobilland Nummer Eins, in puncto
Design die erste Geige spielt, sonderlich überrascht.
Die mit Preisen dekorierten Ergebnisse von Günaks Arbeit
sind längst viel bestaunter Alltag auf den Straßen
Europas, und seine Designstudien seit Jahren Top-Thema auf der
Frankfurter Automobilausstellung. Künftig wird die Liste jener
Wagen (unter anderem der Mercedes SLK, die A-Klasse und der Maybach
62), die Murat Günak entworfen hat, sogar noch schneller
wachsen. Denn seit dem 1. April leitet der
türkischstämmige Star-Designer mit deutschem Pass die
Design-Abteilung der Volkswagen AG und verantwortet somit die
Design-Aktivitäten aller Marken des Konzerns.
Eine große Herausforderung, für die der 1957 in
Istanbul geborene Günak in den letzten Jahren vielfältige
Erfahrungen bei anderen Herstellern großer Automarken sammeln
konnte. So arbeitete der Designer bereits für Ford, Peugeot
sowie zuletzt für Mercedes PKW und Maybach, wo er
Designdirektor Peter Pfeiffer als Gesamtverantwortlicher für
das Styling bei DaimlerChrysler ablösen sollte. Soweit der
Plan. Ende vergangenen Jahres unterschrieb Günak jedoch bei
der Wolfsburger Konkurrenz. In der Autostadt erwartet man sich von
seiner Verpflichtung frische Impulse. Impulse, die Günak auch
aus seinem Heimatland bezieht. So verriet der Top-Kreative
kürzlich in einem Interview mit dem Designmagazin designophy,
dass er sich bei der Farb- und Liniengestaltung von der
türkischen Kultur inspirieren lässt.
Eine Aussage, die auch von der gebürtigen Ost-Türkin
Emine Bielemeier hätte getroffen werden können. Die
35-jährige Modedesignerin bereichert seit Ende 2002 von ihrer
Wahlheimat Düsseldorf aus die internationale Textilbranche mit
gestrickter Damenoberbekleidung, die im Gegensatz zu den
Maschenwaren anderer Modelabels komplett in Handarbeit hergestellt
wird. Und der kreative Output der mit einem Deutschen verheirateten
Neu-Rheinländerin kommt gut an: Seit einigen Monaten stattet
sie neben renommierten Modegeschäften in Nordrhein-Westfalen
auch RTL-Moderatorinnen wie Nazan Eckes oder Frauke Ludewig mit
ihren Trendtextilien aus.
Als Inspirationsquelle für ihre Mode nennt Emine Bielemeier
die Bäume vor dem Fenster ihrer Wohnung in der
Düsseldorfer Altstadt sowie die Obstplantagen in der Nähe
des elterlichen Wohnsitzes in Tunceli. "Aber auch orientalische
Teppiche und der Istanbuler Bazar inspirieren mich", so die
Designerin, "man sammelt einfach so viele Eindrücke, wenn man
zwischen zwei Kulturen hin und her pendelt."
Die inspirierende Wirkung dualer soziokultureller Wurzeln
bestätigt auch der ehemalige Springer & Jacoby Art
Director Tonguç Baykurt, der heute als Regisseur arbeitet:
"Ich fühle mich in beiden Kulturen zu Hause und bin dadurch
offen für andere Kulturen", erzählt er und bringt auf den
Punkt, wovon viele zweisprachig aufgewachsene Menschen profitieren:
mehr Universalität.
Vorzeigekarrieren im Kreativbereich wie sie Murat Günak,
Emine Bielemeier und Tonguç Baykurt verkörpern, sind
unter den in der Bundesrepublik lebenden Deutsch-Türken jedoch
noch eher selten. Für Tonguç Baykurt, der als
16-Jähriger von Ankara ins Ruhrgebiet zog, liegen die
Gründe hierfür vor allem in der traditionellen
türkischen Erziehung: "Man kann schon davon ausgehen, dass die
meisten Eltern sehr konservativ sind - und es nicht unbedingt zu
ihrem größten Wunsch zählt, dass ihre Kinder in
einem künstlerischen Beruf arbeiten." Tonguç Baykurt ging
es da nicht anders. Allerdings aus einem anderen Grund: Sein Vater,
Fahir Baykurt, arbeitete bereits als Schriftsteller und seine
Mutter wollte "nicht noch einen Künstler in der Familie
haben". Deswegen studierte der Deutsch-Türke erst einmal
Mathematik und Mineralogie bis zum Vordiplom. Erst danach gelang es
ihm, seine Mutter davon zu überzeugen, dass ihm ein kreativer
Beruf besser liegt. Und so schrieb sich der für seine
Kampagnen schon mehrere Male vom Art Directors Club ausgezeichnete
Top-Kreative erst 1982 in Dortmund für den Studiengang
Grafikdesign ein - als einziger Türke seines Jahrgangs.
Auch heute noch bilden die Kinder Atatürks, selbst in
Gegenden mit einem traditionell hohen türkischen
Bevölkerungsanteil, eine Minderheit in deutschen
Designstudiengängen: Vier von 943 sind es an der Dortmunder
Universität, und drei von 346 an der FHTW Berlin. Dabei
wäre ihr interkulturelles Know-how gerade in der
Kommunikationsbranche sehr gefragt. Ethno-Marketing heißt das
Stichwort und meint das zielgruppengerechte Feilbieten
einheimischer Produkte an ethnisch definierte
Käuferschichten.
Dass diese Unterscheidung für eine effiziente
Absatzförderung notwendig ist, ist für Serkan
Sögüt, Creative Director bei der türkischsprachigen
Berliner Werbe-
agentur SUN 2150 keine Frage: "Da sich die Konzeption einer
Werbebotschaft mit fundamentalen Fragen zu Herkunft, Alter und
sozialen Strukturen auseinandersetzt, muss auch die türkische
Zielgruppe differenziert betrachtet werden." Lab one, eine andere
Berliner Agentur, erarbeitete zur Erhöhung der
Treffgenauigkeit von Ethno-Kampagnen sogar - gemeinsam mit dem
Marktforschungsinstitut GIM - die vielbeachtete Studie
"Lebenswelten Deutschtürken 2002". Ziel der Studie war es
jedoch nicht nur, Wege für ein gezieltes Marketing
aufzuzeigen, sondern auch mit überkommenen Klischees
aufzuräumen. Denn junge Deutschtürken sind, im Gegensatz
zu dem nur schwer aus den Köpfen zu bekommenden Vorurteil vom
knausrigen Aldi-Türken, genauso an Lifestyle, Marken- und
Designermode interessiert wie ihre mitteleuropäischen
Altersgenossen. Und vielleicht sogar noch eine Spur mehr: "Moderne
Türken legen sehr viel Wert auf Stil", erzählt Nazan
Eckes, türkischstämmige Moderatorin des neuen
RTL-Magazins "bosporus.trend", "da unterscheiden sie sich kaum von
anderen Südländern." Sebastian Büttner
Sebastian Büttner ist Journalist und Schriftsteller in
Düsseldorf.
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