|
|
Susanne Güsten
Zwei Zeitungsexemplare gehen immer an die
Staatsanwaltschaft
Journalisten haben es in der Türkei noch
immer sehr schwer
Für Hilmi Hacaloglu war es ein
Routine-Termin. Der Reporter des türkischen Nachrichtensenders
NTV wollte in Istanbul über eine Demonstration berichten -
doch dann wurde er selbst von Zivilpolizisten abgeführt und
auf der Wache verprügelt. Erst auf einen Anruf der
übergeordneten Behörden hin, bei denen NTV sich beschwert
hatte, hörten die Polizisten zu prügeln auf und boten
Hacaloglu Tee an, bevor sie ihn freiließen. Öffentlich
erklärte die Polizei, der Journalist sei nicht festgenommen,
sondern auf die Wache "eingeladen" worden.
Dass Journalisten von der Polizei
verprügelt werden, ist nur eines von vielen Problemen für
die türkischen Medienvertreter. Auch Zensurbehörden,
Selbstzensur, ein Konzentrationsprozess bei den Medienunternehmen
und eine ungesunde Verquickung von Medien und anderen
Wirtschaftsinteressen erschweren es den Zeitungen,
Rundfunkstationen, Fernsehsendern und Betreibern von Internetseiten
in der Türkei, das zu tun, was Medien in einer Demokratie tun
sollten: objektiv berichten und die Mächtigen kontrollieren.
An den Journalisten selbst liegt das nicht. Viele türkische
Reporter sind handwerklich über jeden Zweifel
erhaben.
Ein Türke, der sich dafür
interessiert, was in seinem Land geschieht, kann aus einer
ungeheuren Vielfalt von Medien auswählen: Es gibt über
5.000 lokale, regionale und überregionale Zeitungen, hunderte
von Zeitschriften, über 1.000 Rundfunksender und mehr als 250
Fernsehstationen; seit der Zulassung von Privatsendern Anfang der
90er-Jahre ist die früher alles bestimmende staatliche
Sendeanstalt TRT in den Hintergrund gerückt. Hinzu kommen
Internetseiten, die über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und
Sport informieren. In diesem Angebot haben sich einige Platzhirsche
etabliert. Die mit einer Auflage von täglich mehr als 400.000
Exemplaren größte Zeitung der Türkei ist
"Hürriyet" ("Die Freiheit") aus dem Medienimperium des
Unternehmers Aydin Dogan; andere führende Blätter wie
"Milliyet" ("Die Nation") und die pro-europäische "Radikal"
kommen aus demselben Haus.
Die Konzentration vieler Medien in wenigen
Händen und die Zusammenführung von Medien und anderen
Wirtschaftsunternehmen in großen Holdings ist ein ernstes
Problem. Dass ein Unternehmer gleichzeitig eine Privatbank, ein
Bauunternehmen und eine überregionale Zeitung besitzt, ist in
der Türkei eher die Regel als die Ausnahme. Den Medienbaronen
in der Türkei wird nachgesagt, dass Zeitungen und
Fernsehsender für sie im Grunde nur Instrumente sind, um sich
für andere Unternehmensbereiche politische Rückendeckung
zu sichern - oder zu erpressen. Als die steinreiche
Unternehmer-Familie Uzan ihren Spross Cem Uzan eine Partei
gründen ließ, wurden die Uzan-Medien zu
Propaganda-Lautsprechern für dessen Genc Parti (Junge Partei).
Die Zeitung "Star" und der Sender "Star TV" brachten täglich
seiten- und stundenlange Tiraden ihres Chefs gegen die Regierung
von Ministerpräsident Erdogan. Nachdem die Uzans eine ihrer
Banken in den Bankrott getrieben hatten, verlor die Familie die
Kontrolle über Zeitung und TV-Sender.
In dieser starken Medienkonzentration
schaffen es nur wenige Zeitungen, unabhängig zu bleiben.
Beachtenswert ist die Zeitung "Zaman" ("Die Zeit"), die dem
islamischen Prediger Fethullah Gülen nahe steht, sich aber
trotzdem den Ruf eines seriösen Blattes erworben hat. "Zaman"
hebt sich mit einem sehr modernen Layout auffällig vom sonst
weit verbreiteten Boulevard-Konzept der Konkurrenz ab und
orientiert sich auch journalistisch an der europäischen
Qualitätspresse. Die linksnationalistische "Cumhuriyet" ("Die
Republik") als Leib- und Magenblatt der türkischen
Intellektuellen, zählt ebenfalls zu den
Unabhängigen.
Geschwiegen wird in den türkischen
Medien bei einigen Themen tatsächlich noch immer. Kritik an
der Armee etwa ist nur selten zu hören oder zu lesen, obwohl
die Meinungs- und Pressefreiheit im Zuge der jüngsten
EU-Reformen erweitert wurden. Angesichts der Tatsache, dass der
durchschnittliche Türke am Tag fünf Stunden lang
Fernsehen schaut, stehen besonders die TV-Sender im Visier der
staatlichen Zensoren. In der Aufsichtsbehörde für
Rundfunk und Fernsehen (RTÜK) in Ankara werden alle
Fernsehprogramme ständig überwacht und auf
staatsfeindliche Tendenzen hin überprüft. In den
vergangenen Jahren wurden immer wieder Sendeverbote von bis zu
mehreren Wochen ausgesprochen, wenn Fernsehanstalten nach
Auffassung der RTÜK zu frech, sexuell zu freizügig, zu
brutal oder zu beleidigend waren. In der RTÜK sitzen nach wie
vor auch Vertreter der Militärs; im Zuge einer von der
Regierung angekündigten Gesetzesreform sollen sie allerdings
noch in diesem Jahr aus dem Gremium ausscheiden.
Neben staatlichen Zensoren sorgten auch die
Gerichte lange Zeit dafür, dass die türkischen
Journalisten auf Linie blieben. Insbesondere die
Anti-Terror-Gesetze und die starken Einschränkungen der
Meinungsfreiheit sorgten dafür, dass etwa über den
Kurdenkonflikt nicht offen diskutiert oder objektiv berichtet
werden konnte. Auch nach dem Inkrafttreten gesetzlicher Reformen
funktioniert die Schere im Kopf noch weiter. So berichten die
meisten Zeitungen über das Kurdenproblem auch heute noch
lediglich vom Standpunkt des türkischen Staates
aus.
Einige Veränderungen der letzten Jahre
brauchten keine Gesetze. So wurde das schwere Erdbeben im August
1999 zu einem Wendepunkt im Verhältnis zwischen Medien und dem
Staat. Bis zu der Katastrophe war in den Zeitungen viel vom "baba
devlet" die Rede: vom "Vater Staat", der sich um seine Kinder
kümmert und zu dem die Bürger aufzuschauen haben. Doch
nach dem Unglück war es damit vorbei. Während
Journalisten innerhalb weniger Stunden nach dem Beben vor Ort waren
und live berichteten, brauchten die Behörden mehrere Tage, bis
sie ihre Hilfsaktionen auf den Beine gestellt hatten. Der Kaiser
Staat stand ohne Kleider da - und die Kritik an den staatlichen
Stellen brach mit voller Wucht los.
"Radikal" hat es sich zur Aufgabe gemacht,
die Mängel der Türkei auf dem Weg in die EU
aufzuspießen. "Mit dieser Mentalität kommt man nicht in
die EU", heißt das Motto einer Serie über die
Widerstände in Justiz und Behördenapparat gegen die
Reformen. Im letzten Jahr griff "Radikal" sogar die Militärs
an. Die Zeitung veröffentliche geheime Vorschriften des
Nationalen Sicherheitsrates, die zeigten, wie sehr die
Militärs das Land im Griff hatten. Susanne
Güsten
Susanne Güsten arbeitet in Istanbul
für verschiedene deutsche Zeitungen.
Zurück zur Übersicht
|