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Stefan Laurin
Vermittler zwischen zwei Welten
Das Essener Zentrum für Türkeistudien
vor dem 20-jährigen Bestehen
Im kommenden Jahr feiert das Zentrum für Türkeistudien
(ZfT) sein 20-jähriges Bestehen. Was als ein Institut der
Gesamthochschule Essen begann, hat sich zu einem Mittler zwischen
der Türkei und Deutschland entwickelt. Als das Zentrum 1985
als Institut der Gesamthochschule Essen gegründet wurde, war
die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl gerade
zwei Jahre im Amt und darum bemüht, vor allem türkische
"Gastarbeiter" durch das Zahlen von Rückkehrprämien zur
Remigration in die Türkei zu bewegen.
In nicht wenigen Fernsehsendungen konnte man seinerzeit stolze
türkische Heimkehrer bewundern, die dank ihrer Ersparnisse und
der Rückkehrerprämie ein Café in Antalya oder eine
Tankstelle im anatolischen Bergland gegründet hatten. Die
Türkei selber war kein Land, von dem man glaubte, dass es
jemals in die EU aufgenommen werden könnte: In Ankara
herrschten Generäle, und knapp ein halbes Jahrzehnt zuvor
hatten bürgerkriegsähnliche Zustände das Land
erschüttert. Die Türkei war ein etwas obskurer
NATO-Partner, das kaum ein Deutscher je besucht hatte, und das Bild
von den in Deutschland lebenden Türken war von Günter
Wallrafs Buch "Ganz unten" geprägt, in dem der Kölner
Journalist zu Recherchezwecken in die Rolle des Türken Ali
geschlüpft war: schnauzbärtige Verlierertypen,
ausgebeutet und sprachlos.
Die Aufgaben des Zentrums lagen damals darin, diesem Bild Wissen
über das unbekannte Land entgegenzusetzen. Dazu regte es
Forschung über die Türkei an, förderte den
Wissenschaftleraustausch und organisierte Tagungen. Doch
ZfT-Direktor Faruk Sen war das zu wenig. Er erschloss schnell neue
Aufgabenfelder für das Zentrum: Schon bald wurde die
politische, soziologische und wirtschaftliche Entwicklung ebenso
zum bestimmenden Thema wie die Migrationsforschung. Sen, der vor
seiner Tätigkeit an der Universität Essen bei der Stadt
Duisburg Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und Integration
junger Ausländer leitete, wollte auch nicht länger nur in
das akademische Milieu hineinwirken: "Für mich war immer
wichtig, das Zentrum zu einem Mittler zwischen der Türkei und
Deutschland, zwischen den Türken und Deutschen
auszubauen."
Obwohl Mitte der 80er-Jahre fast zwei Millionen Türken in
Deutschland lebten, nahm die Öffentlichkeit kaum Notiz von
ihnen. Sie waren für die Deutschen weitgehend unbekannt. Mit
einer Reihe von Forschungsprojekten sorgte das Zentrum dafür,
dass das Bild der Deutschen über die Türken sich zu
verändern begann: Weg von Wallfrafs Bild des wehrlosen Opfers,
hin zu Menschen mit zum Teil gar nicht so anderen Vorstellungen und
Wünschen, wie sie die deutsche Mehrheitsbevölkerung
teilten.
Das Zentrum profitierte dabei von einem seit den 80er-Jahren
einsetzenden, eher zögerlich begonnenen Bewusstseinswandel -
sowohl bei den Deutschen als auch bei den Türken: Die
Deutschen begannen einzusehen, dass ihr Land längst zum
Einwanderungsland geworden war, und die in Deutschland lebenden
Türken gestanden sich in immer größerer Zahl ein,
dass sie wohl nicht wieder in ihr Heimatland zurückkehren
werden.
Gleich von Beginn an widmete sich das Zentrum für
Türkeistudien, das seit 2001 von der Gesamthochschule Essen
unabhängig als Stiftung existiert, türkischen
Unternehmern in Deutschland. Schon 1986 erschien eine erste Studie
zu diesem Thema. Mittlerweile kann das Zentrum selbst auf eine
lange Geschichte der Förderung der Selbstständigkeit
türkischer Migranten zurückblicken: Es beheimatete die
regionale Transferstelle zur Förderung selbstständiger
Migranten in NRW, war aktiv beim ersten
türkisch-europäischen Unternehmerkongress Eurokon in
Dortmund und berät türkischstämmige Unternehmer,
wenn es um die Schaffung von Ausbildungsplätzen geht. "Es ist
uns wichtig zu zeigen", so Sen, "dass ein großer Teil der
Migranten mittlerweile in der Mitte der bundesrepublikanischen
Gesellschaft angekommen ist. Viele haben hier Unternehmen
gegründet und hunderttausende Arbeitsplätze geschaffen.
Immer mehr schaffen sich Immobilien an und beantragen die deutsche
Staatsbürgerschaft."
Doch dass das Verhältnis Deutschlands zur Türkei und
den Türken noch immer nicht so normal ist, wie das zu Polen
und Frankreich, spürt Faruk Sen vor allem bei zwei Themen, zu
denen er sich als Experte häufig in den Medien
äußern muss. Seit dem 11. September wird er häufig
zu Themen wie dem islamistischen Terror und dessen mögliche
Sympathisanten unter den in Deutschland lebenden Muslimen gefragt,
eine Problematik, bei der er für Augenmaß plädiert:
Er sieht die Gefahr des islamistischen Terrors, spricht sich
für die Ausweisung von Extremisten wie Metin Kaplan, dem so
genannten Kalifen von Köln, aus, weist aber unbeirrt darauf
hin, das solcherlei Gestalten unter den Muslimen in Deutschland
kaum Anhänger haben. Sen und das Zentrum für
Türkeistudien stehen am ehesten dem von Bassam Tibi
propagierten Euro-Islam nahe und sehen ihn in der strikten Trennung
von Staat und Religion, wie sie Atatürk in der Türkei
einführte.
Auch die immer intensiver geführte Debatte um den
EU-Beitritt der Türkei wird vom Zentrum für
Türkeistudien begleitet. Das ZfT tritt nicht nur als neutraler
Beobachter auf, der mit Umfragen und Studien das Thema begleitet,
sondern auch als Partei, die sich für den EU-Beitritt unter
der Bedingung, dass die Türkei alle Auflagen erfüllt,
eintritt. Aktiv unterstützt das Zentrum den
Annäherungsprozess durch die Schaffung von Kontakten,
über die es selbst in alle politischen Lager hinein und in die
Wirtschaft verfügt. Es vermittelt zwischen der
Europäischen Union, Deutschland und der Türkei, ist
längst über die Rolle des Hochschulinstituts
hinausgewachsen, als dass es einmal begonnen hat: Es hat sich zum
einflussreichen Player der deutsch-türkischen Beziehungen
entwickelt. Stefan Laurin
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