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Cigdem Akkaya
Die besondere Lage am Schnittpunkt zweier
Kontinente macht die Türkei zu einem wichtigen
Transitland
Ankara und sein geopolitisches Umfeld
Es gibt kein anderes Land auf der Welt, das in internationalen
Ländergruppierungen so oft die Kategorie wechselt, wie die
Türkei. Mal ist sie unter der Gruppe der europäischen,
mal unter asiatischen Ländern zu finden. Während sie
öfter Gegenstand der Südosteuropaforschung ist, wird sie
kaum vernachlässigt in den Nahoststudien. Mit ihrer Lage am
Schnittpunkt zweier Kontinente ist die Türkei ein wichtiges
Transitland beim Übergang von einem Kontinent zum anderen.
Unabhängig davon, dass die Türkei geographisch als ein
europäisches- oder Balkan- wie ein Schwarzmeer- und Kaukasus-
oder aber auch ein Nahostland bezeichnet werden kann, ordnet sich
das Land selber politisch und wirtschaftlich Europa zu und lehnt
die Zuordnung zum Nahen Osten ab.
Die Türkei ist im Nordosten Grenzland zu Georgien, Armenien
und der aserbaidschanischen Exklave Nachitschevan, im Osten zu
Iran, im Südosten zu Irak und Syrien, im Nordwesten zu
Bulgarien und Griechenland. Mit den Dardanellen und dem Bosporus
kontrolliert sie die strategische Verbindung zwischen dem Schwarzen
Meer und dem Mittelmeer, das dann über Gibraltar den Weg zum
atlantischen Ozean und über den Suezkanal zum indischen Ozean
führt. Dadurch haben die Meerengen nicht nur für die
Türkei, sondern auch für ihre Schwarzmeer-Nachbarstaaten
eine existenzielle Bedeutung. Die geopolitische Position der
Türkei gewinnt jedoch nicht zuletzt durch ihre unmittelbare
Nachbarschaft zu den wichtigen Energieversorgerländern der
Welt an Bedeutung.
Die Betrachtung der Position der Türkei auf der Weltkarte
liefert genügend Hinweise dafür, welche Probleme, aber
auch Chancen damit verbunden sind. Die Regionen des Dreiecks
Balkan-Kaukasus und Nahosten, in dessen Mitte sich die Türkei
befindet, werden sicherheitspolitisch den krisenreichsten Regionen
zugeordnet. Jede politische Neustrukturierung in der Region hat
unmittelbare Auswirkungen auf sie. Viele der wichtigsten
weltpolitischen Ereignisse dieses Jahrhunderts fanden und finden in
ihrer unmittelbaren Nähe statt.
Die Golfkriege, der Zerfall der Sowjetunion und die Entstehung
neuer unabhängiger Staaten, die islamische Revolution in Iran
und nicht zuletzt der erneut eskalierende Irakkrieg sind einige
Beispiele hierfür. Von den Folgen der chronischen
Instabilitäten in diesen Regionen bleibt die Türkei
wirtschaftlich und sicherheitspolitisch naturgemäß nicht
unberührt. So belegt beispielsweise die Türkei
hinsichtlich des Anteils der Verteidigungsausgaben am BIP den
dritten Rang innerhalb der NATO-Länder nach Griechenland und
den USA. Die regionale Instabilität verhindert zudem, dass die
vorhandenen Potenziale, die mit der geostrategisch wichtigen Lage
verbunden sind, ausgebaut und ausgeschöpft werden. Die
regionalen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungspotenziale
untereinander werden durch Interessengegensätze, histori-sche
Rivalitäten, Krisen und Konflikte erheblich
beeinträchtigt. So verwundert es nicht, dass der
Außenhandel der Türkei mit ihren Nachbarstaten etwa zehn
Prozent ihres gesamten Außenhandelsgeschäftes kaum
überschreitet.
Aus der Sicht europäischer und transatlantischer
Sicherheitspolitik ist die Bedeutung der Türkei insbesondere
als ein regionaler Stabilitätsfaktor sehr hoch. Sie schaffte
und schafft mit ihrem prowestlich orientierten demokratischen und
laizistischen Staatssystem ein Gegengewicht zu ihren weniger oder
kaum demokratischen Nachbarstaaten. Sie stellt mit ihrem
europäisch geprägten Staatssystem und ihrer muslimischen
Bevölkerung eine Synthese aus europäisch-christlicher und
nahöstlich-islamischer Kultur dar. Von allen etwas zu haben,
führt dazu, dass sie im Westen eher dem "Morgenland"
zugerechnet wird, während die arabischen Länder sie als
zu europäisch betrachten.
Die vielfältige Identität schlägt sich auch in
einer sehr vielfältigen, engagierten Mitwirkung der
Türkei in verschiedenen internationalen und regionalen
Organisationen nieder. Durch ihre Mitgliedschaft in der NATO und
OSZE ist die Türkei ein wichtiger Bestandteil der westlichen
Sicherheitsarchitektur. Sie ist das einzige muslimisch
geprägte Land unter den nunmehr 26 NATO-Staaten. Weiterhin ist
sie angebunden an die wirtschaftlichen und politischen Strukturen
Westeuropas. Sie ist seit 1963 assoziiertes Mitglied der EU, seit
1996 bildet sie mit der EU eine gemeinsame Zollunion für
Industriegüter und seit 1999 ist sie Beitrittskandidat. Zudem
ist die Türkei seit 1950 Mitglied des Europarats. Parallel
dazu arbeitet die Türkei auch mit neun weiteren islamischen
Staaten im Rahmen der ECO (Afghanistan, Aserbaidschan, Iran,
Kasachstan, Kirgistan, Pakistan, Tadschikistan, Turkmenistan und
Usbekistan) zusammen und ist zudem Initiator und Mitglied der
Organisation der Schwarzmeerwirtschaftskooperation (Organization of
Black Sea Economics Cooperation/BSCE), die 1992 von insgesamt elf
Staaten der Balkan-, Schwarzmeer- und Kaukasus-Region
gegründet wurde. Weiterhin ist die Türkei Mitglied der
Organisation der Islamischen Konferenz, der 56 islamische Staaten
gehören. Dort ist sie das einzige NATO-Land, das zugleich
derart enge Bindungen zu Europa unterhält und eine
Vollmitgliedschaft in der Europäische Union anstrebt. Die
besondere Rolle der Türkei in den beiden genannten
Organisationen (ECO und IKO) ergibt sich vor allem aus ihren engen
"europäischen" und transatlantischen Bindungen.
Bei allen Kooperationen, an denen die Türkei beteiligt ist,
spielen die außen- und sicherheitspolitischen
Überlegungen eine größere Rolle als die
wirtschaftlichen. Als einer der wenigen Staaten mit mehrheitlich
muslimischer Bevölkerung pflegt die Türkei intensive
Beziehungen zu Israel, sowohl im wirtschaftlichen als auch im
militärischen Bereich. Die Kooperation der Türkei mit den
USA wird in islamisch-extremistischen Kreisen abgelehnt. Das
gleiche trifft auch auf das Engagement der Türkei in
Afghanistan im Rahmen der Anti-Terrorkoalition zu.
In ihrer geopolitisch herausragenden Lage versucht die
Türkei eine Politik der internen und regionalen
Stabilität und Integrität. Mögliche Krisen und
Instabilitäten in den Nachbarregionen - wie
Flüchtlingswellen aus politischen oder wirtschaftlichen
Gründen, die Gefährdung staatlicher Integrität,
Bürgerkriege, Minderheitenproblemen, terroristischen Gefahren,
die Verbreitung von Ideologien und Religion - haben unmittelbare
und mittelbare Folgen für die Stabilität und Sicherheit
nicht allein der Türkei, sondern auch Europas.
Die Globalisierung der Welt zeigt deutlich, dass Krisen und
Kriege, wie der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, auf
globaler Ebene ausgetragen werden und die Folgen terroristischer
Angriffe nicht nur das Zielland treffen. In den Beziehungen
zwischen der Türkei und der EU nach dem 11. September spielt
der sicherheitspolitische Aspekt eine sehr viel wichtigere Rolle
als zuvor. Çigdem Akkaya
Çigdem Akkaya ist Stellvertretende Direktorin der Stiftung
Zentrum für Türkeistudien.
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