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Bruno Schoch
Hoffen auf die politische Vernunft beider Seiten,
damit die unselige Politisierung der brutal geteilten Insel endlich
ein glückliches Ende hat
Die Völker Zyperns haben die Entscheidung
in der Hand
Ende März verhandelte der UN-Generalsekretär hoch
über dem Vierwaldstättersee mit den Repräsentanten
der griechischen und türkischen Zyprioten und den
Ministerpräsidenten der Türkei und Griechenlands. Noch
vor dem EU-Beitritt sollte für die seit 30 Jahren geteilte
Insel eine Regelung gefunden werden. Die imposante und
legendenreiche Landschaft hatte einst schon Friedrich Schiller
inspiriert. Kofi Annan eiferte ihm nach, als er optimistisch
verlautbarte, "dass sich die in Jahrzehnten festgefahrenen
Positionen aufzuweichen beginnen. Als der Schneefall nachließ
und der Nebel sich lichtete, erschien die Sonne auf dem
Bürgenstock und brach das Eis."
Ob der politische Frühling wirklich kommt, ist jedoch
fraglich. Falls nicht, ist das Kofi Annan am wenigsten anzulasten.
Er hatte 1999 die Initiative ergriffen, um zwischen der Republik
Zypern und der - international nicht anerkannten - Turkish Republic
of Northern Cyprus (TRNC) wieder Gespräche in Gang zu bringen.
Sein umfassender Lösungsvorschlag wurde bekannt als
Annan-Plan. Der Generalsekretär wollte das window of
opportunity nutzen, das der 1999 in Helsinki erfolgte EU-Beschluss
aufgestoßen hatte, mit Zypern Beitrittsverhandlungen zu
beginnen.
Der Annan-Plan sieht vor, Zypern unter Beibehaltung seiner
Souveränität in eine Konföderation zweier weitgehend
selbstständiger Teilstaaten umzuwandeln. Diese regieren sich
nach dem Vorbild der Schweizer Kantone selbst und üben alle
legislativen und exekutiven Kompetenzen aus, die nicht
ausdrücklich dem common state vorbehalten sind - Außen-
und Verteidigungspolitik, Wirtschafts- und Währungspolitik
sowie Staatsbürgerschaft. Aus Rücksicht auf die Angst,
dass sich die ethnischen Mehrheitsverhältnisse verändern
könnten, wird die Niederlassungsfreiheit zeitweilig
eingeschränkt, ebenso die Eigentumsfreiheit. Vertriebene
außerhalb der territorialen Verschiebung sollen
überwiegend entschädigt werden. Das ist fraglos ein
Verstoß gegen das Prinzip der Freizügigkeit in der EU,
weshalb sie diesen zeitlich befristeten Einschränkungen des
acquis communitaire zustimmen soll. Großbritannien,
Griechenland und die Türkei sollen die drei Schutzmächte
Zyperns bleiben. Schließlich ist die weitgehende
Demilitarisierung der hochgerüsteten Insel vorgesehen.
Im März 2003 musste Kofi Annan enttäuscht
einräumen, dass sein Plan vorerst gescheitert war. Er machte
dafür den halsstarrigen Rauf Denktasch, greiser Präsident
der TRNC, verantwortlich, kreidete aber auch den Politikern der
anderen Seite an, sich nur halbherzig für eine Einigung
engagiert zu haben. Kofi Annan beendete seine Mission.
Damit schien der Fall vorerst besiegelt. Zypern tritt am 1. Mai
der EU bei. Seit 1974, als die Garantiemacht Türkei nach
griechisch-nationalistischen Progromen den Norden besetzte, ist die
Insel durch eine martialische Grenze geteilt. Ohne eine Einigung im
allerletzten Moment tritt völkerrechtlich zwar die ganze Insel
bei, de facto jedoch nur der griechische Süden. Der Norden
bliebe eine international inexistente Entität. Das ergäbe
eine bizarre Konstellation: Ein Drittel des Territoriums eines
EU-Mitglieds widerrechtlich besetzt, noch dazu von einem
Nachbarstaat, der selbst in die EU drängt. Erfüllt die
Türkei die Beitrittskriterien, legt der Europäische Rat
im Dezember 2004 den Beginn von Verhandlungen fest. Über den
Beitritt wird Zypern mit entscheiden, daran könnten die
türkischen Europa-Ambitionen scheitern.
Diese missliche Aussicht veranlasste Ankara und Athen, Kofi
Annan händeringend um abermalige Vermittlung zu bitten. Zumal
sich seit April 2003 überraschend eine neue Dynamik ergab.
Anders als früher erhob sich gegen die intransigente
Obstruktion Denktaschs in der TRNC massiver politischer Druck.
Beeindruckende Protestdemonstrationen mobilisierten für einen
EU-Beitritt auch den Norden für den Annan-Plan. Darauf
ließ Denktasch unversehens die Demarkationslinie öffnen.
Seitdem können die Zyprioten an drei Übergängen die
zuvor hermetisch verriegelte Grenze passieren. Wie immer dieser
Schachzug motiviert war, er brachte die festgefahrene Teilung in
Bewegung. Seither überqueren täglich Hunderte die green
line, mehr als 1,75 Millionen Besucher in beide Richtungen wurden
bisher gezählt. Und es ist bisher zu keinen
Zusammenstößen gekommen, wohl aber zu unzähligen
Begegnungen. Das hat den von Nationalisten beider Seiten
gehätschelten Mythos, beide Volksgruppen könnten nie
wieder koexistieren, praktisch widerlegt.
In der Türkei haben die Wahlen vom November 2002 die
parteipolitische Landkarte umgewälzt. Die AKP errang eine
Zweidrittelmehrheit und hat seither ein beachtliches Reformtempo
vorgelegt. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und
Außenminister Abdullah Gül tun alles, um die Kopenhagener
Beitrittskriterien der EU zu erfüllen. Das schließt auch
eine neue Kompromissbereitschaft in der Zypernfrage ein. Wie es
scheint, haben die Proeuropäer in der Türkei
gegenüber den kemalistischen Traditionalisten in Armee- und
Staatsführung kräftig an Boden gewonnen. Ankara übt
auf den zypriotischen Norden Druck aus, die Teilung zu
überwinden. Hinzu kommt, dass im Dezember 2003 Wahlen auch die
TRNC verändert haben. Die Oppositionsparteien, die Denktasch
als Verhandlungsführer ablösen wollten, konnten
kräftig zulegen und erreichten 48 Prozent, während die
Konservativen drastische Verluste hinnehmen mussten und mit gut 45
Prozent abschnitten. Das ergab für beide Lager je 25
Parlamentssitze. So enttäuschend dieses Patt für die
Wahlsieger war, so sehr drückt es wohl die
widersprüchlichen Interessen aus: Dem Wunsch, die Teilung zu
überwinden zugunsten einer europäischen Perspektive, die
Armut, Stagnation und internationale Isolation beendet, steht das
nach wie vor ausgeprägte Sicherheitsinteresse entgegen. Vor
dem Hintergrund traumatischer Erfahrungen möchte man vor
Majorisierung geschützt sein.
Durch sein Scheitern im März 2003 gewitzigt, stellte Kofi
Annan Bedingungen für seine neuerlichen Vermittlungen:
Zeitlimit bis Ende März, bei ausbleibender Einigung.
Hinzuziehung Athens und Ankaras, schließlich das Recht, die
letzte Fassung seines Plans beiden Völkern Zyperns zum
Referendum vorzulegen. Dazu kam es jetzt am 24. April. Wie es
scheint, könnten sich nun die Rollen vertauschen. Scheiterten
bisher alle Vereinigungspläne an der TRNC, so scheint nun,
nachdem die türkische Seite dem Plan zustimmt, Papadopoulos
zum internationalen Spielverderber zu werden. An seinen
Einsprüchen misslang die Einigung auf dem Bürgenstock. Im
türkischen Norden rechnet man mit der Chance einer knappen
Mehrheit. Ein EU-Beitritt verheißt dort, wo das
Pro-Kopf-Einkommen bei weniger als 30 Prozent des Südens
liegt, enorme wirtschaftliche Vorteile. Das könnte wichtiger
sein als hergebrachte Sicherheitsbedürfnisse. Im griechischen
Süden dagegen scheint die Ablehnung zu überwiegen. Des
EU-Beitritts ist man sich ohnehin gewiss, warum also sollte man
Macht abgeben? Doch steht dem das Interesse gegenüber, Teilung
und türkische Besetzung zu beenden - das gibt es nur um den
Preis, die türkischen Zyprioten als gleichberechtigt
anzuerkennen.
Am 1. Mai tritt Zypern der EU bei. Bekommt der Annan-Plan nicht
die Zustimmung beider Seiten, wird das EU-Recht im Norden nicht
angewandt. Die TRNC wäre weiterhin eine nicht anerkannte
Entität, ihre Einwohner blieben staatenlos. Vermutlich
dürfte die EU dann darauf pochen, dass Nikosia das Embargo
aufhebt und - analog etwa zur Bonner Ostpolitik Willy Brandts - den
Norden de facto anerkennt, um seinen Bewohnern das Leben zu
erleichtern. Weder die EU, noch die griechischen Zyprioten sind
also das Problem los, wenn diese Annans Konföderationsplan
ablehnen. Bleibt zu hoffen, dass diesmal auf beiden Seiten der
brutal geteilten Insel die politische Vernunft triumphiert
über die unselige Politisierung nationaler Ressentiments und
Abgrenzungsbedürfnisse - also über jene Tradition, die
Pogrome, Massaker, Vertreibungen, Besatzung und die Teilung der
Insel einst verursacht haben. Bruno Schoch
Dr. Bruno Schoch ist Projektleiter der Fachgruppe
"Demokratisierung und der innergesellschaftliche Frieden" der
Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung.
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