Reinald Lukas
Es geht um Öl, Erdgas und viel Geld
Das türkisch-russische Verhältnis
bleibt problematisch
Wer das heutige Verhältnis Ankara-Moskau
bezüglich der Entwicklung der drei letzten Jahrhunderte
genauer vergleicht, wird in den vergangenen zehn Jahren eine
deutliche Verbesserung feststellen. In der Zeit bis zum Ende des
Ersten Weltkriegs war es vor allem die Konkurrenz zwischen den
russischen Romanows und den türkischen Ottomanen, die das
gegenseitige Verhältnis trübte. Erstere waren bestrebt,
ihr Staatsgebiet auf Kosten des damaligen geschwächten
osmanischen Reiches zu erweitern und unterstützten daher im
Mittelmeerraum und auf dem Balkan nationale
Befreiungsbewegungen.
In den 20er- und 30er-Jahren gab es eine
20-jährige Phase der Koexistenz zwischen der jungen
Sowjetunion und der ebenfalls jungen türkischen Republik.
Beide Staaten respektierten ihre jeweiligen Einflusssphären
und koordinierten ihre außenpolitischen Entscheidungen. Nach
dem Zweiten Weltkrieg, in dem die Türkei Neutralität
wahrte, verschlechterten sich die Beziehungen unter dem Eindruck
des Kalten Krieges wieder.
Die Türkei wurde bereits 1952
NATO-Mitglied und damit zum strategischen Vorposten der USA gegen
den kommunistischen Systemgegner Sowjetunion, welche ihrerseits
Ambitionen und Interessen im Mittleren Osten hatte. Die
diplomatischen Beziehungen beider Staaten tendierten gegen Null.
Lediglich in der Zypernfrage gab es in den 60er- und 70er-Jahren
diplomatische Unterstützung für die Türkei aus
Moskau.
Mit dem Ende des Kommunismus in Osteuropa und
dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 90er-Jahre wurden die
politischen Karten neu gemischt. Vorübergehend konnte Ankara
der Versuchung nicht wiederstehen, die wirtschaftliche und
politische Schwäche des sich erst wieder neu formierenden
Russland zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Die Aktivitäten betrafen neben
Tschetschenien vor allem Gebiete der ehemaligen UdSSR-Republiken
und jetzigen Nachbarstaaten Russlands Georgien, Moldawien,
Aserbaidschan und die Turkrepubliken Zentralasiens. Während in
Tschetschenien, Georgien (Abchasien) und Moldawien (Gagausen)
Separatismusbewegungen unterstützt wurden, unterstützte
Ankara den 1992 gewählten türkenfreundlichen
aserbaidschanischen Präsidenten Eltschibej.
Die Motive der damaligen türkischen
Regierungen waren vielfältiger Natur. Zu berücksichtigen
ist etwa, dass ungefähr ein Zehntel der türkischen
Bevölkerung kaukasische Vorfahren hat, und nach
türkischen und westlichen Quellen nicht weniger als 47
politische Interessensgruppen für eine offensivere Vertretung
türkischer Interessen im Kaukasus eintreten. Ferner spielten
pantürkische Großmachtträume eine Rolle. Der
wichtigste Grund lag jedoch in der zentralen Bedeutung der Region
des kaspischen Meeres als zukünftiger Rohöl- und
Erdgaslieferant, die zunehmend auch die USA in Erscheinung treten
ließen. Zu Beginn der 90er-Jahre wurden die Rohstoffvorkommen
noch wesentlich höher eingeschätzt als heute, wo Experten
inzwischen nur noch von zwei bis drei Prozent der Weltreserven bei
Erdöl und sechs bis zehn Prozent bei Erdgas
ausgehen.
Die türkischen Aktivitäten in
Tschetschenien wurden von Moskau mit der Unterstützung der
kurdischen nationalen Arbeiterpartei (PKK) und dem Sturz des
aserbaidschanischen Präsidenten beantwortet, der im Juni 1993
durch den Altkommunisten Alijew ersetzt wurde. Dieser annullierte
den mit einem internationalen Konsortium ausgehandelten Vertrag
über die Erschließung von drei Erdölfeldern am
Kaspischen Meer. Doch der russische Triumph währte nur kurz.
Bereits ein Jahr später, im September 1994, kam es zum
Abschluss des so genannten "Jahrhundertvertrages" mit einem
internationalen Konsortium von vorwiegend westlichen
Erdölkonzernen, unter Einschluss der Türkei, mit einem
bescheidenen Anteil von zunächst 1,75 Prozent. Unter der
Verpflichtung, 7,4 Milliarden Dollar zu investieren, sollten nun in
den nächsten Jahren 511 Millionen Tonnen Öl
gefördert werden. Erst als Aserbaidschan zehn Prozent seiner
Anteile an Lukoil verkaufte, war Russland an dem Projekt beteiligt.
Der türkische Anteil stieg im Laufe der 90er- Jahre auf 6,75
Prozent. Die Türkei hoffte, nun ein wichtiger Profiteur bei
der geplanten Ölpipeline zu werden. Zwei Routen standen dabei
zur Disposition, eine nördliche und eine südliche
Trasse.
Die nördliche führt vom Kaspischen
Meer über die dagestanische Hafenstadt Machatschkala und die
tschetschenische Hauptstadt Grosny zum russischen Schwarzmeerhafen
Noworossisk. Diese Pipelineroute, für die wegen des
Tschetschenienkrieges eine Umgehung gebaut werden musste, entsprach
vor allem russischen Interessen, während sich Georgien und die
Türkei für die südliche Route einsetzten.
Die südliche Trasse führt vom
aserbaidschanischen Baku über die georgische Hauptstadt
Tbilissi zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan (BTC). Sowohl
durch die nördliche als auch die südliche Trasse
könnten etwa 100.000 Barrel Öl pro Tag fließen. Die
veranschlagten Investitionskosten lagen aber bei der 1.760
Kilometer langen südlichen Streckenführung wesentlich
höher und wurden mit etwa 3 Milliarden Dollar
veranschlagt.
Washington wollte zunächst beide Trassen
nutzen, entschied sich aber doch Ende 2001 aus politischen
Gründen für die Südtrasse, durch die Anfang 2005 das
erste Öl fließen soll. Die Türkei hatte erfolgreich
umweltpolitische Gründe gegen die Nordroute angeführt.
Der einzige Weg, das aserbaidschanische Öl auf den Weltmarkt
zu bringen, ginge über den Bosporus und die Dardanellen. So
würde bei einer rapiden Zunahme des Tankerverkehrs etwa
Istanbul ständig mit der Gefahr einer Umweltkatastrophe leben
müssen.
Moskau hatte nach anfänglichem Protest
bereits Mitte 2001 seinen Widerstand gegen das BTC-Projekt
aufgegeben. Das hängt nicht nur mit der Eröffnung einer
neuen Ölpipeline eines internationalen Konsortiums, unter
starker russischer Beteiligung (24 Prozent), vom westkasachischen
Tengis-Feld am Kaspischen Meer nach Noworossisk am Schwarzen Meer,
zusammen. Dort können bis zu 560.000 Barrel am Tag
gefördert werden. Die in Kasachstan entdeckten
Ölvorkommen gelten zudem, nach Angaben des Auswärtigen
Amtes, als die größten Funde der letzten 20
Jahre.
Der eigentliche Grund für den
plötzlichen Sinneswandel der Moskauer Regierung liegt jedoch
in der seit Ende der 90er-Jahre veränderten
außenpolitischen Bewertung der Türkei als
zukünftigem Handelspartner. So beträgt das Handelsvolumen
inzwischen mehr als 6,5 Milliarden Dollar. Dazu kommen noch weitere
Umsätze der Tourismusbranche. Mit dem
grenzüberschreitenden Kleinhandel von 3 Milliarden Dollar
beläuft sich das Gesamtvolumen auf 12 Milliarden.
Außenminister Gul sagte bei seinem
jüngsten Besuch Ende Februar 2004 in Moskau, dass der
offizielle Handel jährlich weiter konstant um 15 bis 20
Prozent wachsen werde. Russland ist inzwischen nach Deutschland der
größte Handelspartner der Türkei. Im
Außenhandel Russlands belegt die Türkei Position sechs,
vor den USA.
Die Bedeutung der Türkei liegt für
Russland vor allem in ihrer Rolle als Abnehmer für russisches
Erdgas. Hier liegt sie inzwischen an dritter Stelle. Während
Russland der Türkei im Jahre 2000 noch 10,2 Milliarden
Kubikmeter Gas lieferte, waren es im letzten Jahr bereits 12,9
Milliarden. Das ist bereits jetzt mehr als ein Viertel der
türkischen Energieversorgung.
Die wachsende Bedeutung guter
Wirtschaftsbeziehungen für das russisch-türkische
Verhältnis können jedoch nicht über nach wie vor
vorhandene Defizite und das gegenseitige Misstrauen im politischen
Bereich hinwegtäuschen, die auch seit dem Beginn des
weltweiten Kampfes gegen den Terror (Stichwort 11. September 2001)
nicht völlig überwunden werden konnten.
Mit Unbehagen wird in Moskau etwa auch die
Modernisierung des georgischen Militärflughafens Marneuli
durch die Türkei registriert. Ebenso verhält es sich mit
der im Oktober 2002 begonnenen Ausbildung georgischer Militärs
durch türkische Offiziere oder mit dem im Januar 2002 zwischen
Aserbaidschan, Georgien und der Türkei geschlossenen Abkommen
über regionale Sicherheit.
Auch die russischen Vorwürfe über
die türkische Unterstützung tschetschenischer Terroristen
sind keineswegs verstummt, wie etwa der Auftritt des russischen
Verteidigungsministers auf der letzten Münchener
Sicherheitskonferenz zeigte, der die Anwesenheit von
tschetschenischen Interessengruppen in Ankara als Schatten auf den
türkisch-russischen Beziehungen bezeichnete. Beide Seiten
scheinen aber inzwischen bereit zu sein, den Konflikt nicht weiter
zu schüren. Das Weigern der Türkei, den USA keine weitere
Front für den Irakkrieg zu gewähren, ist ebenso in diese
Richtung zu deuten, wie die relativ gemäßigte Reaktion
Russlands auf das von der Türkei verhängte
Nachtfahrverbot für Öltanker.
Reinald Lukas arbeitet als
Politikwissenschaftler und freier Autor in Duisburg.
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