|
|
Karl-Otto Sattler
Zivilmacht mit globalem Einfluss
Egon Bahr über "deutsche Wege"
Eigentlich trägt das Buch einen falschen Titel. Im Kern
geht es Egon Bahr bei seiner kritischen Analyse der Weltordnung
überhaupt nicht um Schneisen für einen "deutschen Weg".
Dem strategischen Kopf ist es vielmehr um die Stellung Europas in
einem globalen System zu tun, in dem die USA die unangefochtene
Hegemonie innehaben. Bahr sieht für Europa eine Chance zur
Selbstbehauptung gegenüber der einzig verbliebenen Weltmacht:
Indem sich der alte Kontinent als Zivilmacht profiliert und in
dieser Rolle im Zusammenwirken mit der UNO nicht im Gegensatz zu
Washington, sondern in einer Art "Arbeitsteilung" mit den USA
agiert - und so auch einen eigenständigen,
friedlich-präventiven Beitrag zum Kampf gegen den Terrorismus
wie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen leistet. In
diesem Kontext hat die Bundesrepublik ihren Part zu spielen: als
"normaler Staat", der, mündig geworden, gegenüber
Washington selbstbewusst seinen Teil beisteuert zu einem wachsenden
Gewicht Europas in der Weltpolitik - "ein Deutschland im Dienste
Europas".
Natürlich denkt der Autor auch von den Interessen seines
Landes her. Das hat ihn stets umgetrieben. Der einstige Entwurf des
Beraters von Willy Brandt für eine Entspannungspolitik unter
dem Motto "Wandel durch Annäherung", die schließlich in
die Wiedervereinigung mündete, hatte ja wohlbedachte nationale
Belange im Auge - die nur auf dem Boden einer Friedensordnung zu
wahren waren. Heute, nach dem Ende des Kalten Krieges und nach den
Terroranschlägen des 11. Septembers und dem US-Feldzug gegen
den Irak, sieht die Welt ganz anders aus. Doch eine zentrale Frage
beschäftigt Bahr noch immer: die nach Eigenständigkeit,
nach Selbstbehauptung, nach Selbstbestimmung, nach Identität,
ja nach "Würde", auch dieser Begriff taucht in dem Buch auf.
Sich nicht "zum Spielball der Interessen anderer machen": Bahr
findet so manche Wortwendung.
Es ist ein Genuss, zu lesen, wie Bahr - da ist und bleibt er ein
großer Meister - schnörkellos und präzise die Dinge
konsequent durchdenkt und zu Papier bringt. Nüchtern bringt er
die militärisch absolute Vorrangstellung der USA auf den
Punkt, spricht sogar von der "Hypermacht". Alle anderen, auch
Europa, "sind Größen zweiten Ranges". Ohne den
"Globalplayer" Washington läuft letztlich nichts. Aber
heißt das Ohnmacht und Einflusslosigkeit für die
andern?
Bahr findet es sinnlos, sich über diese alle und alles
dominierende Macht jenseits des Atlantiks zu empören und
aufzuregen. "Antiamerikanismus ist dumm", konstatiert er. Europa
solle, so sein Plädoyer, den Vorrang Washingtons akzeptieren
und auf dieser Basis die eigene Stärke ausspielen,
nämlich die Fähigkeit zu friedlichen
Konfliktlösungen durch ein Geflecht von Verträgen. Die
Erinnerung an die "Erfahrung der Entspannungspolitik" mit ihrem
Gewaltverzicht fehlt nicht - die im Übrigen auch durch die
militärische Macht der USA gedeckt war, was in dem Buch sehr
wohl erwähnt wird. "Arbeitsteilung" ist also keineswegs etwas
Neues. Amerika, meint der SPD-Politiker, "kann auf Kriegsgewinn
setzen, Europa muss die Rolle des Militärischen verringern
wollen". Oder so: "Krieg ist der Feind Europas."
Auf diese Weise, so Bahrs Prognose, könnte Europa ein
"Globalplayer" werden, "den die Welt nicht entbehren möchte".
Nicht die erdrückende militärische Überlegenheit der
USA in Frage stellen oder gar konterkarieren wollen, sondern im
Zusammenwirken mit der UNO als Zivilmacht Raum schaffen für
die Alternative vertraglicher Diplomatie: So könne Europa in
der Weltpolitik Einfluss gewinnen. Bahr: "Wir haben nicht zwischen
Unterwerfung und Feindschaft zu wählen." Mit dem Grundgesetz
im Rücken, das die Teilnahme an einem Angriffskrieg
ausdrücklich verbietet, kann die Bundesrepublik selbstbewusst
eine solche Politik wesentlich befördern: So sieht er für
Bahr aus, der "deutsche Weg".
Der Entwurf des Sozialdemokraten mutet fast wie eine Art
theoretisches Konzept für eine Außenpolitik an, die in
der deutschen Haltung und der Position des "alten Europa"
während des Irak-Kriegs bereits erste konkrete Konturen
gewann. Freilich ist die Theorie das eine, die Praxis das andere.
Die USA scherten sich nicht um den Widerstand in Europa - und der
Kontinent war zudem tief gespalten, stellte sich doch nicht nur
London auf die Seite George W. Bushs.
Europa als Zivilmacht mit globalem Einfluss: Das ist noch ein
weiter Weg. Bei der alten Enspannungspolitik war das etwas
einfacher: Damals konnte Egon Bahr seine Strategie noch
persönlich in die Tat umsetzen.
Karl-Otto Sattler
Egon Bahr
Der deutsche Weg.
Karl Blessing Verlag, München 2003; 158 S., 12,- Euro
Zurück zur
Übersicht
|