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Jutta Witte
Begrenzter Handlungsspielraum
Hessen: Bilanz nach einem Jahr absoluter
CDU-Mehrheit
Mit "Visionen", die gleich bis ins Jahr 2015 reichten, trat
Roland Koch vor einem Jahr seine zweite Amtszeit als hessischer
Ministerpräsident selbstbewusst an. Bestärkt durch die
absolute Mehrheit der hessischen CDU, die bei der Landtagswahl 48,8
Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte, mischte der
Regierungschef auch auf der politischen Bühne in Berlin
kräftig mit. Auf eine Kanzlerkandidatur für das Jahr 2006
hat Koch auf dem letzten CDU-Landesparteitag überraschend
verzichtet. Nun will die Opposition von ihm wissen, was er im
zurückliegenden Jahr für Hessen getan hat.
Denn trotz ambitionierter Projekte wie dem neuen
Lehrerausbildungsgesetz, der "Modelluniversität" Darmstadt
oder dem Aufbau flächendeckender E-Government-Strukturen steht
die Regierung Koch in den Augen ihrer Kritiker vor allem für
den finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Abstieg des Landes.
"Kein Elan, mangelnde Kreativität und handwerkliche Fehler",
bescheinigen die Liberalen ihrem ehemaligen Koalitionspartner. "Sie
haben die Verantwortung dieses Land zu regieren", erinnerte
FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn das CDU-Kabinett jüngst.
"Tun sie es bitte auch."
Die allgemeine Wirtschaftsflaute begrenzt jedoch den politischen
Handlungsspielraum auch in Hessen. Fast 30 Milliarden Euro Schulden
prognostiziert der Bund der Steuerzahler Hessen dem Land mit seinem
ohnehin schon verfassungswidrigen Haushalt bis Ende 2004. Mit einem
drastischen Sparpaket namens "Operation sichere Zukunft" wurde die
Haushaltslücke von 1,03 Milliarden Euro nach Angaben von
Finanzminister Karlheinz Weimar mittlerweile geschlossen. Im Zuge
der Sparmaßnahmen, die im vergangenen Herbst zu
Massendemonstrationen in Wiesbaden führten, wurde die
Beamtenarbeitszeit bei gleichzeitigen Einschnitten in das
Salär der Staatsdiener erhöht, Gebühren angehoben
und die Landessubventionen um 33,3 Prozent gekürzt - nach
Überzeugung von SPD und Grünen vor allem zu Lasten der
sozialen Infrastruktur in Hessen. Das Sparprogramm bedeute das
"Aus" für die von den Christdemokraten immer wieder
propagierte Bürgergesellschaft, sagt der Fraktionsvorsitzende
der Grünen, Tarek Al Wazir. Teure Wahlversprechen würden
nun Zug um Zug zurück genommen.
Von den 2.900 neuen Lehrerstellen seien 1.000 wieder gestrichen
worden, 1.600 neu eingestellte Referendare würden nicht
übernommen, bilanziert der Grüne. Während die
Kriminalitätsrate in Hessen 2003 erneut um mehr als fünf
Prozent gestiegen ist, bemängeln SPD und Grüne rund 1.000
Polizisten weniger in Hessen, eine "totale Demotivierung" auf den
Polizeirevieren und eine insgesamt "verfehlte Sicherheitspolitik".
Eine Aufklärungsquote von 49,9 Prozent hält Hessens
Innenminister Volker Bouffier dem entgegen, die das Land im
bundesweiten Vergleich auf den fünften Platz bringe.
"Pseudomathematik" nennt auch Ministerpräsident Koch die
Vorwürfe der Opposition. Schließlich müssten die
Beamten jetzt mehr arbeiten. Deswegen bleibe die Arbeitskraft die
gleiche.
Dieses Argument will auch Knud Dittmann nicht so recht
einleuchten. "Das ist eine Milchmädchenrechnung", findet der
Vorsitzende des hessischen Philologenverbandes. In der vergangenen
Legislaturperiode habe es durchaus eine Verbesserung der
Unterrichtssituation gegeben, räumt der Rektor eines
Gymnasiums ein. "Jetzt verschlechtern die Rahmenbedingungen sich
wieder." Für die im Regierungsprogramm versprochene
"Unterrichtsgarantie Plus", die eine Vertretungsreserve für
ausfallende Lehrer sicher stellen sollte, sei schon seit
Jahresbeginn kein Geld mehr da.
Nicht nur aus finanziellen Gründen ruft gerade die
Schulpolitik die Opposition in Hessen auf den Plan. Während
die von Kultusministerin Karin Wolff auf den Weg gebrachte
Lehrerbildung "aus einem Guss" nur wenig Kritik provozierte,
fürchtet die Opposition, dass das Abitur nach zwölf
Jahren und die Möglichkeit der Querversetzung bis in Klasse
acht Hessens Schulen in die 50er-Jahre zurück wirft. Die
Verkürzung der Gymnasialzeit, sagt auch Dittmann bedeute
"Bildungsabbau und Qualitätsverlust".
Kritik provoziert auch die Wirtschaftspolitik. In Aloys Rhiel,
dem von Koch vor einem Jahr neu ins Amt berufenen
Wirtschaftsminister, sieht die Opposition eine Fehlbesetzung. Dabei
fürchten SPD und FDP vor allem, dass Rhiel mit dem
komplizierten Genehmigungsverfahren zum Ausbau des Frankfurter
Flughafens überfordert sein und damit das für die
schwächelnde Rhein-Main-Region wichtigste
wirtschaftspolitische Projekt zum Scheitern bringen könnte. In
allen Rankings sei Hessen mittlerweile abgestürzt,
erklärt zudem SPD-Fraktionschef Walter. Während die CDU
auf einen guten dritten Platz in der Nettoneuverschuldung verweist,
sieht die SPD das Land bei der Entwicklung des Bruttoinlandprodukts
im "trostlosen Mittelfeld" und auf dem Ausbildungsmarkt "ganz
hinten". Dafür sei der Anstieg der Arbeitslosigkeit - die
Quote betrug im Januar 8,4 Prozent - nirgendwo in Deutschland
größer.
"So viel Schwung und Dynamik wie in den letzten Monaten war
selten in Hessen", zeigt sich Regierungssprecher Dirk Metz
unbeirrt. Auf die sonst an einem Jahrestag übliche
Regierungserklärung hat sein Chef in diesem Jahr verzichtet.
Stattdessen zog Koch nach den Osterferien unter dem Motto "Hessen
zeigt Profil" seine Zwischenbilanz eher lustlos: "Wir sind im
Moment in unserem Plan", erklärte der Ministerpräsident.
Seine politischen Versprechen könne er bis 2008 einlösen.
Damit rechnet in den anderen Fraktionen offenbar niemand mehr: "Die
CDU-Alleinregierung in Hessen", findet FDP-Fraktionschef Hahn, "ist
der Beweis für das Scheitern einer Ich-AG." Jutta Witte
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