K. Rüdiger Durth
Mammut-Aufgabe für die neue
Super-Senatorin
Berlin: Ingeborg Junge-Reyer tritt Strieders
Nachfolge an
Die Berufung zur Senatorin für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung, Umwelt und Verkehr kam für Ingeborg
Junge-Reyer (57) ebenso überraschend wie der Rücktritt
des bisheriges Super-Senators Peter Strieder (51) für den
Berliner Senat und die Öffentlichkeit. Doch eine Unbekannte
auf dem Feld des Viel-Themen-Senators ist sie nicht. Denn Strieder
hatte sie bereits im Jahr 2002 als seine Staatssekretärin
verpflichtet. Das neue Amt versteht sie als "eine hervorragende
Herausforderung". Nachdem sie am 29. April vom Abgeordnetenhaus
gewählt wurde - in Berlin wird jeder Senator einzeln vom
Landesparlament gewählt und kann von diesem auch abberufen
werden -, kann sie nun die neue Herausforderung annehmen.
Zu beneiden ist Senatorin Junge-Reyer - die dritte Frau im
achtköpfigen Senat - keineswegs. Denn ohne Geld kann sie nicht
viel machen. Und eben daran fehlt es in der Bundeshauptstadt an
allen Ecken. Es kommt also darauf an, wie sie mit Finanzsenator
Thilo Sarrazin zurechtkommt, der seit einiger Zeit jeden Euro
gleich zweimal umdreht, bevor er ihn freigibt. Ihr Vorgänger
und bisheriger Chef Peter Strieder hatte einen großen Vorteil:
Er war nicht nur Super-Senator, sondern auch Berliner SPD-Chef.
Warum warf Strieder das Handtuch? Unumstritten war der ehemalige
Bürgermeister des Berliner Stadtbezirks Kreuzberg nie. Weder
als Senator, noch als Parteichef. Und so bekam er 2002 auch einen
schweren Denkzettel vom Abgeordnetenhaus verpasst. Denn als
einziger Senator der neuen rot-roten Landesregierung wurde er erst
im zweiten Wahlgang gewählt.
Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister, tobte.
Schließlich war die Koalition mit der PDS - nach dem noch
immer nicht ganz geklärten Scheitern der Verhandlungen
über eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und den Grünen -
das Werk Strieders. Auch in der SPD hatte der Vorsitzende oft
Probleme. Doch er wurde immer wieder gewählt. Weil es keine
Alternative zu ihm gab. Bis Anfang April. In Berlin schwappte die
Tempodrom-Affäre hoch, die letztlich zu Strieders politischem
Aus führte.
Für Nicht-Berliner: Das Tempodrom war einst ein Kulturzelt
im Schatten der Mauer auf dem Gebiet des Stadtbezirks Kreuzberg -
vom damaligen Bezirksbürgermeister Strieder gefördert.
Nach dem Fall der Mauer musste das Zelt weichen. Nach allerlei
Ausweichstandorten wurde die Idee geboren, dem Tempodrom ein festes
Haus zu bieten. Und nun steht es als "Zelt aus Beton" mit spitzen
Türmen wieder auf Kreuzberger Boden. Längst ist es
architektonisch zu einem Wahrzeichen geworden. Zugleich aber ist
das Tempodrom auch ein Zeichen für den alten (West-) Berliner
Filz und für ungeklärte Finanzierung. Schulden in
zweistelliger Millionenhöhe lasten auf dem etwas anderen
Kulturtempel, die schließlich niemand mehr begleichen wollte.
Und dann wurden Vorwürfe laut, der Stadtentwicklungssenator
habe die Finger bei Darlehen im Spiel, die nicht
ordnungsgemäß bewilligt worden seien. Etwa vom
Abgeordnetenhaus. Und plötzlich interessierte sich der
Staatsanwalt für das Tempodrom, das inzwischen pleite ist.
Schock für die SPD
Offen war auch, wie Strieder aus den staatsanwaltschaftlichen
Untersuchungen herauskommen würde, obwohl er nach wie vor
seine Unschuld beteuert. Doch in Berlin gelten
Unschuldsbeteuerungen von Politikern nicht viel. Die moderne
Medienlandschaft braucht ihre Opfer. Und Strieder wurde durch die
Mühlen der Medien gemahlen als auch noch seine Immunität
als Mitglied der Bundesversammlung aufgehoben wurde, was bislang
noch nie geschah. Wiederum ein gefundenes Fressen für die
Medien. Selbstverständlich auch für die politische
Opposition.
Strieder warf das Handtuch. Aber er trat nicht nur als Senator
zurück, sondern auch als SPD-Chef. Für die SPD ein
Schock, die sich freilich genauso schnell von der
überraschenden Nachricht erholte wie Wowereit: Der Regierende
Bürgermeister ernannte vorbehaltlich der Wahl durch das
Abgeordnetenhaus Ingeborg Junge-Reyer zur neuen Senatorin und die
SPD nominierte ihren Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Michael
Müller, als neuen Berliner Parteichef.
Der 39-jährige Müller sträubte sich lange gegen
das zusätzliche Amt. Er weiß nur zu gut, wie schwer es
ist, die Berliner SPD zu führen, die aus den
unterschiedlichsten Flügeln besteht und keineswegs nur in das
Links-Rechts-Schema passt. Und es steht nicht gut um die
größte Regierungspartei im Land Berlin: Der bundesweite
Negativ-Trend für die Sozialdemokraten schlägt auch in
Berlin voll durch. Dazu kommt das in der Bevölkerung schlechte
Ansehen des rot-roten Senats. Lediglich der Regierende
Bürgermeister Klaus Wowereit bekommt in den Umfragen sehr
passable Noten. Der Grund liegt in den harten Sparmaßnahmen,
die so gut wie keine Bevölkerungsgruppe ausschließen.
Schwer fällt den Berlinern die Einsicht, dass viel zu
spät gespart werden muss. Außerdem sind viele
überzeugt, der Bund solle gefälligst mehr zahlen. Doch
dieser denkt nicht daran, zumal er überzeugt ist, ohnehin
schon genug für die Hauptstadt zu tun.
Die neue Super-Senatorin Junge-Reyer (verheiratet mit einem
Richter) kann sich über mangelnde Arbeit nicht beklagen: Rund
100.000 Wohnungen stehen in der Stadt leer. Einige Stadtteile
drohen bereits zu verslumen, was nicht nur eine Folge des hohen
Ausländeranteils ist. Der Anteil an Sozialhilfeempfängern
ist extrem hoch. Die Stadtentwicklung ist mit dem Potsdamer Platz
keineswegs abgeschlossen. Was wird aus dem Alexanderplatz, auf dem
in dem einen oder anderen Architektenplan die Hochhäuser in
den Himmel ragen und der Stadt eine Skyline geben sollen? Was wird
aus dem Gebiet rund um den Bahnhof Zoo? Der wird nach der
Fertigstellung des Hauptbahnhofs am Rande des Regierungsviertels
viel von seiner Bedeutung als zentraler Verkehrsumschlagsplatz
verlieren.
Wann wird genügend Geld da sein, um das Ostberliner
Straßenbahnnetz nach Westen hin auszudehnen, was nicht wenige
Stadtplaner und Politiker für dringend erforderlich halten?
Ganz zu schweigen vom Zustand zahlreicher Straßen. Und
für die Umwelt bleibt auch immer weniger Geld übrig. Ein
Mammut-Ressort wartet auf die neue Super-Senatorin, der der starke
Rückhalt in der Partei fehlt. Vielleicht wird dies durch einen
starken Rückhalt durch den Regierenden Bürgermeister
ausgeglichen. Schließlich ist die neue Senatorin so etwas wie
die Architektin des äußeren Berlin in der nahen Zukunft.
K. Rüdiger Durth
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