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Bert Schulz
Doppelt gepasst hält besser
Damals...am 7. Mai vor fünf Jahren: Der
Bundestag verabschiedet ein neues
Staatsbürgerschaftsrecht
Wenn's um die Nation geht, sind die Deutschen ganz besonders
empfindlich - aus mehreren Gründen. Die Überhöhung
des Begriffs ins Übermenschliche durch die Nationalsozialisten
und die daraus abgeleitete menschenverachtende Ideologie mit ihren
schrecklichen Folgen ist einer davon; die Nationalstaatsbildung,
die viel komplizierter, später und kleinteiliger verlief als
in Frankreich oder Großbritannien, ein anderer. Während
beim westlichen Nachbarn der Geburtsort die Nationalität
festlegt, gilt in Deutschland das so genannte ius sanguis: Wessen
Eltern (oder zumindest ein der beiden Teile) deutsch sind, der darf
auch Deutscher sein. Eine geplante Lockerung oder gar Ablösung
dieses Prinzips provoziert unweigerlich scharfe politische
Auseinandersetzungen, schließlich gilt die Nation, wie immer
man sie auch definiert, als einer der zentralen
Identitätsanker und damit Stabilisatoren des Staates.
Es verwundert deswegen nicht, dass Innenminister Otto Schily
(SPD) während der dritten Lesung des neuen
Staatsbürgerschaftsrechts am 7. Mai 1999 im Bundestag
ausgiebig Ernest Renan zitierte, auf dessen Vortrag aus dem Jahr
1882 fast alle modernen Nationalitätsforscher
zurückgreifen. Laut dem Franzosen - und Schily war sich da mit
ihm einig - ist die Nation "eine Seele, ein geistiges Prinzip", das
sich ergibt aus dem gemeinsamen Besitz an Erinnerungen sowie dem
"gegenwärtigen Einvernehmen, zusammenzuleben". Ein ethnisch
homogener Nationalstaat, so interpretierte Schily den Franzosen,
sei nicht das Vorbild, sondern ein Übel. Der Innenminister
begründete mit den fast 120 Jahre alten Ausführungen
Renans die Novellierung des ähnlich alten, aber unvermindert
gültigen Staatsbürgerschaftsrechts aus den letzten Jahren
des Kaiserreichs. Das neue Gesetz wurde schließlich mit
deutlicher Mehrheit verabschiedet: 365 Abgeordnete von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS stimmten dafür,
184 Repräsentanten der Union sowie der PDS votierten dagegen,
39 enthielten sich der Stimme, darunter prominente CDU-Vertreter
wie Heiner Geissler und Rita Süßmuth.
Die breite Zustimmung musste jedoch in langwierigen
Verhandlungen schwer erarbeitet werden. Gegen die ursprünglich
wesentlich weiter gehenden Vorstellungen der Regierungskoalition
sperrte sich die FDP; die CDU startete im hessischen
Landtagswahlkampf eine von populistischen Tönen begleitete
Unterschriftenkampagne gegen diese Pläne, die wesentlich zum
Wahlerfolg des Unionskandidaten Roland Koch beitrug. Mitte
März 1999 konnten sich Sozialdemokraten, Grüne und
Liberale auf einen Kompromiss einigen. Demnach sollte nicht mehr
nur die Nationalität der Eltern für die deutsche
Staatsbürgerschaft ausschlaggebend sein. In der Bundesrepublik
geborene Kinder von seit acht Jahren rechtmäßig in
Deutschland lebenden ausländischen Eltern erhalten mit der
Geburt automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Diesen
"Doppelpass" gibt es aber nicht auf Dauer: Spätestens mit 23
Jahren müssen sich die in Deutschland geborenen Kinder von
Ausländern für einen Ausweis entscheiden. Gleichzeitig
einigte man sich auf Erleichterungen bei der Einbürgerung
durch die Verkürzung der Frist von 15 auf acht Jahre.
Die Befürworter des neuen Gesetzes im Bundestag beschworen
in der mehr als vierstündigen, teilweise emotionalen Debatte
die "durchaus historische Dimension" dieses Reformschritts (Otto
Schily); sie stellten klar, dass mit den neuen Rechten auch neue
Pflichten einhergehen (der Grüne Cem Özdemir) und
sprachen von einem "Signal an die jungen Menschen, die in unserem
Land geboren sind" (Guido Westerwelle für die FDP). Der
stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Jürgen
Rüttgers, beurteilte den Regierungsentwurf hingegen als
verfassungsrechtlich bedenklich und bezeichnete ihn als
"Flickwerk". Und Ulla Jelpke (PDS) sah nur "einzelne löbliche
Ansätze" in dem ansonsten "halbherzigen Reförmchen".
Am 1. Januar 2000 trat der Kompromiss in Kraft. Daraufhin
stiegen im ersten Jahr des Gesetzes die Zahl der
Einbürgerungen um 30 Prozent im Vergleich zu 1999 auf knapp
187.000, etwas weniger, als von Regierungsseite erwartet worden
war. In den darauf folgenden Jahren sank die Zahl wieder leicht.
Sie lag aber noch höher als in den Jahren vor Einführung
des neuen Staatsangehörigkeitsrechts. Bert Schulz
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