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Detlev Lücke
...aufgekehrt
Kaum hat sich unser lieber alter Kontinent erweitert und
verbreitert, beginnt ein lieblich öder Streit, wo denn der
Mittelpunkt EU-Europas liege. Ein Zank um des Kaisers Bart, denn
Erdteil bleibt Erdteil, nur die Grenzen ändern sich halt ein
bissel. Also: Vernahmen wir noch vor Tagen, das pfälzische
Dorf Kleinmaischeid sei nun der zumindest geografische Mittelpunkt
der Europäischen Union, heißt es seit neuestem, Golzow im
brandenburgischen Fläming erhebe diesen Anspruch. Das habe ein
ungarischer Geograf (sic!) errechnet. Da ist es kein Zufall, dass
Kleinmaischeid von Frankreichs geografischem Institut in seinen
Rang erhoben wurde. West gegen Ost beziehungsweise umgekehrt auch
hier - wen wundert's?
Abgesehen davon, dass es vermutlich keine Sau, außer die
Einwohner von Kleinmaischeid oder Golzow, interessiert, wo das
geografische EU-Zentrum liegt, erinnert uns der Dissens an den
Spruch aus DDR-Zeiten: "Wo wir sind, ist vorn, und wenn wir hinten
sind, ist hinten vorn." Natürlich weiß jeder
Europäer, dass Brüssel das Zentrum der Union ist. Denn
von dort kommt die Knete. In Golzow, diesem kargen Landstrich im
Kreis Potsdam-Mittelmark, hat man es schon verinnerlicht, denn man
plant im Sommer ein Europafest, vermutlich mit finanziellen
Zuschüssen der EU. Obwohl schon Eduard Mörike 1832 in
seiner Abwehrhaltung gegenüber der "Großen Welt"
dichtete: "Lass, o Welt, o lass mich sein!/ Locket nicht mit
Liebesgaben,/Lasst dies Herz alleine haben/Seine Wonne, seine
Pein!" Und am Ende des Gedichtes: "Doch in der Mitten/liegt holdes
Bescheiden." Das sollte man sich in Kleinmaischeid wie in Golzow zu
Herzen nehmen. Aber wer liest noch die Klassiker? Die Leute lesen
den "Spiegel", der neuerdings so überaus bewegend den Kampf
zwischen dem reichen Osten und dem armen Westen bebildert. Wir
denken an die jüngsten Fotos aus Leipzig und Gelsenkirchen.
Vom Sturmgeschütz der Demokratie zum Sturmgeschütz der
Demagogie? Wer möchte da noch Mittelpunkt sein!
Tröstlich für die übrigen 24 EU-Länder ist
wenigstens die Tatsache, dass ein deutsches Nest der Mittelpunkt
ist. Sprach nicht schon der römische Dichter Horaz in seinem
Oden von der aurea mediocritas, der "Goldenen Mitte"? Tja, unsere
abendländischen Wurzeln. Heute würde man mediocritas wohl
eher mit Mittelmäßigkeit übersetzen. Und da sind wir
Deutschen zur Beruhigung unserer Nachbarn verlässliche Spitze.
Gerade erst durfte der EU-Beitrittskandidat Rumänien für
2007 erfahren, wie ungefährlich die Deutschen aus West wie Ost
sind. Die Fünf-zu-Eins-Klatsche zeigte dem letzten Ignoranten,
dass Rudi Völlers Schleudertruppe weder einen strategischen
Mittelpunkt, noch einen Mittelstürmer hatte. Friedfertige
Menschen aus München, Bremen, Leverkusen und Dortmund standen
auf dem Rasen Spalier, um den künftigen Europäern vom
Balkan ihren richtigen Weg zu weisen. So soll es sein. Detlev
Lücke
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