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Wichard Woyke
Hürden und Wegbereiter in einem
Der immer wieder fragile Einigungsprozess
Europas
EU-Europa hat mit der Erweiterung um zehn mittel-, ost- und
südosteuropäische Staaten einen qualitativen Sprung
unternommen, der zahlreiche Fragen aufwirft, ganz besonders die
Frage nach der Zukunft der Europäischen Union selbst. Hans
Arnold, früherer Bonner Spitzendiplomat, nähert sich
diesen Problemen unter der Leitfrage, wie viel Einigung Europa
generell braucht.
Zunächst stellt er eine alles in allem zutreffende
Lageanalyse des Integrationsprozesses dar, in der er Wege, Formen
und Probleme der europäischen Einigung aufzeigt. Bedeutsam
dabei ist seine Aussage, dass seit der Verabschiedung des
Maastrichter Vertrags die Einigungspolitik nicht abgebaut, sondern
lediglich "herabgenüchtert", also realistischer, wurde. Er
sieht im Integrationsprozess nach dem Ende des Ost-West-Konflikts
eine Renationalisierung und verweist auf die inzwischen betonten
nationalen Interessen.
Gerade sein Kapitel über das Europa der Interessen macht
aber deutlich, dass diese Interessen auch bereits in der Hochphase
des Einigungsprozesses in den 50er-Jahren vorhanden waren.
Natürlich hatte Frankreich bei der Gründung der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)
neben dem hehren Interesse der europäischen Einigung das
fundamentale Interesse der Kontrolle der Bundesrepublik
Deutschland, nämlich mit Hilfe des neuen Ansatzes Kontrolle
durch Integration. Und die Bundesrepublik hatte in der ersten
Hälfte der 50er-Jahre neben dem Ziel der europäischen
Einigung das Interesse, die Souveränität zu erlangen und
ein gleichberechtigter Staat zu werden.
Europäische Integration war also auch deshalb erfolgreich,
weil unterschiedliche nationale Interessen im Prozess der
europäischen Einigung kompatibel waren und manchmal auch
übereinstimmten. Allerdings, und da ist Arnold Recht zu geben,
sieht der Verfasser die EU hinsichtlich des Interessenausgleichs
zwischen den EU-Staaten und der Suche nach gemeinsamen
europäischen Interessen, in einem schlechten Zustand.
Deutschlands Interesse auf die Leitfrage des Buches taxiert Arnold
gerade in so viel europäischer Einigung, dass es mittlerweile
keine deutsche Frage mehr gibt, die ja den europäischen
Integrationsprozess immer mitbestimmt hat.
Im Südosten Europas sieht Arnold die Grenzen erreicht und
wendet sich vehement gegen einen möglichen Beitritt der
Türkei, die er als zu groß, zu gewaltig und "bei aller
politischen Korrektheit auch als zu exotisch" ansieht. Die
Türkei müsste sich nach Auffassung Arnolds als Sprengsatz
für den Integrationsprozess entwickeln, würde sie doch
das Begehren weiterer nichteuropäischer Staaten für eine
Mitgliedschaft fördern, meint der Autor.
Grenzen der Einigung Europas sieht der Verfasser durch die
kulturelle Vielfalt gegeben. So ist für ihn
dieSprachenvielfalt nicht nur der stärkste Ausdruck der
kulturellen Vielfalt Europas, sondern auch die stärkste
kulturelle Behinderung und Eingrenzung der Einigung zwischen den
Europäern. Arnold plädiert vehement für ein Europa
der Bürger und ein Europa der Gesellschaften. Ohne ein
selbstverständliches Bewusstsein der europäischen
Bürger, dass sie in EU-Europa in einem gemeinsamen Lebensraum
leben, hält er die Einigung für unvollständig. Seine
Therapievorschläge zur Schaffung von mehr europäischer
Identität beruhen weitgehend auf lerntheoretischen
Ansätzen und wirken zum Teil etwas naiv.
Hinsichtlich der Vorstellung EU-Europas als global player stellt
sich für Arnold weniger die Frage, "wie viel Einigung Europa
braucht, sondern mehr die ernste Frage, zu wie viel Einigung Europa
überhaupt fähig ist". Hinsichtlich ihres Handelns in der
Weltpolitik rät der ehemalige Diplomat der EU, von drei
Voraussetzungen auszugehen: "von ihrem eigenen Unvermögen als
quasi einheitliche Großmacht mit Waffengewalt zu agieren sowie
von den neuen weltpolitischen Herausforderungen und den
unverändert bedeutsamen Verbindungen zwischen Europa und den
USA".
Alles in allem ein Buch, in dem der Verfasser pointiert zu
bestimmten Bereichen der Integration Stellung nimmt, dem die
Einigung Europas am Herzen liegt, der sich allerdings in
großen Teilen vehement gegen bisherige Verlaufsmuster
europäischer Integration und für ein bürgerkonformes
Europa ausspricht. Gerade jetzt, in den Tagen und Wochen vor der
Europawahl, ist das Buch ein guter Wegweiser durch die
europäische Politik.
Hans Arnold
Wie viel Einigung braucht Europa?
Droste Verlag, Düsseldorf 2004;
208 S.,15,95 Euro
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