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"Zusammenarbeit bei Kontrollen muss besser
werden"
Interview mit Michaele Schreyer, für den
Haushalt zuständige EU-Kommissarin
Michaele Schreyer war 1989/90 für die
Grünen Umweltsenatorin in der rot-grünen Berliner
Koalition, dann finanzpolitische Sprecherin der Grünen im
Abgeordnetenhaus, ehe sie EU-Kommissarin für den Haushalt, die
Überwachung des EU-Finanzsystems und für die
Betrugsbekämpfung in Brüssel wurde.
Das Parlament
Fünf Jahre Haushaltskommissarin der EU:
Wie weit deckt sich Ihre heutige Bilanz mit Ihren Vorstellungen und
Plänen bei Ihrer Amtsübernahme?
Schreyer Mein Ehrgeiz war, für jedes
Jahr einen guten und sparsamen Haushalt aufzustellen und ihn
pünktlich durch den Haushaltsgesetzgeber zu bringen. Dann galt
es, die Haushaltsregeln, die teilweise noch aus den Anfängen
der EG stammten, grundlegend zu modernisieren und drittens - ganz
wichtig - die Finanzierung der Erweiterung der EU auf solide
Füße zu stellen. Dies ist alles gelungen. Die Haushalte,
für die ich Verantwortung trage, werden als eine der
niedrigsten in die jüngere Geschichte der EU-Haushaltspolitik
eingehen. Wir haben das Haushaltsverfahren von der
Haushaltsaufstellung und der Gliederung des Haushaltsplans,
über den Haushaltsvollzug bis hin zur Rechnungslegung
völlig reformiert - und das in der Zeit von nur fünf
Jahren. Und die Ausgaben für die zehn neuen Mitgliedstaaten
konnten in den Rahmen eingepaßt werden, der ursprünglich
für nur sechs neue EU Mitglieder vorgesehen war, wobei es in
den Verhandlungen nicht zu Hauen und Stechen, sondern auch aufgrund
der gründlichen Vorbereitungen zu einem Ergebnis kam, das die
Interessen der alten und neuen Mitglieder gut ausgleicht. Also: Ich
bin zufrieden.
Das Parlament
Sie hatten es mit zwei weitgehend
gleichberechtigten Haushaltsbehörden, dem Europäischen
Parlament und dem Ministerrat zu tun. Welches war der schwierigere
Partner?
Schreyer Man muss mit beiden Armen des
Haushaltsgesetzgebers eng kooperieren und wenn die beiden Arme sich
zu streiten drohen, Kompromisse vorschlagen und ausgleichen. Der
ganze Prozess der Haushaltsberatungen ist auf EU-Ebene sehr
kommunikationsintensiv. Das ist gut so und hat sich gelohnt. Die
Haushalte in meiner Amtszeit hatten alle große Zustimmung im
Rat und sind im Europäischen Parlament mit Mehrheiten von 80
oder 90 Prozent beschlossen worden. Es gab eigentlich nur eine
Situation, in der ein Scheitern drohte. Das war vor gut einem Jahr
bei der Anpassung des Finanzrahmens an die Erweiterung. Der Rat
hatte in der Tat die Entscheidungsbefugnisse des Parlaments
verletzt und wenige Tage vor der angesetzten feierlichen
Unterzeichnung der Beitrittsverträge war die Konfrontation
total. Da habe ich dann angesichts der historischen Aufgabe auch
alle Emotionen eingebracht, um beiden Seiten auf einen Kompromiss
einzustimmen, der dann gerade auch mit Hilfe der deutschen
EP-Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und Grünen angenommen
wurde.
Das Parlament
Gegenüber den Haushaltsansätzen der
Kommission fällt auf, dass die Abgeordneten immer einige
Erhöhungen durchsetzen wollen und die Finanzminister um so
mehr kürzen möchten. Ist das Parlament im Umgang mit
Steuermitteln zu leichtfertig?
Schreyer Das beliebte Vorurteil, dass das
Europäische Parlament nahezu hemmungslos auf
Ausgabeerhöhungen aus sei, kann ich absolut nicht
bestätigen. Das EP nimmt seine Verantwortung bei der
Haushaltsberatung sowohl in Punkto Politikgestaltung als auch in
Punkto Ausgabendisziplin sehr ernst.
Das Parlament
Wie stehen Sie zu der Forderung des
Parlaments, die volle Zuständigkeit für alle
Haushaltsbereiche zu erhalten? Bisher wurden ja weite Bereiche der
Agrarpolitik, die so genannten obligatorischen Ausgaben wie
Agrarausgaben, ausgeklammert.
Schreyer Es ist wirklich anachronistisch,
dass die Mitgliedstaaten dem EP die Beschlussfassung über die
Agrarausgaben bisher vorenthalten haben. Das ist mit einer der
Gründe für die gegenwärtige Struktur des
EU-Haushalts, denn kein Parlament der Welt würde freiwillig
einen Haushalt beschließen, in dem fast die Hälfte der
Ausgaben in die Landwirtschaft fließen. Die Budgetrechte sind
die Königsrechte eines Parlaments. Sie sollten für das EP
gestärkt werden und ich hoffe, dass die irische
Ratspräsidentschaft alle Versuche, diese Rechte mit der neuen
Verfassung sogar noch einzuschränken, entschieden
zurückweist.
Das Parlament
Kommissionspräsident Prodi hat bei
seinem Amtsantritt vor fünf Jahren "Null-Toleranz"
gegenüber Betrug und Korruption versprochen. Dennoch tauchten
immer wieder Probleme auf, besonders beim Statistischen Amt der EU.
Lassen sich solche Fehlentwicklungen überhaupt
verhindern?
Schreyer Die ganze Kommission hat sich diesem
Grundsatz verpflichtet. "Null-Toleranz" gegenüber Betrug ist
aber keine Garantie, dass es keinen Betrug gibt. Diese Garantie
kann die Kommission gar nicht geben, schon deshalb nicht, weil wir
ja nur einen Teil der Mittel direkt selber verwalten. Aber es ist
die Garantie, effektive Kontrollen zu haben, und wenn
Unregelmäßigkeiten entdeckt werden, nichts, aber auch gar
nichts unter den Teppich zu kehren, sondern vollständig zu
untersuchen, zu sanktionieren und für die Zukunft Konsequenzen
daraus zu ziehen. Genau das hat die Prodi-Kommission bei der
Eurostat-Affäre gemacht. Wir haben die
Unregelmäßigkeiten, die ja mehrheitlich in der Zeit vor
der Prodi-Kommission stattfanden und die, obwohl bisher keine
Beweise über persönliche Bereicherungen vorliegen,
schwere und systematische Verletzungen der Haushaltsordnung waren,
grundlegend untersucht, die Justiz eingeschaltet, das Statistische
Amt völlig umstrukturiert und etliche weitere Maßnahmen
ergriffen und über alle Schritte das Parlament und die
Öffentlichkeit informiert. Jedes Jahr müssen alle
Generaldirektoren einen Bericht darüber vorlegen, ob und wo es
Probleme mit der Kontrolle in ihrem Bereich gibt und welche
Abhilfemaßnahmen sie ergreifen. Das alles wird
veröffentlicht. Mir ist keine Regierung bekannt, die so
transparent mit Kontrollfragen umgeht wie die
Kommission.
Das Parlament
Bei diesem Problem war aber auch die
Zusammenarbeit mit dem Haushaltskontrollausschuss nicht einfach,
oder?
Schreyer Die Zusammenarbeit mit dem
Haushaltskontrollausschuss ist per se nicht einfach, das liegt an
dessen Aufgabe. Der Haushaltskontrollausschuss des EP ist nicht wie
in den meisten Mitgliedstaaten ein Unterausschuss des
Haushaltsausschusses, in dem die Haushaltsexperten die
Rechnungsprüfung für ein Haushaltsjahr durchgehen,
sondern er versteht seine Kontrollaufgabe umfassender. Deshalb wird
er gern von den EU-Gegnern, die ja auch im EP vertreten sind, als
Forum genutzt, was die Leitung dieses Ausschusses zu einer wirklich
sehr schweren Aufgabe macht. Haushaltskontrolle gehört wie die
Haushaltsgesetzgebung zu den fundamentalen parlamentarischen
Rechten und Pflichten und der Haushaltskontrollausschuss war eine
treibende Kraft für die Reform der Kommission. Die
Prodi-Kommission hat die Finanzkontrolle ja grundlegend reformiert.
Jetzt sind - wie in den Mitgliedstaaten auch - die einzelnen
Generaldirektionen - wie die Ministerien - dafür
zuständig, dass die Mittel, die sie bewirtschaften, korrekt
ausgegeben werden. Die frühere zentrale Finanzkontrolle ist
abgeschafft worden. Man kann die Kontrollaufgabe nicht mehr auf
andere abschieben. So wie im Bundestag niemand auf die Idee
käme, Herrn Eichel als verantwortlich dafür anzusehen,
dass im Bildungs- oder im Landwirtschaftsministerium die
Haushaltsmittel korrekt bewirtschaftet werden, so ist auch für
die Kommission nicht mehr die Haushaltskommissarin zentrale
Finanzkontrolleurin. Nur die Innenrevision wurde als zentrale
Einrichtung neu geschaffen und wegen ihrer Bedeutung schon im Jahr
2000 dem Vize-Präsidenten der Kommission unterstellt.
Hervorragend war die Zusammenarbeit mit dem
Haushaltskontrollausschuss bei dem Vorschlag, einen
Europäischen Staatsanwalt für den Bereich der EU-Finanzen
zu schaffen. Der Vorschlag ist jetzt im Text des
Verfassungsentwurfs und ich hoffe, dass die deutsche
Bundesregierung weiterhin mit dafür sorgt, dass er auch drin
bleibt.
Das Parlament
Umfangreichere Kontrolle ist aber vielleicht
auch deshalb nötig, weil rund 80 Prozent des EU-Haushalts von
den Mitgliedstaaten verwaltet und ausgegeben werden. Die nationalen
Behörden sind aber oft nicht an der Aufdeckung von
Missständen interessiert, weil sie sonst den Schaden wieder
gut machen müssten. Wie kann hier Abhilfe geschaffen
werden?
Schreyer Es ist in den EU-Verträgen
festgelegt, dass die Mitgliedstaaten nach dem
Subsidiaritätsprinzip für die Verwaltung zuständig
sind, und es geht auch gar nicht anders, weil sonst das Personal
auf europäischer Ebene sehr viel umfangreicher sein
müsste. Beispielsweise bei den Strukturfonds macht es ja auch
Sinn, dass vor Ort über die Projekte entschieden wird und
nicht fernab von Brüssel aus. Die Mitgliedstaaten sind nicht
nur zuständig dafür, dass das Geld bei den
Nutznießern wie Bauern und Unternehmern oder bei den Kommunen
ankommt, sondern auch für die Kontrollen. Allerdings liegt
nach dem Vertrag die Gesamtverantwortung bei der Kommission. Das
heißt, sie muss vor dem EP den Kopf dafür hinhalten, wenn
zum Beispiel in Deutschland in einem Bundesland mit den
Strukturfonds nicht richtig umgegangen wird oder zu hohe
Prämien an Bauern ausgezahlt werden. Das sind ja die Fehler,
die im Bericht des Europäischen Rechnungshof aufgelistet sind
und dazu führen, dass keine
Zuverlässigkeitsterklärung erteilt werden. Deshalb ist
die Kommission zuständig für die Kontrolle der
Kontrolleure und kann - wie zum Beispiel im Agrarbereich -
pauschale Kürzungen von Zuweisungen vornehmen, wenn
festgestellt wird, dass in einem Mitgliedstaat die Kontrollsysteme
nicht funktionieren. Das sind die negativen Sanktionen, aber auch
positive Anreize sind wichtig.
Das Parlament
Welche wären das?
Schreyer Dass die Mittel, die ein
Mitgliedstaat bei Unregelmäßigkeiten von den
Subventionsempfängern zurückholt, dann wieder verwendet
werden können. Aber es wäre auch ein positiver Anreiz,
wenn Mitgliedstaaten, die gut kontrollieren und entsprechend ihrer
Verpflichtung der Kommission gefundene Unregelmäßigkeiten
melden, in den Medien gelobt und nicht als Betrugshochburgen
dargestellt würden. Meistens wird allerdings ohnehin nur auf
die Kommission eingeschlagen. Wenn der Zoll in Deutschland
Schmuggelware beschlagnahmt, dann wird in der Presse - zu Recht --
der Zoll gelobt, während der gleiche Fakt, wenn er in einem
Kommissionsbericht aufgeführt wird, als Beweis dafür
dargestellt wird, dass die Kommission mit ihrem Grundsatz
"Null-Toleranz" nicht ernst gemacht hätte. Im diesem ganzen
Bereich der Kontrolle gibt es aber noch erheblichen Bedarf der
besseren Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten untereinander
und zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Der Vorschlag
für die Einrichtung eines Europäischen Staatsanwalts zum
Schutz der EU-Finanzen spielt ja auch hierfür eine zentrale
Rolle.
Das Parlament
Werden die Probleme nach der Erweiterung noch
Zunehmen?
Schreyer Es gab in den Beitrittsverhandlungen
ein separates Verhandlungskapitel über Finanzkontrolle. Das
war ein ganz wichtiges Instrument, um die Kandidatenstaaten zu
unterstützen, unabhängige Rechnungshöfe und bessere
und transparente Kontrollstrukturen einzurichten. Wir müssen
jetzt nach dem Beitritt darauf achten, dass keine
Nachlässigkeit entsteht. Die Öffentlichkeit erwartet
selbstverständlich, dass die Kommission vom ersten Tag der
Erweiterung an sicherstellt, dass Agrarausgaben kontrolliert
werden, Strukturmittel nur gezahlt werden, wenn die Projekte
geprüft sind, und die Kommission die Einhaltung der
Wettbewerbsregeln und der Umweltschutzgesetze kontrolliert. Das
erfordert selbstverständlich Personal und neue Stellen und die
Verhandlungen mit den Finanzministern hierüber gehören
stets zu den schwierigsten.
Das Parlament
Trotz der Erweiterung der EU wollen sechs
alte Länder, allen voran die Regierungen in Berlin, Paris und
London die finanzielle Obergrenze für die EU-Ausgaben von 1,24
Prozent des Bruttosozialprodukts nicht erhöhen, sondern sogar
um rund ein Viertel senken. Ist das realistisch und fair
gegenüber den neuen Staaten?
Schreyer Die Staats- und Regierungschefs
haben für die gemeinsame Politik sehr ehrgeizige Ziele
beschlossen: Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit,
Errichtung eines gemeinsamen Rahmens der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts. Europa soll gemeinsam eine größere Rolle
in der Welt spielen. Und natürlich ist die volle Integration
der neuen Mitgliedstaaten eines der Hauptziele. Die Kommission ist
bei ihrem Vorschlag für den nächsten Finanzrahmen von
diesen Zielen ausgegangen und wir planen schon für eine EU von
27 Mitgliedstaaten. Trotzdem haben wir nicht den Vorschlag gemacht,
die gesetzlich festgelegte Obergrenze für die europäische
Staatsquote anzuheben.
Die liegt ja seit 1999 bei 1,24 Prozent der
gemeinsamen Wirtschaftsleistung. Der Vorschlag der Kommission
für die Jahre ab 2007 liegt sogar weit darunter. Er liegt auf
dem Niveau der jetzigen Finanzplanung. Darin gibt es die Zahl von
einem Prozent übrigens nicht. Wir haben aber in diesem Jahr
ein Budget, das in der Tat nur ein Prozent der gemeinsamen
Wirtschaftsleistung ausmacht, weil wir in den vergangenen Jahren
strikt konsolidiert haben, um budgetmässig fit zu sein
für die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten.
Wenn man nun für die Zukunft in der
erweiterten Union dafür plädiert, dass die EU-Staatsquote
um ein Viertel geringer sein soll als sie für die EU mit 15
Mitgliedstaaten war, muss man sagen, auf welche EU-Politik
verzichtet werden soll. Dann muss man darum streiten, ob man
Bekämpfung des Terrorismus besser allein oder gemeinsam macht,
ob EU-weite Kooperation in der Forschungspolitik Sinn macht oder
nicht. Die Kommission meint, es macht Sinn, und auch Deutschland,
das den Ein-Prozent-Brief unterzeichnet hat, plädiert für
diese neuen Prioritäten. Die Kommission wehrt sich aber zu
Recht dagegen, dass die Regierungschefs auf den Gipfeltreffen
ehrgeizige Ziele für die gemeinsame Politik setzen und
auslösen, aber die Finanzminister dann nicht zahlen
wollen.
Das Interview führte Hartmut
Hausmann.
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