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Fritz-Jochen Kopka
Die Prosa der Dienstboten
Das Politbüro der SED ganz
privat
Die Politik des Politbüros, des engen Zirkels der Macht in
der DDR, war gewiss unzureichend. Ihre Charaktere versteckten die
obersten Funktionäre hinter pathetischen Reden, ihr
Privatleben verbargen sie in der abgeschlossenen Waldsiedlung zu
Wandlitz. Die Diener von damals - Köche, Förster,
Gärtner und Putzfrauen - sind noch da. Sie waren verpflichtete
Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, trugen
militärische Ränge und durften nicht über ihre
Arbeit reden. Jetzt dürfen sie, und so gibt es ein Buch
über das Privatleben des Politbüros, Dienstbotenprosa von
der ersten bis zur letzten Seite.
Die Domestiken berichten nichts von den politischen Ambitionen
ihrer Herren, nichts von deren Denkleistungen, aber einiges von
Ess- und Trinkgewohnheiten und vor allem davon, ob die
Mächtigen bei ihrem Aufstieg Mensch geblieben sind oder eben
nicht. Keine Überlegung, welcher Funktionär Konzepte oder
Gestaltungswillen besaß. Die anspruchsvollste Unternehmung war
die Jagd.
Wenn in Berliner Partei- und Regierungsstuben der Hammer
gefallen war, machten sich die Mächtigen aus dem Staub. Vor
der Nähe der Kampfgefährten ihrer Tage schirmten sie sich
abends und an Wochenenden durch Fichten und Rhododendronbüsche
ab. Prinzipiell mochten sie einander nicht. Einzig Günter
Mittag fand Gnade vor Honeckers kühlen Augen, der in ihm
"nicht nur den erfahrenen Wirtschaftsfachmann, sondern auch den
geübten Jäger und Skatspieler schätzte". In einer
besonders erfolgreichen Saison töteten die
Würdenträger Honecker und Mittag, so berichtet der
Interviewer Thomas Grimm, "80 bis 100 Geweihträger". Dass
Honecker ausgerechnet im August 1989, als die Massenflucht aus der
DDR in vollem Gange war, den größten Hirsch schoß,
der je in der Schorfheide erlegt wurde, bezeichnet Grimm in einem
Anfall von Deutungswahn als "eine Parabel von Machtfülle und
politischem Versagen".
Honeckers Liebe zur Jagd, mit der er das gesamte Politbüro
paralysierte, bleibt angesichts dieses trockenen
Politbürokraten ein Rätsel, zumal der Genosse
Generalsekretär nichts aß, was aus dem Walde kam, kein
Wild und noch nicht einmal Pilze. Diente ihm die Jagd als
Revolutionsersatz? Bescherte ihm der finale Schuss symbolische
Erfolge, die ihm im politischen Leben versagt blieben? Oder nutzte
er die Jagd dazu, sich gegen seinen Konkurrenten Ulbricht, der ein
braver Ski- und Schlittschuhläufer war, zu profilieren, um
Männer- und Machtbünde zu schließen? Alles
möglich. Aber allzuviel Kompensation schadet dem
Kerngeschäft. Der Rest ist ein schnöder Satz wie dieser:
"Honecker und Mittag waren jagdliche Autodidakten, die ständig
bemüht waren, ihre Kenntnisse zu vervollkommnen…"
Wenn das Buch überhaupt einen Schluss nahe legt, dann
vielleicht den, dass die DDR-Funktionäre nicht an einer
durchgreifenden, aber unpraktikablen Gesellschaftstheorie, sondern
an limitierten Fähigkeiten und eklatanten
Charakterschwächen gescheitert sind. Doch warum sind
ausgerechnet diese Durchschnittsmenschen nach oben gespült
worden und haben etwas praktiziert, was sie permanent
überforderte?
Das politische Versagen spiegelt sich in der Sprache wider. In
der DDR hatte sich ein Versehrten-Deutsch herausgebildet, das aus
dem Versuch resultierte, den Marxismus auf die geänderten
Verhältnisse anzuwenden. Jeder Bürger wurde geschult, und
dies meistens durch Leute, die von Marx' Lehre nur verstanden
hatten, dass sie allmächtig sei, weil sie wahr ist (oder
umgekehrt). Das diffuse Schulungsdeutsch hat zu irreparablen
Kommunikationsschäden geführt, dessen Ergebnisse dem Werk
spröden Charme verleihen:
"Für Ulbricht war Essen sozusagen Nebensache. Man konnte
ihm vorsetzen, was man wollte, er nahm nicht wahr, was er
aß… Lotte unterstand ein persönlicher Fahrer, denn
sie war auch im Alter noch sehr agil… Mielke verlangte von
allen - auch von den Hausangestellten - ein sehr hohes
Niveau… Honecker war sehr, sehr bescheiden. Was Genossin
Honecker ihm kaufte, das zog er eben an… Mittag hat zum
Schluss nur noch Westprodukte benutzt, bis hin zu Selterswasser.
Mit der Zeit, vor allem nachdem er beide Beine verloren hatte,
wurde er griesgrämiger und heimtückischer…"
Die bitterste Lektion des Buches ist diese: Wenn man
anfängt, seinen Dreck von anderen Leuten wegmachen zu lassen,
wenn man das Vertrauen zu seinen Händen verliert, dann
hört man auf zu leben, existiert als eine Art Gespenst. Diese
Gefahr droht allen reichen und mächtigen Leuten, die glauben,
sie wären zu schade für den banalen Alltagskram, weil sie
immerfort verhandeln, entscheiden, in Salonwagen fahren und
große Töne spucken. Der Alltag ist nicht banal, nicht
einmal langweilig. Banal sind die, die nichts mit ihm anzufangen
wissen.
Thomas Grimm
Das Politbüro privat.
Aufbau-Verlag, Berlin 2004; 263 S., 17,90 Euro
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