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PDS - Im Westen nicht angekommen
Zeitschrift für Parlamentsfragen Heft
2/2004 erscheint Mitte Juni
Die Hoffnung, am Reißbrett der Wissenschaft entworfene
Instrumentarien und Institutionen politisch wirkungsgenau einsetzen
zu können, führt in der Praxis regelmäßig zu
Enttäuschungen. Damit sind aber Auftrag und/oder Impuls, es
dennoch zu versuchen, nicht aus der Welt. Im Bereich des
"Constitutional Engineering", der planvollen Architektur von
Strukturen und Prozessen der Politik, scheinen die Erwartungen
besonders hoch geschraubt, wenn es um das Wahlrecht geht. Deshalb
ist gerade hier Vorsicht angebracht.
Peter Lösche kommt im neuen Heft der ZParl zu dem Schluss,
dass "Wahlsysteme einen Unterschied machen, aber keinen allzu
großen". Zu diesem Befund gelangt er durch die Untersuchung
der Wahlrechtsreform in Neuseeland. Ihre Folge waren durchaus die
erwarteten Veränderungen im Parteiensystem und die
Stärkung des Parlaments gegenüber der Regierung. Bei
genauem Hinsehen handelt es sich dabei allerdings um die
Beschleunigung von Entwicklungen, die schon zuvor in Gesellschaft
und Politik des Landes angelegt waren. Dies gilt gewiss nicht
für die in Deutschland geführte Diskussion um ein
"Familienwahlrecht", die nun auch mit einem entsprechenden Antrag
im Bundestag die Ebene der Politikgestaltung erreicht hat.
Höchst strittig ist, ob die mit einem "Wahlrecht von Geburt
an" verfolgten Absichten - größere Nachhaltigkeit der
Politik und die Annäherung des Wahlvolkes an das Staatsvolk -
tatsächlich verwirklicht würden. Allzu hypothetisch
erscheint vielen die Annahme, ein durch Eltern für ihre Kinder
ausgeübtes Wahlrecht würde Anderes als eine
Mehrfachgewichtung der elterlichen Stimmen bewirken. Die
verfassungsrechtlichen Dimensionen dieser Frage untersucht Franz
Reimer. Von den verschiedenen Modellen kommt das "derivative
Elternwahlrecht" in Betracht. Ob die dafür nötige
Grundgesetzänderung bei ungewissem Ertrag und hoher
Streitbefangenheit in Angriff genommen werden sollte, bleibt der
politischen Auseinandersetzung überlassen.
Die Wirkung von TV-Debatten
Ein weiteres Beispiel für den Zusammenhang von Wahlsystemen
mit anderen Faktoren des politischen Systems liefert Markus M.
Müller. Die spezifische Kombination von Mehrheits- und
Verhältniswahlrecht in Baden-Württemberg nimmt den
Parteiorganisationen und Fraktionen einen guten Teil ihres
Einflusses auf die Kandidaten(-aufstellung), verstärkt den
Wettbewerb unter den Kandidaten derselben Partei und erzwingt eine
striktere Orientierung am Wählerwillen als das
Bundestagswahlrecht; allerdings erlaubt es wegen fehlender
Möglichkeit des Stimmensplittings den Wählern nicht, ihre
Präferenz für eine Koalition auszudrücken.
Einen nach wissenschaftlichen Maßstäben insgesamt
gelungenen Fall politischer Kommunikation dokumentieren Andrea
Römmele und ihre Mitautoren. Sie untersuchen die 2002 zum
ersten Mal in der Geschichte bundesdeutscher Wahlkämpfe
veranstalteten TV-Debatten der beiden Kanzlerkandidaten und stellen
sowohl den fragenden Journalisten als auch Gerhard Schröder
und Edmund Stoiber ein überwiegend gutes Zeugnis aus.
Der Frage, ob die Wähler der PDS in der vereinigten
Bundesrepublik "angekommen" seien, geht Jörg Jacobs nach.
Umfragedaten weisen aus, dass etwa ein Drittel von ihnen explizite
Systemgegner sind. Da viele sich schon in fortgeschrittenem Alter
befinden, dürfte die Ablehnungsquote der politischen Ordnung
beim Generationenwechsel deutlich sinken. Während also die
PDS-Wähler keine Gefahr für die Systemstabilität
darstellen, ist die Partei mit dem Dilemma konfrontiert, dass "sich
das Gefühl der Zurücksetzung in den neuen
Bundesländern überleben könnte und gleichzeitig die
ideologisierte Wählerschicht ausstirbt".
Als Partei ist die PDS im Westen jedenfalls nicht angekommen.
Bei der Wahl in Hamburg in diesem Februar trat sie gar nicht erst
an; in Bremen blieb sie Splitterpartei. Das Ergebnis der dortigen,
das Drei-Parteien-System festigenden Bürgerschaftswahl
analysiert Reinhold Roth. Die erstaunlich erfolgreiche, auch von
der Wählerschaft offenbar für gut befundene Große
Koalition im Stadtstaat geht nun in ihre dritte Legislaturperiode,
ist aber dennoch nicht zum Exportmodell in andere Länder oder
gar den Bund geworden. Die ganz andere Situation in Hamburg stellt
Patrick Horst dar. Erst vor zweieinhalb Jahren war die SPD nach 44
Regierungsjahren durch eine Koalition aus CDU, FDP und der
rechtspopulistischen Schill-Partei ersetzt worden, deren zahlreiche
Krisen schließlich nur durch eine vorgezogene Neuwahl
überwindbar schienen. Außerordentlich starke
Wählerfluktuationen resultierten nun auch hier in einer
Drei-Parteien-Bürgerschaft mit einer absoluten (Sitz-)Mehrheit
der CDU. Mit dem Scheitern Schills ist in der Hansestadt wieder
(westdeutsche) Parteiennormalität eingekehrt.
Am Beispiel der Schill-Partei beleuchtet Julia von Blumenthal,
was die Beteiligung an einer Regierung für rechtspopulistische
und andere Protestparteien bedeutet. Gerade jene Eigenschaften, die
den Wahlerfolg der Schill-Partei ausmachten, wurden zu schweren
Bürden für das Regieren wie für die innere Einheit
der Partei selbst. Hochgradige Personenzentrierung, Provokation im
Politikstil, "Anderssein" als die Etablierten lassen sich
schwerlich vereinbaren mit den Anforderungen an Kompromiss und
Moderation, die Koalitionen stellen.
Auch Rechtsfragen entstanden mit dem politischen Agieren des
Innensenators Ronald Schill. Florian Edinger bespricht ein Urteil
des Hamburgischen Verfassungsgerichts, in dem die Verweigerung der
Landesregierung, einem Abgeordneten Auskunft über die
angebliche Bewaffnung des Innensenators zu erteilen, für
rechtens erklärt wurde. Joachim Lang nimmt den Eklat, den
Schill mit seinem Auftritt im Bundestag verursachte, zum Anlass,
die Geltung parlamentarischer Ordnungsmaßnahmen für
Bundesratsmitglieder rechtlich zu prüfen.
Einen weiteren parlamentsrechtlichen Beitrag leistet Hermann
Bachmaier. Das Bundesverfassungsgericht hatte zu entscheiden, ob
die Durchsuchung des Büros eines Abgeordnetenmitarbeiters und
die Beschlagnahme von Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft gegen
das in Artikel 47 GG garantierte Zeugnisverweigerungsrecht
verstoßen hatte. Bachmaier begrüßt das Urteil, das
die Rechtsverletzung bejaht hatte, als Bestätigung der
parlamentarischen Autonomie und Sicherung der
Funktionsfähigkeit des Bundestages.
Ähnlich wie die Landtagswahlanalysen ist mittlerweile die
Dokumentation der Parteimitgliedschaften zur Chronistenpflicht der
ZParl geworden. Für dieses Heft hat Oskar Niedermayer die
Entwicklung im Jahre 2003 in sieben Tabellen zusammengestellt. Im
Diskussionsteil bestimmt Romy Messerschmidt in Reaktion auf Adolf
Kimmel noch einmal aus ihrer Sicht den Wandel des
Präsidentenamtes in Frankreich. Und pünktlich zum 55.
Geburtstag des Grundgesetzes hat Michael F. Feldkamp dem Verbleib
des Originalexemplars sowie der Faksimileausgaben und ihrer
symbolischen Funktion nachgespürt.
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